yvonne volkart

Gebaute Träume
Über die Videoinstallation »Short Hills« von Dorit Margreiter und die Thematik medialer, ortsübergreifender Identitätskonstruktionen

»Short Hills«, so der Titel von Dorit Margreiters Videoarbeit im Grazer Kunstverein (Installation und zwei Videobänder), erinnert an die Titel von Soap Operas, von denen darin auch ausführlich die Rede ist. »Short Hills« verweist jedoch auch auf die gleichnamige Vorstadt in New Jersey, in der Margreiter ihre Tante und Cousine – eine chinesisch-amerikanische Familie – zu Hause besucht und zu ihren Lieblingssoaps befragt. Der Titel suggeriert nicht nur, dass ihr Video ebenfalls als Soap Opera zu betrachten ist – wenn auch, wie man noch sehen wird, eine etwas andere –, sondern er setzt auch den Realort und den möglichen medialen Plot ineins. Damit wird gleichsam vorweggenommen, dass es in dieser falschen Soap um die Realisation eines virtuellen Raumes geht, in dem sich Wünsche formulieren und damit formieren können. »Short Hills« ist Margreiters Versuch, die Bedeutung des Sprechens als Performanz von Begehren und weiblicher Subjektwerdung mittels Video zu aktualisieren und als ein real-symbolisches Raumgebilde anzubieten, auf das sich die BesucherInnen ihrerseits einlassen können.


