Die andere Seite (der Kritik)

»The Making of«. Der Titel dieser vom Wiener Künstler Mathias Poledna kuratierten Gruppenausstellung in der EA Generali Foundation mit Dorit Margreiter (Wien/Berlin), Nils Norman (New York), Simon Leung (Los Angeles/New York) und Poledna selbst ist programmatisch. Unterlegt ist ihm die Frage, wie heute Kunst, die nicht ausschliesslich innerhalb eines selbstorganisierten, autonomenen Kontextes zirkuliert - und das tut die meiste Kunst - wie sie in institutionellen Kontexten »gemacht« werden kann, ohne sich ständig legitimieren oder präventiv auf mögliche Instrumentalisierungen reagieren zu müssen, aber auch ohne diese Bedingungen naiv oder opportunistisch auszublenden. Welche Instrumente und Verfahren hat eine solche Kunst zur Hand? »The Making of« stellt dabei zur Disposition, ob den allseits beschworenen Vereinnahmungstendenzen von Institutionen widerstanden werden kann, um kontextabhängige «issues« kontextbezogen zu artikulieren.

Betritt man die Ausstellung, sieht man sich als erstes einem Stapel aufeinandergeschichteter, partiell aus der Decke gelöster Lichtschutzverkleidungen gegenüber. Der übliche Weitblick in den grossen Hauptraum ist versperrt, der Nebenraum erscheint zugänglicher, die Decke ist offen, was den homogenisierenden Gesamteindruck des Raumes aufbricht. Dieses vom Künstlerkurator initiierte Michael-Asher-artige Grundszenario definiert ästhetisch die historische Bühne, auf der das Spiel stattfindet: Die Aushöhlung der Institution wird auf diese Weise zu einer Voraussetzung stilisiert, was - entgegen der Meinung der Kritik -etwas anderes ist, als Michael Ashers Eingriffe zu ästhetisieren. Gefragt werden muss jedoch, ob, wo und wie diese Arbeiten die Kritik, die sie modellhaft suggerieren, einlösen.

Im ersten Nebenraum befand sich ein halbstündiges Video von Mathias Poledna über die Mailänder Fondazione Feltrinelli, einem Studienzentrum zur Geschichte und Theorie der Arbeiterbewegung. Dieses an die Wand gebeamte Video beginnt mit dem Besuch beim Leiter des Zentrums, der uns durchs Haus führt. Als wiederkehrende Strukturelemente blenden sich Hochspannungsleitungen, ein Strommast, eine Busfahrt ein, dazwischen allzu kurz, als dass sie wirklich Informationen liefern könnten, Zeitungsartikel über den Gründer der Fondazione, den linksradikalen Verleger Giangiacomo Feltrinelli, der sich 1972 bei der Sprengung eines Strommastens umbrachte. Die Struktur des Videos erzeugt Bewegung und Vernetzung, während der biedere und abgeklärte Institutsleiter ein altes Dokument nach dem andern hervorzieht. Der Verdacht, dass diese im Unterschied zu EA-Generali-Foundation politisch motivierte Fondazione den Anschluss ans Heute verpasst hat, weil es die Arbeiterklasse in dieser Form nicht mehr gibt und die Fondazione sich mit dem Sammeln der Dokumente zufriedengibt, mithin, dass diese linke Fondazione möglicherweise ebenso bestimmten bürgerlichen Interessen dient wie die Foundation, wird durch die Installation Polednas bestärkt: Das miefige Korkbraun der Sitzbank, auf der wir neben dem Projektor sitzen, und der »Pinwand« an der Wand hinten suggeriert Biederkeit, der Schriftzug der Fondazione, im Logo der EA-Generali-Foundation geschrieben, eine Analogie. Diese Analogiesetzung beider Institutionen, die mit der Wahl der Fondazione Feltrinelli ziemlich willkürlich ist, redet aber nicht einem Relativismus das Wort, sondern macht deutlich, dass es keine per se politisch korrekte oder unkorrekte Institution geben kann. Was die [?kann Wort nicht lesen] von »politischen« Haltungen betrifft, so sind vielmehr die jeweils konkreten, wie der Institutsleiter sagen würde, »technisch kompetenten Befragungen« und Einsichten entscheidend.

