Studer / v d Berg
Seele messen

Dominique Salathé
Apparatur zum Berechnen der Seele

'Dass auch dieser Eindruck der Freiheit und Leichtigkeit in der Formgebung nicht um seiner selbst willen da ist, sondern wir dadurch hingeführt werden auf dasjenige, was jenseits dieser einzelnen Form liegt.'

(Th. Lipps: Aus 'Ästhetik; die Formgebung und der Ausdruck des spezifisch Seelischen.'
Leipzig 1906)


Ein Raum - ein Tisch und ein Stuhl - eine Projektionsfläche - ein Schaukasten und ein langes tischähnliches Gestell. Nichts Besonderes.
Auf dem Tisch eine Computertastatur und ein Kasten mit Karteikarten, irgendwo fast versteckt der Rechner. Auf dem Gestell eine Ansammlung von Objekten aus Karton und Gips.Eine Ausstellung? Eine Installation oder ein Blick auf die leicht verstaubte Apparatur eines Wissenschaftlers?

Die Arbeit von Monica Studer und Christoph v d Berg präsentiert sich als eigentliches 'work in progress'. Jede Ausstellung ist ein Teil einer unmittelbar miteinander verknüpften Serie; ein Ausschnitt aus einem grossen Ganzen. In den Jahren haben sie sich ein eigenes, in sich schlüssiges Bezugssystem geschaffen, das End- und Ausgangspunkt ihrer Überlegungen und Untersuchungen ist. Jede neue Arbeit erweitert dieses System um einen Ring gegen Aussen und schafft unendlich viele neue Möglichkeiten und Bezüge.
So stark aber die einzelnen Teile voneinander abhängig sind, so logisch sie erscheinen wollen, so undurchsichtig bleibt doch ihr wirklicher innerer Zusammenhang. Oder was bitte soll eine Seele mit den Buchstaben eines Namens oder der Form eines Hauses zu tun haben? Gerade diese Irritation durch das Unlogische und das Arbiträre macht die Poetik und spezifische Kraft der Arbeit der beiden Künstler aus.

Was sich hier fast anmassend bescheiden präsentiert, hat den Titel 'Apparatur zum Berechnen der Seele' und ist eine Art Feldforschungslabor der beiden Künstler, in dem die Form der Seele untersucht wird. Was auf den ersten Blick befremdet, tut es beim näheren Hinsehen noch mehr. Aufgrund einiger weniger Informationen, die der Besucher in einen einfachen Rechner eingeben kann, errechnet die Maschine den dreidimensionalen Körper der jeweiligen Seele. Grundlage der Berechnungen ist der Name des Benützers und eine Karteikarte aus einer Sammlung der ebenfalls auf der Maschine errechneten Bauten der 'Stadt D', dem Ausgangspunkt der ganzen Arbeit.

Diese seelenlos-graue Stadt erscheint im stereoskopischen Schaukasten als scheinbar unendliche Ansammlung von architektonischen Formen, die in ihrer Endlosigkeit die zeitgenössische Stadt assoziert. Die Gebäude sind typisierte Elemente eines Baukastens, die nach bestimmten Regeln kombiniert und dimensioniert werden. Auch hier haben die beiden Künstler das zugrunde liegende Rechenprogramm geschrieben, nicht aber die eigentlichen formalen Entscheidungen getroffen. Die 'Maschine' entscheidet über die letztendliche Gestalt der Gebäude, und jede Stadt ist nur eine mögliche Stadt unter vielen.

Einzelne von Versuchskaninchen aus der Kartei ausgewählte Häuser dieser Stadt stehen als dreidimensionale Objekte auf dem Gestell. Es sind einfache Modelle aus grauem Karton, sauber und präzis gearbeitet, ohne Seele, ohne wirklichen Massstab. Zu gross und schematisch für ein übliches Architekturmodell, zu klein für ein eigenständiges Objekt?
Daneben aufgereiht, ähnlich einer Reihe von Versteinerungen, Seelen wie aus einem Biologielehrbuch. Die Seelenkörper sind in ihren organisch runden, manchmal zerklüfteten Formen eindeutig, sie beziehen sich in Grösse und Form auf wirkliche Organe (oder wie man sie sich halt vorstellt). Andererseits haben sie auch eine gut ausstellbare Grösse, quasi die Grösse einer mittleren Vase...
Es ist dieses Dazwischen, zwischen den wirklichen Dingen und deren beispielhaften Abbildungen,das irritiert und interessiert. Die Seele ist weder Modell noch Wirklichkeit. Die fast beliebig wirkenden Formvarietät stellt die Frage nach dem Dahinter, nach der Lesbar- und Verbindlichkeit des abstrakten Systems, das ihr zugrunde liegt. Zwischen Haus und Seele besteht kein direkter, äusserer Bezug; es ist dem Betrachter überlassen diesen zu konstruieren, und doch provoziert gerade das Wissen um einen Zusammenhang die Frage nach dem Einzelnen und dem Ganzen, nach den Gesetzmässigkeiten, die die Welt im Innersten zusammenhalten.

Das Benützen der Apparatur, das Auswählen und das Eingeben; das ungeduldige Warten vor dem Bildschirm auf die eigene Seele schafft eine eigenartige Identifikation. Plötzlich bekommt die Form Inhalt; nimmt Gestalt an, wird persönlich. Jede Schwellung, jede Stauchung ist Indiz für mögliche Formen des eigenen Innenlebens und bekommt somit Bedeutung und wird vergleichbar.

Mit ihren Arbeiten haben Monica Studer und Christoph v d Berg einen eigenen Umgang mit dem Medium Computer gefunden. Die Arbeitsweise wird offengelegt, aber immer nur so weit, dass sie im einzelnen nicht nachvollzogen werden kann. Zwar kann man sich durchaus vorstellen, wie aufgrund verschiedener Rechenoperationen diese virtuellen Objekte und Landschaften generiert werden; mit dem handwerklichen Bauen der so bestimmten Objekte und dem Vorschlagen bestimmter Betrachtungs- und Wahrnehmungsweisen wird aber eine neue, wirkliche Realität geschaffen.
Aus diesem Gegeneinandersetzen der Mittel ergibt sich der Reichtum der Wahrnehmung, die Vielfalt der Welten. So muss für das Bauen eines Modelles oder eines dieser Seelenkörper ein Massstab festgelegt, ein Material gesucht werden. Und gerade diese Entscheide, die nicht oder noch nicht dem Rechner überlassen werden können, schaffen eine eigenartige Komplizenschaft, in der der Rechner selbstverständlicher Teil ist und als gleichberechtigter Dritter mit den beiden Künstlern zusammenarbeitet.

Basel, im Herbst 1997


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