Akkumulator


Einladung an die KünstlerInnen


Ausgangstext

von Claude Gaçon, Beat Brogle, Markus Schwander

Akkumulator - Die Kunst der Promiskuität

von Reinhard Storz









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AKUMULATOR

1 Zwei aneinanderstossende Zimmer im Parterre bilden die räumliche Situation des Akkumulators.

2 Von April bis Oktober werden 17 Künstlerinnen und Künstler aufeinanderfolgend darin arbeiten.

3 Es ist jeweils nur ein Künstler oder eine Künstlerin in den beiden Räumen am Werk.

4 Was in den Räumen geschaffen wurde und der Raum selbst kann vom Künstler bearbeitet und verändert werden.

5 Jeder Künstler jede Künstlerin schafft die Ausgangssituation für seine ihre Nachfolger. Das Vorhandene soll nicht aus den Räumen entfernt werden.












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AKKUMULATOR MODELL SELBSTLÄUFER HOTEL DOPPELZIMMER

§1 Der Akkumulator bildet sich aus 2 nebeneinanderliegenden Räumen in der Filiale, den Initiatoren, den Künstlern und ihren Eingriffen und den Beobachtern.

§2 Die Initiatoren definieren eine Ausgangssituation und laden Künstler zur Teilnahme ein. Die Rolle der Initiatoren sollte sich soweit als möglich auf das Koordinieren der Installationsphasen
und das Dokumentieren beschränken.

§2 Es ist immer nur ein Künstler oder eine Künstlergruppe am Werk. Die Installationsphase sollte nicht länger als eine Woche dauern. Alle 2-3 Wochen findet ein neuer Eingriff statt.

§3 Alles was in die Räume gebracht wird muss bis am Ende darin bleiben. Die Künstler müssen sich bereit erklären, das von ihnen eingebrachte Material am Ende eventuell zurückzunehmen.

§4 Alles was sich in den Räumen befindet und der Raum selbst kann vom Künstler bearbeitet und verändert werden.

§5 Nach jeder Arbeitsphase wird die neu entstandene Konstellation dokumentiert. Jeder beteiligte Künstler erhält eine Gesamtdokumentation mit einem Bild pro Künstler, aus der der jeweilige Eingriff ersichtlich wird.

§6 Die Filiale kommt für die Spesen der Künstler, die Kosten der Dokumentation und, sofern das möglich ist, für ein Honorar auf.


Claude Gaçon , Beat Brogle ......... Basel, 24. 1. 1996










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Wir möchten Dich für das Projekt Akkumulator einladen.

Das Prinzip des Akkumulators besteht darin, dass jeder Eingriff eine neue Grundsituation schafft. Was als Kunst in den Raum gebracht oder darin geschaffen wird, bleibt bis am Schluss des Projektes anwesend.
Was vorher geschah, bleibt erhalten, die Umgebung der bestehenden Kunst verändert sich.

Analog zu den Kammern eines Akkumulators besteht die räumliche Situation aus zwei nebeneinanderliegenden ehemaligen Wohnzimmern, die durch eine Türe verbunden sind.(zusammen ca. 3oqm)
In diesen zwei Zellen können Kunstwerke sich reiben, sich beeinflussen, überlagern, vermischen.

Wir stellen uns vor, dass Interventionen in relativ kurzen Abständen von ca 1-2 Wochen stattfinden sollten.
Wir laden um die 20 KünstlerInnen ein.

Wir hoffen, dass wir mit diesem Schreiben einen ersten Impuls auslösen konnten und würden uns über Dein Interesse freuen.










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AKKUMULATOR - DIE KUNST DER PROMISKUITÄT
von Reinhard Storz ©

Dass sich Künstler die Idee einer akkumulativen Werkausstellung ausgedacht haben, scheint kein Zufall zu sein. Die Idee zeigt sich respektlos einem hergebrachten Werkbegriff gegenüber, welcher in der Kunst Authentizität und Identität als hohen Wert setzt und sich das künstlerische Zeugnis eines Autors einzeln und unversehrt wünscht. Das Projekt zwingt die freie Kunst in den Rahmen eines Kommunikationsspiels, in dem sie sich auf eine Vielzahl von Voraussetzungen und Konfrontationen einlassen muss.

Der Akkumulator wendet sich ab von der Ausstellungsbedingung des White Cube, des scheinbar neutralen, weissen Ausstellungsraumes, welcher eine gedächtnislose Stille schaffen will für die Stimme des Künstlers. Im Akkumulator trifft die Künstlerin vielmehr auf ein Stimmen- und Sprachengewirr, aus dem sich laute und leisere Motive herausheben, auf Vorgängerideen, die aufeinander aufbauen, sich miteinander arrangieren oder sich gegenseitig belästigen und verleumden. Jeder nächste Künstler tritt zögernd oder genussvoll als Störenfried auf, bleibt höflich respektvoll oder wendet das Erbe der anderen zu seinen eigenen Zwecken.

Der Akkumulator ist also ein Ort der Anreicherung, des umsichtigen Dialogs und der Vergewaltigung. Er potenziert und synthetisiert. Seine zwei Kammern zeigen Kunst im Überfluss und treiben das Spiel der Promiskuität. Im guten Fall pervertieren sich die einzelnen Werkschichten polymorph, ein blosses Tête à Tête ist ihnen zu wenig, reine Narzismen gehen schief.

Die Spielregeln des Akkumulators erlauben scheinbar alles. Die KünstlerInnen dürfen Werkteile ihrer Vorgänger verändern, überarbeiten und zerstören.
So liess der erste Künstler den einen Raum in seinem abgenutzten Zustand, den anderen renovierte er und bohnerte den Parkettboden. Ein zwar sinnvolles aber hoffnungsloses Vorgehen, denn die folgende Künstlerin annektierte den geputzten wie den schmutzigen Boden und bedeckte sie mit einer Lehmschicht. Ein späterer Künstler sprach gleich von Kannibalismus. An Boden und Decke entwarf er neue Oberflächen, bedeckte den Lehmboden mit Zeitschriften und liess Ballone unter die Decke steigen, welche der Deckenmalerei einer Vorläuferin - genagelte Wölkchen - vorübergehend den Garaus machten. Doch den bunten Ballonen sah man ihren Hang zum Masochismus schon von unten an. Bald verging ihnen das Gas, sie kamen nieder und lagen schliesslich am Boden wie geschrumpfte Hodensäcke. Sie zeigten sich als Opfer, noch bevor ein nächster Täter in der Türe erschien. Der legte dann den Lehmboden wieder frei, schnitt aus den Titelseiten der Zeitschriften Gesichter aus und klebte sie als Overall-Muster an die Wand.
Momentan sind die Wände im einen Raum samt den Gesichtern rosa-lasierend übermalt, ein mit weisser Watte überzogenes Kinderbett steht auf Lehm, unberührt sauber, weiss, unschuldig. Und übt doch wieder Zwang aus: Das fiese Unschuldsbett drängt seine eigene Beschmutzung regelrecht auf, das Opfer hält die Täterrolle für die folgenden Künstler schon bereit, als Schänder seiner Reinheit.

Der Akkumulator erzählt eine Geschichte des Dialogs und der Unterwerfung. Und er erzählt Geschichte als Polyphonie und Folge von Textüberschreibungen, ein verschwenderisches, gequältes und schillerndes Gedicht. In vitro entwirft er eine eigene, unvorhersehbare Kunstgeschichte, in der die Stilabfolgen und Sedimentierungsvorgänge extrem beschleunigt sind.