Was also können KünstlerInnen, die an Kritik festhalten, demzufolge tun? Sie können zum Beispiel die Produktionsbedingungen analysieren und sie am konkreten Beispiel dieser Institution untersuchen. Das ist jedenfalls der Vorschlag von Dorit Margreiter, die in ihrer multimedialen Installation »Into Art« den vielschichtigen Konstruktionscharakter von Institutionen aufzeigt. Im Zwischenraum zweier, am Rand des langen Hauptraums modellhaft gegeneinander gestellter Wandpanele, steht ein Monitor, in dem eine Art Vorspann zu einer TV-Serie aus dem Kunstmilieu läuft. Starring: die ArbeitnehmerInnen der EA-Generali-Foundation, deren Gesichter und Namen in Wien Beheimatete mehr oder weniger kennen. An der hinteren Wand steht das Storyboard dazu, das in einer halb authentischen, halb fiktiven Form die Angestellten und deren persönliche, soziale, ökonomische, politische und ideologische Verstrickungen in den Betrieb vorstellt. Alle Angestellten haben fiktive Namen und Beziehungsmuster (Geliebter, Freundin, Schwester), die zwar gewisse Überschneidungen und Ähnlichkeiten mit der realen Situation beinhalten mögen, aber auch durchkreuzen. Anhand dieser Personen werden zudem mögliche Themenfelder skizziert, wie »wirtschaftlicher Nutzen von Kunst», »Aktivismus und (Kunst-)Praxis«, homosexuelles »Outing« oder »Job versus künstlerische Arbeit«, ohne aber zur Video-Ausführung zu kommen: Die eigentliche Serie findet nur im Kopf statt. Margreiters montageartige und fiktionalisierte Medialisierung von »Into Art« reinszeniert nicht nur »The Making« einer Institution und derer ArbeitnehmerInnen, sondern inszeniert auch »The Making« eines ganz anderen, ungleich viel kritischereren Skripts. Dieses siedelt sich zwar im Innern dieser Institution an, indem es die Grenzen und Bedingungen dieser Institution artikuliert, überschreitet diese aber auch, indem neue Konstellationen aufscheinen, deren Realisierung aber letztlich offen gelassen werden. »The Making of« heisst also auch, trotz gewisser fernsehästhetischer »Affirmationen« den Vorspann zu einer anderen TV-Serie zu liefern und damit den Ort, aus dem heraus etwas produziert wird, zu lokalisieren.

Im selben Raum präsentiert Nils Norman seinen »Proposal 10«, ein Vorschlag zur Umgestaltung der Generali Foundation in die »Generali Model Micro Farm and Socius/Psyche Urban Machine for Affirmative Alternative Practices« oder »The Generali Multiple Exchange Machine«. An der Wand hängen drei weisse Tafeln, die die Verwandlung der Generali in ein Ökosystem A, B und C beschreiben, daneben steht auf einem Sockel das Miniaturmodell dazu. Nils Normans allegorische Antwort auf die Frage nach den Möglichkeiten künstlerischen Tuns lautet, dass die Angestellten der Foundation das Gebäude mit ihren eigenen Issues füllen und eine autonome Foundation erstreben sollten. Die Frage, wie diese Autonomie umgesetzt würde, ob die Angestellten wirklich die neuen AkteurInnen und welches die neuen Inhalte und Ziele sein könnten, werden jedoch etwas vorschnell halbironisch und schematisch beantwortet, so dass Normans »Proposal 10« für einen utopischen Entwurf leider nicht taugt. Norman schreibt: »Unter Berücksichtigung der Vorstellungen des Generali-Versicherungskonzerns werden Strategien zur Schaffung einer autonomen Foundation entwickelt«. Was ist das für eine Autonomie, die die Vorstellungen des Konzerns berücksichtig? Und wie unterscheidet sich eine solche von der der Foundation? Um diese Pseudo- oder Semi-Autonomie zu erreichen, die auf einer Art Subsistenzwirtschaft basiert (Anbau eigener Ökokulturen, Campus für UmweltaktivistInnen, Tausch- statt Geldwirtschaft, Programm für experimentelle Lichttherapie etc.), soll die Kunstsammlung der Generali verkauft werden. Damit aber wird wieder einmal die herrschende Meinung bestätigt, dass Kunst konsolidierend wirke und in einer vermeintlich richtigen, weil nicht entfremdenden Arbeitssituation sowieso überflüssig sei, und dass das eigentlich Wichtige nur existentiell codierte Orte des Überlebens sein können (neben der erwähnten Bio- und Psycho-Nische sind ein sicherlich löbliches »Zentrum zur Erforschung und Entwicklung alternativer Energien und Praktiken« oder ein subversives »Archiv für Architektur des zivilen Widerstands« geplant). Der fragwürdige Korrekturcharakter dieses Projekts wird jedoch nicht thematisiert, sondern ironisch umgangen, wodurch sich das Projekt den Boden unter den Füssen wegzieht. Kurzum, obwohl die Verbindung von Konzept- mit Puppenstubenästhetik einen gewissen Charme hat, muten diese Vorschläge eskapistisch an. Hätte Norman hingegen seine Involvierung ins Kunstsystem zur Diskussion gestellt und zum Beispiel utopische Modelle von Selbstorganisation im Kunstbereich angesprochen, hätte »Poposal 10« ziemlich brisant werden können.

