Simulation des Symptomatischen
Fast Forward. Mode in den Medien der 90er Jahre.
Künstlerhaus Wien, 16. April bis 6. Juni 1999. Texte zur Kunst, September 1999, Heft 35

Hängend thront im Treppenhaus der Ausstellung "Fast Forward. Mode in den Medien der 90er Jahre" eine monumentale Screen mit MTV-Musikclips. Deren enormer, völlig neue Massstäbe setzender Produktionsaufwand ist natürlich ein höchst zutreffendes Beispiel für die intensivierten Imagestrategien von Stars und dient wohl deshalb als Beispiel für die Bedeutung derselben in der Mode, respektive umgekehrt auch für die universale Bedeutung der Mode und der Medien für die Imagepflege. Damit setzt "Fast Forward" zur Gänze auf posthumane, zukunftsorientierte Medialisierungen als Metaphern für die Konstruktion einer Fashionwelt von Morgen. Die Ausstellung ist die Übersetzung der Übersetzung eines beiläufig gewordenen Urtextes, der einmal Bekleidung hiess und nun im Künstlerhaus eher als gemeinsamer Nenner und komprimierter Datenkörper denn als materielle Substanz fungiert. Die >Objekte des Begehrens< - die Kleidungsstücke - sind grösstenteils absent, sie tauchen nurmehr fragmentiert, virtualisiert und am Rande noch auf. Im wesentlichen sind sie, wie die Ausstellung zeigt und der Titel suggeriert, in die Bildoberflächen von Video, Fotografie, Internet und Magazinen übergegangen und per Knopfdruck abrufbar. Bestätigt wird damit die These der Kulturtheoretikerin Angela Mc Robbie, gemäss der die Image-Industrie die Hardware >Kleidung< zu ersetzen beginnt.
Die Shop-in-Shop-Installation Walter van Beirendoncks mit roten Regalen und der darin verstauten Sommerkollektion Hi-Sci-Fi zu Beginn der Ausstellung erweckt vorerst den Anschein, als ob es in >Fast Forward< doch noch um so etwas wie reale Bekleidung ginge. Van Beirendonck präsentierte als einziger eine ganze Kollektion, in der man herumwühlen und -fühlen konnte. Dann erst realisierte man, dass diese roten, glatten raumschiffschleusenartig anmutenden Regale mit Durchblick zum Image des W. & L.T. Labels (Wild & Lethal Trash) gehören. Der Desiger Marc Newson stellt sie als eine Art Parallelästhetik im Felde des Designs für van Beirendonck her. W. & L.T. zu Beginn von >Fast Forward< fungiert damit als Beispiel eines besonders konsequenten, auch die Inneneinrichtung miteinbeziehenden Fashiondesign-Unternehmens, das den selbstkreierten "Kiss the future"-Style mehrdimensional und oberflächenkompakt verbreitet. Was nun bei van Beirendonck noch eine gewisse synästhetische Verführungskraft entfaltet, wird, nachdem man sich an der stromlinienförmigen, von Christoph Hinterhuber designeten Absolut Vodka Bar einen Drink genehmigt hat, im übernächsten Saal zur Design-Unentrinnbarkeit: Ungeniert kann das Diesel Creativ Team seine Ästhetik von "Successfull Living" in Form von Plastikstühlen, Touchscreens, Computerbildschirmen mit CD-ROMs und Werbefotografien in ein eigenes Separée einpflanzen. Dass dieses globale Unternehmen einen Jahresumsatz von 300 Millionen Dollar hat und fast ausschliesslich über Subcontracting in der dritten Welt produzieren lässt, so dass es direkt nur 1000 MitarbeiterInnen anzustellen braucht, erfährt man beiläufig aus der Presseerklärung. Aufschlussreiche Vergleiche, wie Produktionskosten versus Imagekosten etwa, müssen besonders Interessierte selbst recherchieren. Mit anderen Worten: Während Angela Mc Robbie den Transfer von der Kleidung zur Image-Industrie ziemlich pessimistisch wahrnimmt, weil sie meint, dass nur noch gutbetuchte Designhäuser in den Genuss derer Effekte kommen, dockt "Fast Forward" völlig affirmativ an die Image-Industrie-Tendenzen der Mode an und verliert die kapitalistischen Ideologien, die dahinter stecken nicht nur total aus den Augen, sondern verhilft nachgerade noch diesen Firmen und Sponsoren zu glanzvollen Auftritten in kulturellen Gefilden.