Mediale Räume

»Irgendwie mag ich es, so ein tägliches Fenster nach Hong Kong zu haben«, sagt Sandra Chang, die ältere der beiden Protagonistinnen über ihre Lieblingssoap, die jeden Tag in Hong Kong gedreht und gesendet wird und damit die vielen baulichen Veränderungen, die sich in der Stadt vollziehen, einzufangen verspricht. Mit dem wie ein Fenster in ein Wohnzimmerregal eingelassenen Monitor beginnt auch Margreiters »Short Hills«, mit der Einstellung auf die Windschutzscheibe eines fahrenden Autos und die lange Straße davor fährt es fort. Und am Ende des 15-minütigen Tapes sieht man wieder zum Fenster hinaus in die durch die Beschleunigung immer unkenntlicher und letztlich zu rasenden Linien und Schlieren werdende Vorstadtlandschaft, ähnlich dem Flimmern im Fernsehen, wenn kein Kanal läuft. Dieses nicht mehr identifizierbare strömende Außen vermischt sich zusammen mit dem aus dem Autoradio ertönenden Liebeslied zu einem geballten, unendlich weit erscheinenden Sehnsuchtsraum. Fernsehbildschirm und Fenster gleichen sich also strukturell an: Beide sind Schnittstellen zu einer anderen Realität, zu einem realen oder imaginierten Außen, welches durch diese durchlässige Membran in den Innenraum dringt und alles miteinander vermischt. Das Fenster/der Bildschirm wird zur Metapher von Überlappungen, Verwischungen und Austausch, mithin zu einer Schwelle und Passage von Wünschen und virtuellen Körpern. Als Verkehrsmittel werden zu Beginn des Videos Autos eingeführt, welche die Protagonistinnen souverän durch den Vorort steuern.
Eigentlicher Dreh- und Angelpunkt von »Short Hills« ist jedoch der Um- beziehungsweise Anbau des Wohnhauses der Frauen. Ziemlich am Anfang sieht man ein Mädchen auf ein Haus zurennen. Dieses Haus aus »Dawson’s Creek« überblendet sich mit dem Wohnhaus der Frauen, dann werden drei Bildausschnitte von Räumen mit einem Fernseher eingeblendet – dem neuen Wohnzimmer, der Küche und dem alten Wohnzimmer. Später erklärt Sandra Chang anhand eines Plans den Umbau des Hauses. Wie wir vernehmen, wurde dem Haus ein neuer Raum, der sogenannte Entertainment-Room, der eigentlich ein TV-Room ist, hinzugefügt. Die Assoziationskette Bauen – Haus – Fernsehen wird durch die Einblendung von Modellhäusern oder Aufnahmen, in denen man die Frau ihren neuen Raum einrichten sieht, verstärkt – ein inhaltlicher Aspekt, den Margreiter nicht nur dadurch aufnimmt, dass sie Teile des Plans für die Einladungskarte und den Folder verwendet, sondern den sie auch in der Installation gezielt einsetzt: Auf einem großen Landschaftsmodell sind die Video-Abspielgeräte wie Verkörperungen der noch zu bauenden Häuser ausgestellt. Margreiters Ineinssetzung von medialen und modellhaften Konstruktionen wiederholt damit den real-medialen Aspekt dieses TV-Raums, der Körper und Wünsche versammelt und damit immer ein Doppelraum, ein Zwischenraum ist.
Auch die Frauen halten sich in (noch) nicht festgelegten Räumen auf: Sie sitzen entweder in fahrenden Autos, oder Sandra Chang richtet den unfertigen Raum ein, und wenn man Melissa Chang auf ihrem Bett vor leeren Wänden sitzen sieht, denkt man, dass dies nicht ihr Zimmer ist – oder zumindest eines, das für die Dauer der Videoaufnahme entpersönlicht wurde.
»Short Hills« inszeniert Orte der Transgression, und die beiden Frauen sind die Grenzgängerinnen darin. Das ist auch der Plot: Die Frau hat Hong Kong 1972 verlassen, um in den USA zu studieren. Was sie von Hong Kong behalten hat, das sind Erinnerungen, die täglichen Soaps und eine Fotografie mit einer nächtlichen Fassade, die über dem Kamin im Entertainment-Room hängt. Hong Kong, das sind auch die chinesischen Nippes, die sie liebevoll abstaubt und in eine Vitrine im neuen Raum stellt: »Is there too much Chinese in the room?«, fragt sie lachend. Sie hat Hong Kong verlassen und transferiert es stückweise und über die Zeit hinweg in ihr Heim in einer (weißen) Mittelklasse-US-Vorstadt. Ihr Gesicht spiegelt sich im Glas der Fotografie Hong Kongs, während sie die städtebaulichen Veränderungen erläutert. Es überlagert die fotografierte Stadt und unterscheidet sich doch davon. Die Frau ist da und dort, sie ist die Gestalterin eines ganz anderen, hybriden Raumes – eines, der mental und nicht mehr festgelegt ist.


