Wildernde Gezähmte. Figurationen von Widerspenstigkeit in zeitgenössischer Videokunst
Im Film »The Office-Killer« aus dem Jahre 1996 zeichnet die U.S.-amerikanische Künstlerin Cindy Sherman eine Frau, deren Job im Zuge von Deregulierung, Flexibilisierung und Feminisierung von Arbeit zu einer Teilzeitstelle zu Hause und auf Abruf mutiert wird. Mit einem Computer und einem Modem alleingelassen, stürzt sie zuerst in tiefste Depressionen, bevor sie zur rächenden Mörderin an ihrem Chef wird. In einem weiteren Akt von Selbstermächtigung macht sie sich die vielfältig propagierten Möglichkeiten der digitalen Technologien - realiter ein Mittel zu ihrer Unterdrückung - radikal zu eigen: Via e-mail kaschiert sie den Mord als Selbstmord und braust in einem tollen Cabriolet auf und davon. Die letzte Einstellung des Films enthüllt das anfängliche hässliche Entlein als selbstbewusste Blondine mit sexy Sonnenbrille, die sich souverän in eine optimal vorgespurte Zukunft steuert.

Dieser Film zeigt eine zur Widerspenstigen gewordene Gezähmte. Mehr schlecht als recht versucht sie zunächst, sich mit den neuen gegen sie gekehrten Bedingungen zufrieden zu geben, verzweifelt aber daran. Dann fasst sie sich und ordnet die Verhältnisse im Geheimen so, dass sie - ganz privat und allein - wieder gut und glücklich leben kann. Die Protagonistin zettelt keine politische Angestelltenrevolte an, höchstwahrscheinlich ortet sie sich nicht einmal gesellschaftlich. Sie kämpft lediglich ums eigene Überleben,und das tut sie radikal und unangepasst. Widerspenstigkeit ist ein Akt der Selbstermächtigung, der »weibliche« subalterne Weg des Widerstands gegen diskriminierende Verhältnisse. Sie ist nicht Abarbeitung am Bestehenden oder politisch artikuliertes Handeln: Sie ist ein individueller Aufruhr, ein radikaler Überlebensgestus der minoritären, diskriminierten und weiblichen Klasse von Menschen, die zutiefst spüren, dass sie die schlechten Verhältnisse nicht ändern, sondern dass sie Wege finden müssen, mit und in ihnen zu leben, damit sie nicht zu Grunde gehen. Das ist Flexibilität pur und hat weder mit Opportunismus noch mit Fatalismus etwas zu tun. Widerspenstigkeit ist, im Gegensatz zum (offenen) Widerstand, purer Nihilismus, gekoppelt mit dem Lebenstrieb, und insofern libidinös und destruktiv.

»Widerspenstig ist das, was sich nicht fügt, was sich nicht glätten läßt. Eine dumme Haarsträhne oder eine Falte, die sich unerwünscht aufgeworfen hat und nur mit besonderen Mitteln, mit technischem Aufwand oder mit Desinteresse zu bewältigen ist. Oder aber mit Humor. Widerspenstig ist etwas. Widerspenstiges hat eine körperliche, eine erotische Dimension. Und im Begriff klingt - erwünscht-unerwünscht - etwas an, das lange Jahrhunderte Weibliches markieren wollte: ein Unwissen, eine Unbewußtheit - und Trotz. Ein kindlicher, fast rührender Ungehorsam gegen das, was sich als unverrückbar und fest behaupten kann. Aber auch ein Ungehorsam ohne erklärtes Ziel, gedankenlos, planlos, anarchisch, der vom Bestehenden auf Dauer nicht geduldet werden kann. Hier setzt die Legitimierung aller Maßnahmen gegen das Widerspenstige an. Das Widerspenstige ist bedroht von gewaltsamer Beugung oder Desinteresse. Noch das Lachen kann es vernichten, wenn es seine ernsten Motive verkennt.« Das schreibt die Kunsthistorikerin Ute Vorkoeper zur Ausstellung »Widerspenstige Praktiken im Zeitalter von Bio- und Informationstechnologien«, die ich im Frühjahr und Sommer 2000 kuratierte.
Mit diesen Sätzen zur erotisch-weiblich-körperlichen Dimension des Widerspenstigen trifft sie genau das, was mich veranlasste, auch hier im Kontext von <hers> nochmals dieses Wort zu verwenden: Es assoziiert »Weiblichkeit« in allen Schattierungen und balanciert zwischen (patriarchaler) Zuschreibung und feministischer Selbstartikulation. Der Auslöser für den Titel war Shakespeares »Der Widerspenstigen Zähmung«, ein Stück, dessen Hauptrolle ich selbst vor 20 Jahren spielte, und dessen andere, unterdrückte Botschaft ich, so wie viele Feministinnen, nie vergass. Eine andere Referenz ist Donna Haraways Cyborg-Figur/ation, die ich mir stets als ein ungezogenes altersloses Mädchen vorstellte. Ihr Cyborg Manifesto (1984), das sie als einen »ironischen Mythos« verstand und in dem sie die Figur und Trope der Cyborg als eine feministische Überschreitungsfantasie propagierte, stellt einen wichtigen Knotenpunkt in (post-)feministischer Theorie dar. Einer Politik der Selbstermächtigung und Artikulation verpflichtet, forderten diese Theorien immer wieder Figurationen weiblicher »Subjekte« jenseits simpler Identitätspolitiken. Sowohl Haraway als auch Rosi Braidotti u.a . plädierten dafür, Grenzverwischung und Hybridität zu geniessen, den Zustand der neuen Bedingungen mit ihrer »Informatik der Herrschaft« (Haraway) als Chance für neue Subjekt- und Identitätsentwürfe und Allianzen zu begreifen - was die Protagonistin in »The Office Killer« ja auch bespielhaft tut. Wichtig an diesen Ideen scheint mir, dass das Moment der Lust und des Genusses sehr stark in den Vordergrund rückt - und zwar bei einem Prozess, der mit sehr viel Verlust, Auflösung und der begründeten Angst vor neuen Formen der Unterdrückung zu tun haben könnte. In dieser produktiven Uminterpretation eines auf einer bestimmten Ebene schlechten Zustands zu einer Chance auf einer anderen liegt meiner Meinung nach ein wesentliches Moment (post-)feministischer Ansätze, wie es auch meiner Idee von Widerspenstigkeit entspricht.