W. & L.T.’s Idee der Wichtigkeit und hochgradigen Bedeutungsaufgeladenheit des nur vordergründig neutralen Oberflächen- und Trägerdesigns markiert einen Grundansatz der Ausstellung. Das rote Regalsystem findet eine strukturale Entsprechung im Ausstellungsdesign der Wiener Gruppe Propeller Z. Im Mittelsaal plaziert sich ein gigantischer Computerchip in diffusem Lindengrün, aus dem verschieden grosse Teile ausgestanzt und als multifunktionale Design- und Trägerelemente durch das Gebäude verteilt sind. Betritt man den grossen Saal, der fast zur Gänze mit diesem homogenen Gebilde gefüllt ist, hat man den Eindruck einer gewaltigen Datenwüste, in die sich blinkende Computerterminals, sitzende und tippende Menschen, Fashionmagazine, Sub-Kulti-Plattenteller, Absolut-Vodka-Bar sowie Vortrags- und Clubpeople gleichermassen einklinken: Die Gegenwart als Zukunft als immateriell-ebenmässiges Modedesign mit sanft zirkulierender Peacestimmung.
Mit diesem sogenannten "System Carrier" trifft "Fast Forward" die signifikantesten Aussagen bezüglich des Looks der Zukunft. Sein Chip-Design schreibt alles, was da liegt und steht und hängt und flimmert in den Progress-Diskurs des schnellen Technologie-Vorlaufs ein und plastifiziert und skulpturalisiert den Diskurs der Immaterialisierung von High Tech und Information. Dieses "neutrale Kleiderständersystem" sagt explizit, dass homogene Oberflächen, Medialisierung und Virtualisierung von Informationen die zukünftigen Modeästhetiken sind, die alles überziehen und/oder strukturieren werden. Statt dies aber weiter zu thematisieren und aufzuzeigen, wie sehr mediale Inszenierungen von Mode inhaltliche Codierungen und Konstruktionen sind, die zwar den Modekomplex produzieren und mitkonstituieren, aber sich nicht zwangsläufig mit der tatsächlichen Modeproduktion decken müssen, reihen sich ziemlich quantitativ Modefacette an -facette, Highlight an Highlight: Von Martin Margielas/Mark Bothwicks auf eine riesige Transparentscreen projizierter 3-teiliger Modeshow 2000-1 über Purples Diashows alltäglicher Leute und Orte, zu Susan Cianciolos seltsam-aufregenden Videos spannungsgeladener Körperinszenierungen (in einem Clip hängt z.B. eine Frau in einer Seilkonstruktion, in einem anderen machen sich zwei Frauen über einen Mann her) bis zu Yohji Yamamotos/Inez van Lamsweerde & Vinoodh Matadins Postern und Katalogen ist alles versammelt, was Rang und Namen hat. Bloss die lokale Wienerszene scheint mit Ausnahme des mittels Slipmates und Plattencovern ziemlich karg vertretenen Labels ____fabrics interseason®, einem höchst spannenden Subunternehmen von sabotage communications, respektive neuerdings subetage, sowie dem Label Wendy & Jim nicht "künstlerhauswürdig". Damit aber wird nicht nur die Chance verpasst, eine noch relativ unetablierte Szene zur Diskussion zu stellen, sondern damit verbunden auch konkrete Produktionskontexte und eigene Distributionssysteme, die es in Wien z.B. mit dem "Modebus" gibt.
"Fast Forward" zeigt also auf einer rein visuellen Design-Ebene und unter eklatanter Aussparung ökonomischer Tatsachen, dass die Image-Industrie der zunehmend wichtige Teil der Fashion-Industrie ist. Damit schafft sie sich den nicht zu schlagenden Vorteil, eine schön homogene und genussvolle Show ohne lästige Störgeräusche anzubieten und erfüllt damit perfekt, was der Titel impliziert: Einen schnellen Vorlauf in die Modewelt, in der lediglich das rausfällt, was sich nicht ins Medium einpasst. Die Ausstellung bleibt damit eine faszinierende, oberflächendeckende Simulation des Symptomatischen, ohne den Schritt auf einen reflektierten Metadiskurs zu wagen.



Yvonne Volkart

Zur Ausstellung erschien ein Katalog mit vielen nützlichen Adressen sowie zwei Webites: www.fastforward-k-haus.at und www.navigator.at. GastkuratorInnen: Christian Muhr und Ulrike Tschabitzer.