Migrationsräume

Die Lieblingsserie von Melissa ist »Buffy, the Vampire Slayer«. Buffy ist eigentlich ein Mädchen, das das College besucht, gleichzeitig aber führt sie ein zweites Leben, in welchem sie Vampire und Monster verfolgt. Diese Heldin, einer Wonder Woman ähnlich, ist die typische Überschreitungsfigur, die sich sowohl bezüglich ihres Normallebens als auch puncto Wunschproduktion als Identifikationsfigur bestens anbietet.
Auch Melissa ist nicht mehr an dem Ort, an dem sie gemäß ihrer chinesischen Herkunft sein sollte. Sie liest uns ein von der asiatischen Community geforwardetes Spaß-E-mail vor, in dem steht, wie sich ein perfektes asiatisches Kind verhalten sollte. Ihr lachender Kommentar dazu lautet, dass sie aufgehört habe, Klavier zu spielen, dass sie nicht gern lerne und wahrscheinlich auch kein Stipendium kriegen werde. Ihr Habitus und ihre Sprache sind die eines amerikanischen Teenagers, dessen Phantasien sich unter anderem in den Soaps, die sie schaut, bilden und artikulieren.
Die Migrationsthematik, das Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen und die Verwischung dieser scheinbar »natürlichen« oder »ursprünglichen« Grenzen, die hier aufscheinen, inszeniert Margreiter als Ineinanderschalten realer und medialer Konstruktionen. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur/Ethnie wird als phantasmatisches Moment dargestellt und lässt sich nur als verlorene rekonstruieren. Nomadismus und Migration sind die neuen Bedingungen, in die diese Subjekte eingelassen sind. Aber Margreiter verherrlicht diesen Zustand nicht und leitet daraus auch nicht eine bestimmte Ästhetik ab. Sie zeigt vielmehr, dass diese Komponenten komplex und weitläufig sind. Die Verschiebungen der realen Körper sind ohne globale Medien wie Fernsehen nicht nur nicht denkbar, sondern immer auch Effekte medialer Konstruktionen, ohne sich darin aber zu erschöpfen.
Margreiter interessiert sich weniger für Soap Operas an sich, als vielmehr dafür, wie sich diese beiden Frauen durch diese artikulieren können. Das heißt, es geht letztlich um die Frage nach Identität – kultureller, weiblicher, ethnischer –, und um dies darzustellen, arbeitet sie mit Theorien von Performanz. Deshalb befragt sie die Frauen nicht zu sich selbst oder zur eigenen Herkunft, sondern interessiert sich für ihre Lieblingssoaps. Rückschlüsse auf die beiden Frauen sind nur möglich über rezeptive Konstruktionen ihrer performativen Akte: Was sagt sie? Was bedeutet es, dass sie das sagt? Was bedeutet es, dass sie die Überschreitungsthematik von Buffy lieber mag als die weiße Pseudonormalität in »Dawson’s Creek«? Die Wunschproduktion durch Fernsehserien wird als zentraler identitätsstiftender Faktor erkannt und im Sprechen darüber re-inszeniert. Ähnlich dem Sprechen im psychoanalytischen Setting werden dabei das Nichtgesagte, das latent Mitschwingende und Entstellte bedeutungstragende, aber eben nie direkt ausgesprochene Elemente. Dadurch wird ein oszillierender, vielstimmiger, unbesetzter, aber nicht undeterminierter Raum geschaffen, in den wir als ZuschauerInnen, gespiegelt in der präsenten Abwesenheit Margreiters – lediglich ihre Fragen sind aus dem Off zu hören –, virtuell eintreten können. Identität wird hier dargestellt als permanenter Transfer von Sprachen, Sprechweisen, weiblichem Geschlecht, Realitäten und Raummodulen – eine Idee, die Margreiter in einem zweiten Video in der Installation direkt umsetzt. In diesem »Material« genannten Tape sprechen die deutschen Synchronsprecherinnen von »Dawson’s Creek« Textauschnitte der beiden Frauen aus »Short Hills« nach.


