Bad Girl der Kunstszene: Sue Williams

In den letzten Jahren ist ein gesteigertes öffentliches Interesse von Medien und Ausstellungsbetrieben an der Kunst von Frauen wahrzunehmen, die die Konstruktion von (weiblichem) Geschlecht und dessen Verortung in der Gesellschaft thematisieren. Die jungen Künstlerinnen reinszenieren den weiblich codierten Status als Sex- und Schönheits"objekt", als Herrin des Schlafzimmers, Prostituierte oder Exhibitionistin innerhalt einer vor allem heterosexuellen Ordnung.
Zu Beginn der Auseinandersetzung war mir oft nicht klar, welche "Partei" die Künstlerinnen einnehmen, ob sie traditionelle Frauenbilder affirmativ oder kritisch-subversiv angingen oder nicht. Die Medien hingegen feiern die 90er-Jahre-Künstlerinnen im grossen und ganzen als neue Feministinnen und beteuern gleichzeitig, dass die Zeiten der trockenen Frauenrechtlerinnen engültig passé seien. In auffälliger Weise, und ohne dass darauf hingewiesen würde, dass sich die feministische Diskussion sowieso in einer höchst differenzierten und polemischen Debatte befindet, wird das alte Feindbild vom Emanzenfeminismus aufrechterhalten, wenn nicht gar verstärkt. Ein Zitat aus dem Vorwort des Londoner Ausstellungskatalogs Bad Girls soll dies erläutern: "At grassroots level, younger women have rebelled against the puritanism and high moral ground claimed by 70s and 80s feminism in order to reconcile politcs with pleasure. Against the background of this wider cultural transition, the work in Bad Girls might be seen as a reaction against the hard-edged didactic work created during the 80s by artists such as Cindy Sherman, Barbara Kruger and Jenny Holzer."
Wie gesagt finde ich auch, dass sich mit der neuen Generation einiges geändert hat: die Grenzen zwischen Anpassung und Ueberschreitung sind fliessender, die Haltungen ambivalenter, der Opfer-Täter-Diskurs fragwürdiger geworden. Die Argumentation dieses Zitats scheint mir aber exemplarisch für eine ganze Reihe zeitgenössischer Rezeptionen, die immer den Anschein erwecken, als müssten die uneindeutigen Positionierungen legitimiert und die eindeutigen der Ideologie beschuldigt werden. Unüberhörbar wird dann der bekannt patriarchale Ton, in dem Spass und Lust gegen puritanisch gesinnten Hard-Core-Feminismus ausgespielt wird. Als Rettung bietet sich der Frauentypus an, der den vermeintlichen Widerspruch glücklich vereint und den zeitgenössischen Forderungen - nämlich sexy und PC zu sein - entspricht. Das Label heisst Bad Girls und deckt ziemlich vieles ab, das in Form von Ausstellungen , Spielfilmen oder Kalendern (zur Zeit noch eher aus dem angloamerikanischen Raum) auf uns einschwappt. In obigem Vorwort heisst es weiter: "Irreverent, personal, shocking, funny and fey, Bad Girls dares to attack on two fronts at once: offending proscriptive feminism as well as the reactionary forces of patriarchy."
Vergessen werden die treibenden Kräfte in den 60er Jahren, und die aus den 70er und 80er Jahren werden in einem Dworkinesken Normapparat subsumiert. Unterschlagen werden dabei alle jene Positionen, die schon damals sehr wohl lustbetont und feministisch arbeiteten, und sich oft auch vom (aus heutiger Sicht) als damaliger Mainstream-Feminismus gewerteten Kontext absetzten. Probates Mittel, um die neue Frau - das Bad Girl - zu propagieren, scheint die Entstellung respektive Verunmöglichung einer Genealogie zu sein. Die Künstlerinnen selbst haben zum Teil ziemlich Mühe mit dem Etikett Bad Girl und würden sich selbst nie so bezeichnen. Denn Bad Girl hat ja auch etwas Despektierliches: Es macht eine erwachsene Frau zu einem unreifen Geschöpf, das querschlägt, rummotzt, Machosprüche lanciert und eine Hure ist. Ein solches Mädchen turnt ex negativo wieder an - besonders die Gutsituierten - ist aber letztlich weder ganz ernst zu nehmen noch besonders wirkungsvoll.
Ernstnehmen aber wollen die Organsiatorinnen der Bad-Girl-Ausstellung die Künstlerinnen dann doch, und: "die reaktionären Kräfte des Patriarchats" sollen schon auch angegriffen werden. Wie nett!
