Gedanken zu nonlieux Basel, 10. Januar 1998

Sollen Räume, in denen sich Lebewesen aufhalten, in denen Menschen tätig sind, je einmal leer erlebt werden. Gibt es überhaupt innere Notwendigkeiten, dieses Ereignis zu provozieren, diesen Zustand auszuleben. Oder anders gefragt, mit welchen leblosen Gegenständen sind Räume angefüllt, was umgibt uns tagtäglich, was sammelt sich unentwegt an und worin bestehen die genauen Gründe für solche bewussten Konstellationen. Liegt nicht der Grund darin, dass der Homo sapiens unentwegt versucht, seine Vergänglichkeit aufzuheben.
Gegenstände, so anspruchsvoll oder oberflächlich sie auch sein mögen, verhelfen zu einem bestimmten Netz von Bezugspunkten, die reflektiert werden, auf die wir uns immer wieder beziehen können. Durch verschiedenartigste Reihungen dieser Punkte oder Koordinaten versuchen wir so, die uns zustehende Zeit mit Inhalten anzureichern.
Vergangenes, Zukünftiges, Wortfolgen oder einfach Geschichten werden durch Gegenstände erinnert, sie sollen den Reiz von Zeitabfolgen ausmachen.

Zwischendurch stellt sich die Frage, ob uns das Obenstehende überhaupt bewusst werden kann, solange wir von Gegenständen umgeben sind.

Ich untersuche mit nonlieux das Verschwinden der Gegenstände. Mein Interesse gilt den leeren Räumen, in ihnen will ich arbeiten, mit möglichen Relikten von nonlieux umgehen, Räume und Gedanken an Objekte sollen in einem gewissen Sinne verselbstständigt werden. Die Negation des Alltäglichen, die Verneinung der Materialisation. Wichtig sind mir Fragen einer unsichtbaren Ästhetik und das Auflösen gedanklicher Irritationen.

Losgelöst sein von der Geschichte, ins Leere geworfen, fasziniert mich die Verbalisierung des Unsichtbaren.
Das Unsichtbare soll in einem bestimmten, dafür vorgesehenen Speicher aufbewahrt werden. Während der Zeit vom 24. Januar bis zum 22. März im Kaskadenkondensator. Später an verschiedenen anderen Orten. Der Kaskadenkondensator wird sozusagen zu einem Fixpunkt für den unbedachten Besucher, damit dieser wahrnehmen kann, was ist.

Der Raum ist der Speicher oder das Gehirn, angereichert mit Gedanken vergangener künstlerische Ereignisse, gepflegt und verknüpft von einer oder mehreren Personen.
Alle real existierenden Gegenstände wecken spezifische Erinnerungen. Damit begrenzen sie aber auch die ungehinderte gedankliche Entfaltung, das Denken an sich.
Es sind Hindernisse, Unterbrechungen, in einem gewissen Sinn Störungen, die das konzentrierte Beobachten der gesammelten Gedanken beeinträchtigen.
Jede Unterbrechung ist letztlich der verzweifelte Versuch, das scheinbare Nichts im Raum zu eliminieren.
Welches sind die Kriterien, die Merkmale, die Möglichkeiten, all die zahlreichen, angesammelten unsichtbaren Gedanken aller Projekte in diesem Raum nachzuvollziehen.
Vor dem Kaskadenkondensator wird als Hilfestellung eine Anleitung zum Gebrauch des virtuellen Archivs aufliegen.

Der intervenierende Kurator: eigentlich verantwortlich für die Pflege der zurückgelassenen "Reliquien" , versteht sich als ein Teil des Ganzen oder das Ganze in Teilen. Das bedeutet letztlich, dass er die Dokumentationsstelle in sich trägt. Nach Möglichkeit sollen keine technisch fixierten Relikte sein Vokabular ausmachen, er gibt "bloss" Informationen weiter und verfügt zudem über einen Informantenkreis den er weitervermittelt um allfällige Querbezüge herzustellen. Dieser Informantenkreis, setzt sich zusammen aus Personen, die sich beim intervenierenden Kurator melden oder die von ihm mit dieser Aufgabe betreut werden.
Der intervenierende Kurator versucht sich selbst den Anstrich eines nonlieux zu geben, indem er sich einer vorgegebenen Fassbarkeit entzieht. Er tut dies entsprechend einem genau ausgearbeiteten Konzept, dass er aus verständlichen Gründen nicht transparent macht. Er ist sich bewusst, dass dies Irritationen hervor rufen kann, weiss jedoch, dass er damit dem Projekt insofern einen Dienst erweist, als er es in neue, unbekannte Gefilde steuert, die sich - auch sie - jeglicher Definition verweigern.

© 10.1.1998 Simon Baur