Gespräch mit Roman Signer, 4.10.1993
R.S. Mich kann man schnell missverstehen. So kommt man immer wieder mit den vier Elementen hervor, das ist aber zu einfach und regt mich langsam auf. Man glaubt, es passe auf mich und bringt das immer wieder. Wo ist denn die Erde bei mir?

YV Das habe ich mich auch gefragt, wie ich das gelesen habe und denke, dass Du es mit dem Flüssigen hast.

RS Ja, Sand ist für mich auch etwas Flüssiges, eine trockene Flüssigkeit. Mich interessiert der rinnende Sand. Wenn ich einen Sandkegel mache, ist es kein Erdhaufen. Sand hat einen bestimmten Winkel, den man aufschütten kann, dann rutscht er ab. Er entsteht immer nur durch Rinnen, er entsteht von selbst. Das ist mir besonders wichtig, etwas zu machen, das von selbst entsteht.
YV Das ist mir auch aufgefallen, wie wenn Du Dich aus den Sachen raushalten wolltest.
RS Ja, ich möchte der Natur den letzten Gestaltungsakt überlassen. Schon sehr früh habe ich mich diesbezüglich geäussert, dass ich meine Sachen nicht fertigmachen will. Nur die Konstruktion machen, innerhalb derer die Natur selbst spielen kann. Z.B. die Sandtreppe. Da habe ich schon früh gewusst, ich als Mensch mache die Treppe, aus Holz und Eisen, ich lasse Sand hinunter, und die Natur hat das fertiggemacht. Die Natur macht das fertig, oder was man immer als Natur anschaut, das lassen wir mal weg, aber auf jeden Fall eine andere Kraft, eine anderes Wesen als mein Intellekt. Und da gibt es manchmal natürlich auch Ueberraschungen. Man kann schon sagen, dass ich das Ganze sorgfältig plane, das stimmt, aber es kann immer noch ziemlich anders werden, als man es sich vorstellt. Das ist meine Form von Arbeiten mit der Natur. Da gibt es ja auch z.B. den Hermann de Vries, der mit Laubblättern schafft, mit Gräsern, das ist wunderbar, mit Erde, Samen. Ich bin nicht so. Ich bin eher ein Konstrukteur.
YV Total. Das ist mir immer wieder aufgefallen. Und in diesem Zusammenhang könnten wir vielleicht auch auf die psychischen Dimensionen zu sprechen kommen, die Du in Deinen Sachen zu gestalten scheinst. Z.B. etwa in Deinem "Ballon mit Hocker", oder die Arbeiten mit dem Stuhl.
RS Richtig, das hat ganz allgemein mit der Unsicherheit des Menschen zu tun, dieses Kippen, dieses Umkippen, dieses Misstrauen gegenüber stabilen Sachen. Ich habe natürlich nicht unbedingt direkt eine Freude an den Katastrophen, gut, einmal abgesehen davon, aber Erdbebeben, Ueberschwemmungen, Lawinen usw. sind mir immer schon kollosal nahegegangen. Nicht, dass ich mir das herbeiwünschte, ich schaue dies ganz nüchtern an, fast als Gestaltungsvorgang. Gut, mich interessiert das halt ganz einfach, diese Formen, immer nur Formen, das ist immer mit Formen verbunden, mit Transformationen. Man sagt dem Zerstörungen vielfach, diese Kreativität der Natur, diese Lockerheiten, gut, man kann dem Zufall sagen, was unheimlich ist, der Natur kommt einfach alles in den Sinn, man kann dies spüren. Aber ich will nicht als der Zerstörungswütige dastehen, der bin ich eben auch wieder nicht. Es gibt z.B. Tabus, ich würde nie einen Baum in die Luft sprengen, niemals, das ist ein absolutes Tabu.
YV Ich möchte jetzt vielleicht einmal etwas Uebertriebenes formulieren, aber Deine Gewaltakte wie Schiessen, Durchlöchern usw. haben ja immer etwas zu tun mit einem Durchdringen von etwas, man könnte an eine Penetration denken.
Signer (lacht) Ja sicher hat es hier eine geheime erotische Sicht drinnen oder eine Sexualität ist sicher da.