Als Beispiel möchte ich die als Bad Girl gehandelte, an allen Bad Girls-Ausstellungen partizipierende US-Amerikanerin Sue Williams (geboren 1954) kurz anschauen. Sie scheint schon deswegen (rein biographisch und authentisch also) zum Bad Girl prädestiniert, weil sie vor der Künstlerinnenlaufbahn ihren Lebensunterhalt als Prostituierte verdiente. Vielleicht ist es aber auch die rohe und trival anmutende, die auf Unmittelbarkeit und Authentizität machende Bildsprache, die ihre badness garantiert? Vielleicht ist es das Zusammenkommen von Härte, von Geisselung, aber auch Faszination an und von Gewalt?
Meiner Meinung nach beziehen diese Bilder ihre Stärke von daher, dass sie Widersprüche offenlegen; Widersprüche, in denen sich Frauen heute befinden, die nicht mehr Opfer sind, geschweige denn sein wollen, aber innerhalb eines Systems operieren (müssen), das (auch gegen sie) repressiv wirkt. Williams scheint deshalb ein Bad Girl zu sein, weil sie satirisch ist, weil sie Alltagsrealitäten schonungslos überzeichnet, hässlich macht und einer durchgängigen Struktur von Gewalt und Herrschaft unterordnet.
Vor allem die früheren Bilder, weniger die ganz neuen, sind dem Typus der trivialen Bildergeschichte - Comics und Karikaturen - verwandt; hineinverwoben sind Vorher-nachher-Effekte oder Phantasmagorien, die nie linear, sondern facettenhaft, gleichsam wie Erinnerungen, ablaufen.
In "Dinner with a dog" (1988) sitzen ein Mann und eine Frau händchenhaltend am Tisch - ein Bild trauter Zweisamkeit. In Form von Gedankenblasen sieht man, dass der Mann sich am Boden liegend imaginiert, von einem Hund (die Frau!) am Geschlechtsteil geleckt. Versatzstücke von einer Hand, die an einen Busen grapscht, ein Penis wie ein Revolver usw. schieben sich ein. Auch in "I began to see" ist die Privatheit ein Ort, an dem sexuelle Machtdemonstrationen seitens des Mannes stattfinden: Eine Frau liegt ausgestreckt da, schaut direkt einen auf sie gerichteten Schwanz an, derweil wir das Hinterteil des Mannes sehen, der sie zuvor mit seiner Scheisse beglückte. Auf der längsgestreiften Tapete im Hintergrund steht, vertikal geschrieben, ein Muster gleichsam: "I began to see that they didn't respekt me for who I really was".
Ein solcher Satz ist offensichtlich didaktisch und könnte ebensogut einer Arbeit von Barbara Kruger oder Jenny Holzer entstammen. Während es auf der bildlichen Ebene oft überhaupt nicht auszumachen ist, inwiefern Szenen häuslicher Gewalt lediglich nachgezeichnet und unkritisiert stehen gelassen werden, sind die fragmenthaften Sätze, Titel und Kommentare zum Teil ganz eindeutig engagiert, oder zumindest so ironisch, dass ein Bruch v.a. zwischen Text und Bild geschieht, der einen reibungslosen Sehgenuss empfindlich stört. In "Off-Screen Rita" (1992), einem Bild mit einer sich exhibitionieren, die Zunge einladend aus dem Mund herausstreckenden Frau, steht zusätzlich zum Beschrieb ihrer sexuellen Vorlieben: "IT MAKES ME FFEL GOOD KNOWING I'M MAKING SOMEONE ELSE FEEL GOOD." Da macht sich Williams lustig über die Stereotypen weiblicher Ideologiebildung, in denen es darum geht, im Hintergrund der Privatheit den Mann zu umhätscheln und umsorgen. Ob Vamp oder Domina, letztlich wird deren latent oder manifest subalterne Rolle als Mami austauschbar.
Was die Bilder relevant macht, ist die Tatsache, dass das Private als sozial codierter Ort dargestellt wird. Der Unterschied zwischen Ehepaar und Freier/Prostituierte, zwischen Wohnung und Bordell wird verwischt und als Raum entzifferbar, an dem sich wiederholende Settings mit sich wiederholenden Strukturen stattfinden. Diese Strukturen, die nichts anderes als häusliche Machtmechanismen sind, werden besonders evident in der Beziehung zwischen (weiblichem) Kind und (männlichem) Erwachsenem, dem das Kind hoffnungslos ausgeliefert ist.
