Wien/Basel. Matthew Barney. Cremaster 1, 1998

Die Arbeiten des US-amerikanischen Künstlers Matthew Barney, insbesondere die drei fertiggestellten Videos Nr.1, 4 und 5 aus der auf fünf Teile geplanten Cremaster-Videoserie, werden von der Rezeption durchgehend sowohl als Auseinandersetzung mit dem Biologischen, resp. dem Fortpflanzungssystem interpretiert, als auch mit dem Androgynen, dem pränatalen Zustand des Embryos vor seiner geschlechtlichen Ausdifferenzierung. Dabei wird nicht nur einhellig vorausgesetzt, dass es einmal einen (paradieshaften) geschlechtslosen Zustand gegeben hat, sondern es wird auch suggeriert, dass uns Barney den progressiven Weg dorthin zurück schon recht weise. Schaut man sich die Ausstellung in der Kunsthalle Wien genauer an, kann man seine Arbeiten kaum als notwendige Verschmelzung der Kunst mit dem Geheimnis der Biologie (so etwa die Kunstkritikerin Thyrza Nichols Goodeve) noch als Plädoyer für ein Jenseits der Geschlechter verstehen. Zwar lassen sich Barneys Arbeiten eindeutig als Allegorien der Produktion des posthumanen Körpers, des Cyborgs, mithin des Körpers als Fiktion lesen, doch sind sie, trotz der Repräsentation von Natur als konstruierte Künstlichkeit, keine Dekonstruktionen der dominanten Bio- und Geschlechtsdiskurse, sondern nachgerade deren kunst- und machtvolle Verstärkung.

Der Hauptraum der Kunsthalle ist symmetrisch gegliedert: ein durchgehendes, rot-blau-gehaltenes Fries, links und rechts an den Wänden in chirurgischem Plastik gerahmte Videostills und Zeichnungen, in der Mitte, auf blauem Astroturf, ein ausladender Tisch mit einer weissen Eierstockskulptur und zwei Speculi, im hinteren Raum ein hängender Monitor mit dem Cremaster-1-Video. Dessen Szenario ist ein Fussballstadion mit tanzenden Revuegirls einerseits und zwei darüber schwebenden Luftschiffen andererseits. In beiden Luftschiffen befinden sich je ein Tisch voll mit entweder roten oder weissen Trauben, je vier wartenden Stewardessen in Uniform sowie der gretchenblonden, fetischhaften Goodyear. Im Dessous, mit Strümpfen, Strumpfhaltern und Schuhen bekleidet, windet sie sich embryonal unter dem Tisch, klaut Trauben vom Tisch, die sie durch ihre Schuhe wie ein Füllhorn oder Anus unverdaut wieder auswirft und dahockend in fortpflanzungsähnliche Ornamente legt, nach denen die Revuegirls unten tanzen. Die Kamera fährt zwischen die Beine, richtet sich auf die Scham, die Füsse, die Schuhe. Die soldatenhaften Stewardessen vertreiben sich das Warten auf die Landung mit Rauchen, Herumsitzen und gegenseitiger Kontrolle, es erinnert an das Warten auf eine Geburt, die Kamerafahrt in die schwarzen Guck-Löcher hinein, die den Ausblick auf das Station eröffnen, bestärkt diese Assoziationen.
Cremaster 1 handelt entgegen Barneys, von der Rezeption breitwillig übernommenen Aussagen, nicht von der Verhinderung der Geschlechtsdifferenz, sondern re-inszeniert wird vielmehr eine im Geschlechtsbinarimus befangene metonymische Reduktion der Frau auf den Reproduktionsapparat, respektive eine Ineinssetzung von Fortpflanzung mit Weiblichkeit. Dies alles unter der unsichtbaren Oberherrschaft von Cremaster, einem Muskel, der das Auf- und Ab der Hoden reguliere und im Film in vollentwickelter weiblicher Sexyness namens Goodyear alias Marti Domination wie ein Kind, oder ein Künstler oder ein Biotechnologe Organmuster legt. Barney referiert auf die traditionelle Geschlechterdichotomie, um diese posthumanen Frauen als neue, abnorme Natur einzuführen und die Satzung biotechnologischer Herstellbarkeit des Menschen zu demonstrieren. Die Abkoppelung der Reproduktionsorgane vom Leib befreit zwar auf den ersten Blick die Frau vor dem Gebärzwang, nur aber um in einem zweiten Akt Reproduktion und Weiblichkeit umso fester miteinander zu verschweissen und die Frauen nun, wie die soldatinnenhaften, sterilen Stewardessen nahelegen, mit dem Schreckgespenst der Tod- statt Leben bringenden nutzlosen Cybporgfrau zu identifizieren. Das kann natürlich alles ironische Inszenierung bekannter Männerphantasien sein, deren Angst vor der kastrierenden Frau, wie auch die vagina-dentata-artigen Zeichnungen im Hauptraum mit ihren Löchern und fixierenden Klammern suggerieren. Die quantitave, witzlose Ästhetisierung stereotyper weiblicher Fruchtbarkeitssymbole, der redundante Charakter der Inszenierung mit den immergleichen Zeichen und Symbolen aus dem Barneykosmos sowie die ziemlich undiffenziert einer Abschreckung/Faszination dienenden Speculi auf dem Tisch - von Feministinnen längst als Zeichen medizinischer Introspexion der Frau und deren Kurzschliessung mit Gebären und Krankheit erkannt - bestätigen aber den Verdacht, dass sich hier - jenseits aggressiver Ironie - hypertrophe Tautologien unverrückbar festgesetzt haben. Diese aber lassen sich als Neuauflage jener bedrohlichen Eros- und Thanatos-Phantasmen lesen, wie man sie allesamt aus den diversen Jungesellenmaschinen-Träumen kennt, die Michel de Carouges schon vor 50 Jahren präzisierte, sondern auch als fraglose Perpetuierung biologistischer Nivellierungen. (28. November 1997 bis 8. Februar 1998 und 28. März bis 28. Juni)
Yvonne Volkart