YV Aber man kann es nie eindeutig sagen...
RS Sehr häufig Erotik... Aber gibt es eine Kunst, die ganz unerotisch ist?
YV Aber Deine Sachen finde ich stark erotisch. Und ich kenne viele Leute, die das ebenso finden.
RS Ja, dann ist es so... Kennst Du Iwan Wirth, von der Sammlung Hauser & Wirth? Da war eine amerikanische Künstlerin, ich glaube Pat Horn zu Besuch und die hat was von mir gesehen und gerufen oh "crazy", "geil" and "sexy". Ja, und ich wusste gar nicht, was daran so sexy ist, aber sie muss es irgendwie gespürt haben. Das ist vielleicht irgendeine Triebfeder. Manchmal ist es auch schon peinlich gewesen, weil ich gar nicht so weit gedacht habe.
YV Es scheint wie in die Sachen hineinzugehen...
RS Man könnte natürlich auch sagen, das ist männlich, diese Penetration, vielleicht, aber ich weiss nicht...
YV Es scheint beides dazusein, wieder zB. der "Ballon mit Hocker", mit diesen Schwellungen, scheint wieder was Partialobjektartiges hineinzuspielen...
RS Ja, ich könnte nicht sagen, es ist nur das Eine, es hat beides.
YV Vieles scheint wie eine Art Geschlechtsverkehr darzustellen, und das nur Männliche wäre dann ja neutralisiert...
RS Man könnte vielleicht von Organismen sprechen, ja, es sind Organismen.
YV Die miteinander kommunizieren, und so körperlich wirken.
RS Das geht natürlich über die Physik hinaus. Ich meine, es ist doch lächerlich, wie immer behauptet wird, dass das die Natur sei. Ich habe das nie so gesehen, nie so empfunden. Ich habe immer gesagt, ich denke gar nicht mit dem Kopf. Ich denke mit ... (unverständliche Passage). Am liebsten bin ich schon in der Natur und unabhängig. Ich bin nicht antireligiös im Sinne von kämpferisch antireligiös. Dass man gegen die (unverständlich) fluchen muss. Ich habe sogar eine grosse Liebe zur Natur, ich liebe diese Vorgänge, ich liebe sogar die Katastrophen merkwürdigerweise...(unverständlich) aber ich bin nicht boshaft. Vielleicht habe ich etwas Koboldhaftes. Ich weiss es auch nicht. Ich wäre vielleicht ein Alchemist geworden, das hätte mich fasziniert.
YV Witzigerweise habe ich mir die Frage nach Deiner Beziehung zur Alchemie notiert...
RS Obwohl ich keine Begabung zur (unverst.) habe. Aber als Kind habe ich viele Stoffe genommen und sie erhitzt und verbrennt, damit etwas anderes entsteht. Ganz eigenartig. Ich weiss noch genau, wie ich lange mit einem anderen Kind darüber nachgedacht habe, wieso bei einem Würfel, ....Metall gleichschwer ist. Das sind doch Fragen, womit sich ein Kind damit beschäftigt. Und ich habe mich sehr damit beschäftigt. Ich bin dann daraufgekommen, dass das die Luft ist. Und das ist eigentlich selbstverständlich. Na ja, man kann natürlich jetzt darüber lachen, aber ich meine, mit solchen Problemen hat sich Archimedes und andere hohe Philosophen beschäftigt. Wir wissen einfach nicht alles. Das ist nun alles so selbstverständlich. Aber das sind doch Grundfragen. Also mich interessieren deshalb auch Gummis so sehr. Wenn ich einen Gummi spanne, brauche ich doch meine Kraft. Spanne ich z.B. den Gummi in einem Raum und lasse den 10 Jahre oder länger so. Wohin geht dann meine Energie? Das ist doch eine Frage. Wo geht denn meine Kraft hin? Man sagt, die Kraft gehe verloren, aber auf der Welt ist jede Kraft der Transformation unterworfen. Jede Kraft geht in ein anderes Wesen über, in eine andere Kraft. Es geht keine Kraft verloren, keine Energie auf der Welt. Es ist immer die gleiche Energie