Sue Williams, die selbst eine Betroffene ist, thematisiert die Verbindung von sexuellen Uebertretungen, die im Kindesalter stattfinden und Ess- oder eben auch Liebesstörungen im Erwachsenenalter. In "Girl with Kitten" (1991) hält ein kleines Mädchen eine Katze in der Hand und weint. Von hinten sieht man Hinterteil, Beine und Geschlechtsteile eines Mann, riesengross dargestellt, als ob sie der Sicht des Mädchens entspringen. Diese bedrohliche Frontalsituation ist ausweglos und schraubstockartig: das Kind befindet sich zwischen den Beinen des Mannes und kann sich allein an seine Katze krallen.

Mit "Uncle Bud" (1992) wird den im Kindesalter vergewaltigten Frauen ein Denkmal gesetzt. Auf einem Sockel erhebt sich die statuarische Situation des Uebergriffs am Mädchen seitens des Onkels. Die Tat ist genauso dargestellt wie es so oft in der Realität geschieht, nämlich dass der Wunsch des Onkels auf das Kind projiziert wird. Der Onkel sagt: "Was sagst du da? Höre ich: Kann ich ihn schlecken?" Aber das Kind antwortet: "Nein, geh weg." Williams verleiht dem Kind die Möglichkeit, nein zu sagen. Sie benennt die Projektion: "FANTASIES OF YOUNG GIRLS AS DIRECTED BY SOME MIDDLE-AGED SLOB". Unten schlingt sich ein Band um das Podest: "IN MEMORIAM TO THE FUTURE BULIMICS" und "A SLOW SUICIDE OF WOMEN".
In den anderen Bildern von Williams scheinen die Erwachsenen aber nicht mehr nein sagen zu können. So wie formal die einzelnen Facetten und Handlungsteile zunehmend ineinanderverwoben und -verdichtet, kaum auseinanderzuhalten sind, bilden die psychischen Abhängigkeiten und komplizenhaften Verstrickungen ein unentwirrbares Netz schuldhafter Tatbestände. Williams Bilder sind Reminiszenzen und Wiederholungen dumpfer, gewalttätiger Sexualität, und dies nicht nur auf inhaltlicher, sondern eben auch auf der formalen und malerischen Ebene, die sich vor allem in den neuesten Bildern zu labyrinthischen Geflechten verdichten und eben das sind, was man gute, und nicht schlechte, Malerei nennt.

Williams benennt die Zwanghaftigkeit des Systems. Wenn eine Frau scheinbar lustvoll auf Männern herumtrampelt, mit den Absätzen in deren Augen sticht und den Penis zerquetscht, wenn die Frau damit die phallische, kastrierende Mutter verkörpert, dann wird aus Williams Bildern heraus jedoch völlig klar, dass die Frau das als Komplizin des Mannes, aus dem Systemzwang heraus tut, und sie tut es nicht, wie es etwa ein Pornostreifen evozieren würde, aus purer Lust.
Obwohl ihre Bilder ständig als so "funny" und unideologisch rezipiert werden, liegt ihnen eine dogmatische Struktur zugrunde, die sich in jedem Bild wiederholt: Der Mann ist der Täter, die Frau das leidende Opfer oder die lustvolle Komplizin. Die schonungslose Enthüllung von Zwangsmechanismen, repräsentiert durch die zwanghaft anmutende Wiederholung zwanghafter Inhalte, macht sicherlich die Stärke und auch die Bedeutung für einen feministischen Kontext von Williams Bildern aus. Aber die Bilder sind ein Widerspruch, oder - sie machen den Widerspruch offen: Die Nivellierung auf die Opfer/Komplizin/Täter-Situation dient einerseits sicherlich der Dekonstruktion patriarchaler Systeme, kippt aber andererseits um in Faszination und Ausgeliefertheit. Das ständige Zitieren und Beschwören reduktionistischer Herrschaftsmomente installiert diese nocheinmal. Und nocheinmal können die BetrachterInnen unmittelbar und vielleicht kathartisch durchgehen. Aber eine kritische Distanz, die diese Maschine auch mal leerlaufen liesse und verabschieden könnte, fehlt. Wenn Williams lustig ist, dann deshalb, weil sie sarkastisch ist.

Yvonne Volkart, August 1994