Während die Ausstellung vorne ziemlich leer wirkt, überrascht eine/n Simon Leungs »Squatting Project/Wien« im hinteren Raumteil durch Überfülle. Mehr als hundert zu niedrig, als dass man sie stehend betrachten könnte, gehängte s/w-Fotos dokumentieren, wie sich Simon Leung vor jedes Gebäude, das sich im Besitz der Generali befindet, hinhockte (englisch »to squat«). Etiketten geben Verwendung und Bereich jedes Gebäudes an. Diese Fotografien wurden mit der Diaprojektion der offiziellen, ungleich viel repräsentativer wirkenden Fotos der Generali Versicherungen konfrontiert. Wer sich schon mit Simon Leungs Schriften (die leider in der Ausstellung fehlen) befasst hat, weiss, dass er sich auf Marcel Mauss' Aussage in »Les techniques du corps« bezieht, dass die Menschheit in eine, die hocke, und in eine, die sitze, aufteilbar sei. Das Hocken/Squatten fasst Leung als sanfte Form des Widerstands (der Unterprivilegierten) auf. Im Kontext von »The Making of« könnte dieser Gedanke eine ziemlich subversive Allegorie sein, wenn sie ästhetisch ausdifferenziert worden wäre und sich nicht damit begnügte, ihn hundertfach zu illustrieren. So aber führt die endlose Akkumulation von Kapitalbesitz, hockendem Künstler und squattender Betrachterin zu keinem überzeugenden Vorschlag von Handlungsfähigkeit, die wohl mit dem Setting symbolisiert wird. Warum muss jedes Gebäude registriert und etikettiert werden, was soll die Quantität besagen? Kritisieren diese Dokumente à la Hans Haacke die Grundstückpolitik der Generali, oder repräsentieren sie eine Analogie zur Sammlungspolitik? Wo läge der Vergleichspunkt? Und wenn man annimmt, dass Leung damit die Besitz- und Verfügungsfrage aus der Sicht des minoritären Squatters zu formulieren sucht und auf gewaltlose Aneignung setzt, bleibt der allegorische Charakter eher unverbindlich.

Diese individuellen Schwachpunkte erklären jedoch nicht, warum diese [differenzierte und ästhetisch verdichtete, eventuell weglassen?] Ausstellung von der Kritik so einhellig verworfen und unter Formalismusverdacht gestellt wurde. »Absolut linientreu verhält sich diese jüngste Generali-Produktion«i, unterstellt ihr die Kritik und schliesst mit einem Wort die unterschiedlichen Positionen der KünstlerInnen mit den Zielen des Versicherungskonzerns kurz. Statt nachzufragen, ob, wie und wo die KünstlerInnen die veranschlagten institutionskritischen Referenzen mitdenken, wird pauschal von einer »Werkzeugkiste dekorativer Gesten« gesprochen, der sie sich räuberisch bedienten. Und bevor die entscheidende Frage gestellt wird, weiss man schon die Antwort: »Bei Institutionen wie der Generali Foundation, die die Institutional Critique mittlerweile zu ihrer Corporate Identity entwickelt hat, führt künstlerische Kritik nur zu Imagegewinnen.«ii Heisst das mit anderen Worten, dass es, falls man bei einer Institution (wie der Generali Foundation und letztlich bei jeder öffentlichen Institution, weil jede Institution bestimmte, von den KünstlerInnen nicht zu kontrollierende Interessen vertritt) ausstellt, keine Rolle mehr spielt, was man macht, wie man es macht und ob man sich kritisch situiert? Mit anderen Worten: Ist Kunst ein solcher Unterhaltungsfaktor geworden, dass man alles, nur nichts Kritisches machen darf? Diesen pauschalisierenden Fatalismen seitens der Kritik, für die (institutions-)kritische Methoden anscheinend epochale Stile sind, die von einer jüngeren Generation von KunstproduzentInnen nicht weitergedacht werden können und dürfen, stellt »The Making of« eine modifizierte Auseinandersetzung entgegen. Ihr geht es, wie zu Beginn gesagt, nicht nur um die Dekonstruktion der Institution, sondern vielmehr um die Lokalisierung und Positionierung des eigenen kritischen Standorts. Mithin, diese KünstlerInnen sind nicht dort, wo die Kritik sie verbissen zu plazieren sucht. Im Gegensatz zu deren totalem Pessimismus aber, der davon ausgeht, dass alles von einer durchkapitalisierten Institution (für die der Name Generali Foundation exemplarisch steht, weil sie die Kunstinstitution eines internationalen Versicherungskonzernes und deshalb schlimmer als alle anderen Kunstinstitutionen ist) restlos vereinnahmt wird, handeln ihre Arbeiten von der Hoffnung, dass durch eine entsprechende ästhetische Medialisierung kritischer Themen andere Bahnen eröffnet werden können.

Yvonne Volkart

EA Generali Foundation, Wien: The Making of. Simon Leung, Dorit Margreiter, Nils Norman, Mathias Poledna. 5. Februar - 12. April 1998. Im Anschluss an die Ausstellung erscheint ein Katalog mit einem Text von Christian Höller und KünstlerInneninterviews mit Sabeth Buchmann und Nikolas Tobier.


i Johanna Hofleitner, in: Die Presse, Wien, o.D.
ii Vitus H. Weh, in: Der Falter 7/98, Kunstforum, o.D.