Der virtuelle Raum der Wünsche

»Short Hills« ist die medial-artifizielle Konstruktion eines virtuellen Raumes, in dem Wünsche zirkulieren, die wiederum Identitäten konstruieren. Es vereinigt Realort und Wunschort, was Margreiter durch den ständigen Wechsel zwischen Szenen aus den Soap Operas und Szenen aus dem realen Short Hills darstellt. Sie realisiert ästhetisch einen Ort der (Nicht-)Kongruenz als Ort partieller, temporärer Begegnungen. So wie sich die weiblichen Identitäten als permanente Transfers von einer zur anderen – Mutter-Tochter-Autorin-Zuschauerin – gestalten, so konstruieren sich die mental-virtuellen Räume durch beständige Überlappungen, die sich nicht völlig decken. Der Raum, wo die virtuelle Deckung stattfinden kann, ist jener, der durch die Entstellung, durch die Differenz vom einen zum anderen, frei wurde. Strukturell schafft Margreiter diesen Raum durch Überblendungen, Parallelisierungen und Analogisierung – eine Methode, die sie von Anfang bis zum Schluss durchzieht. Gleich zu Beginn etwa, wenn die Protagonistinnen, im Auto fahrend, eingeführt werden, begleitet die Kamera abwechselnd einmal die eine, einmal die andere. Dazu hört man Margreiters Stimme und bekommt durch die Art und Weise der Kameraeinstellung das Gefühl, dass man selbst mit im Wagen sitzt. Sie schafft diese Möglichkeiten durch die additive Einblendung der drei unterschiedlichen Fernsehräume. Durch das Zusammenkommen respektive die Parallelisierung von Verschiedenem werden Ähnlichkeiten geschaffen. Es kommt zu partiellen, aber nicht vollständigen Deckungen. Damit wird einerseits keine Gleichheit vorgespiegelt, wo keine ist, andererseits werden dennoch Momente temporärer und partieller Identifikationen ästhetisch ermöglicht, die jedoch stets zufällig und nicht-fixiert erscheinen.
Als Beispiel dafür sei nochmals die Spiegelung des Gesichts der Frau in dem Bild von Hong Kong erwähnt. Es ist eigentlich schon ein Gemeinplatz, dass Frau und Stadt durch die Kulturgeschichte hindurch strukturell immer wieder gleichgesetzt und ihnen ähnliche Energien und Verkörperungen – etwa in Form eines Labyrithes – zugeschrieben wurden. Auf diese Festschreibungsgeschichte des urbanen Weiblichen spielt auch Margreiter mit einer solchen Einstellung an, markiert aber dennoch eine Differenz dazu. Das Gesicht geht nicht auf in den Fassaden, sondern spiegelt sich abgehoben davon in dem Glas; und diese Frau spricht, sie spricht über die Stadt und dass sie sie aus guten Gründen verlassen hat. Und weil sie nicht diese Stadt verkörpert, sondern in einer Trennung und Unterscheidung dazu steht, aber dennoch klar artikulierte Affektionen dazu hat, öffnet sich damit ästhetisch jener virtuelle Zwischenraum, der sich gleichsam in einem Umschlagen der Zuschreibungen eröffnet und in den sie sich, ohne eben die Stadt verkörpern zu müssen, einschreibt. Margreiter zitiert, dekonstruiert und appropriiert damit gleichermaßen die Klischees des Weiblich-Urbanen und modelliert sie für ihre Zwecke um. Aber nur weil die Frau nicht direkt aufgenommen ist, kann es überhaupt zu diesen strukturellen Ineinssetzungen kommen. Die Verkörperung der Frau im Spiegelglas – und damit im TV-Monitor – bleibt eine fragmentarische Reflektion-Reflexion jener Frau, von der wir lediglich die Stimme hören. Margreiters Ästhetik der Absenz wird somit zu einer Option einer kritisch-konstruktiven, anti-essenzialistischen, medialen Verkörperung weiblichen Wunschpotenzials, ohne damit Weiblichkeit neudefinieren zu wollen.
Zusammengefasst heißt das, dass Margreiter nur über den Umweg der Nicht-Identität, der Entstellung und des permanenten Gleitens von einer Narration/Szene/Verkörperung in die nächste virtuelle Räume zur Identitätskonstruktion schafft. Nur weil alles gerade immer an einem anderen Ort ist, kann der Traum sich an jenem virtuellen Ort realisieren und die Frauen können sich als Grenzgängerinnen etablieren. Und nur weil hier sowohl die gesprochene als auch die visuelle Sprache in ihrer Konstrukthaftigkeit und Mittelbarkeit anerkannt wird, kann sie umschlagen und uns hineinziehen in einen Akt des unmittelbaren Geschehens, etwa der Verkörperung von pluralen weiblichen Identitäten. »Short Hills« wird damit zu einem Beispiel dafür, dass Projekte von Frauen als Grenzgängerinnen nicht zwangsläufig in traditionell-stereotypen Projektionen untergehen müssen, sondern dass hier ein Potenzial vorliegt, das einer weiteren Auslotung harrt.

Dorit Margreiter, Short Hills, Grazer Kunstverein, 18. November 1999