»The Office Killer«, die erste Kino-Produktion von Cindy Sherman - dem Flaggschiff feministischer Kunstinterpretation sozusagen - zeigt aber noch etwas: Zeitgenössische (Video-)Künstlerinnen können mainstreamkompatibel sein. Dieser an ein Massenpublikum gerichtete Film mutet mit der strukturellen Einfachheit des Plots, der weiblichen Identifikationsfigur und der Frauenpower hollywoodreif an. Widerspenstige Frauen haben nämlich Hochkonjunktur - man denke bloss an den Erfolg eines Filmes wie »Thelma and Louise«, mit dem »The Office Killer« Ähnlichkeiten hat, obzwar er ungleich viel kapitalismuskritischer und feministischer ist. Letzteres deswegen, als er die aufmüpfige Protagonostin nicht in den Tod, sondern in die mögliche Freiheit fahren lässt. Mit anderen Worten: Es herrscht ein grosses Bedürfnis nach Widerspenstigen - ein Wunschpotential, das Hollywood, Fernsehen, Independent Film und Videokunst gleichermassen, wenn auch mit unterschiedlicher Ästhetik und Komplexität, sowohl weckt als auch befriedigt. Auch wenn Hollywood und Soap Operas tendenziell einfachere Strukturen bevorzugen, kann man nicht daraus schliessen, dass Künstlerinnen generell komplexere, alternativere und kritischere Produkte oder widerspenstigere Widerspenstige schaffen würden.


Die Basen des Informationszeitalters knacken
Eine Figur, die im 21. Jahrhundert stark das Image der Widerspenstigen vertritt, ist die im Geheimen operierende Hackerin. Die U.S.-amerikanische Künstlerin Toni Dove konzipierte 1998 den ersten Teil einer Trilogie mit interaktivem Video und Soundinstallation, »Artificial Changelings«, dt. Künstliche Wechselbälger, das die Geschichten zweier widerspenstiger Frauen aus zwei Jahrhunderten verknüpft. Die eine ist Arathusa, eine Frau der bürgerlichen Oberschicht aus dem Paris des 19. Jahrhunderts, die, wie anscheinend viele andere Oberschichtsfrauen damals auch, den Verlockungen der schönen Waren in den neu eröffneten Kaufhäusern nicht standhalten konnte und sich zur leidenschaftlichen Kleptomanin entwickelte. Der Kitzel des Gefährlichen und Unerlaubten beim Klauen irgendwelcher Nichtigkeiten beschert ihr ein aufregendes Leben, in dem sie sich über die alltäglichen Ordnungen bourgeoiser Weiblichkeit hinausheben kann. Als Produkt der kapitalistisch-bürgerlichen Ökonomie zersetzt sie schleichend dessen Gesetze, ohne diese jedoch öffentlich anzuprangern. Die andere ist Zilith, die Hackerin, die in Datenbasen eindringt und Informationen abzapft. Ausser dass sie die diffusen Bewegungen der neuen dezentralisierten Machtdispositive erkunden wolle, erfährt man nicht viel über die Inhalte und Beweggründe, die die Hackerin zu ihren Aktionen bewegen. Die künstlerische Botschaft scheint bei beiden Frauen die Facetten ihrer Überschreitungen zu sein, ihre inhaltlichen Motive interessieren Dove nicht. Dieser Aspekt wird durch die Art und Weise der interaktiven Installation verstärkt, die kurz gefasst so gestaltet ist, dass man als Betrachterin durch Hin- und Hergehen sowie Hand- und Armbewegungen vor dem Screen den Lauf der Handlung und die diversen Einblicke in die Charaktere mehr oder weniger selbst bestimmt. Das Gemeinsame und Verbindende dieser Dreier-Konstellation ist das Moment der Bewegung, des Eindringens in das Reich der anderen und des Sich-Vernetzens. Das bewirkt eine körperliche Annäherung, ein Suchen, ein Tasten, ein Nicht-Wissen auf seiten der ZuschauerIn, analog zu den Ausschweifungen der Kino-Figuren. Die interaktive Installation bietet ein Setting an, das zur (symbolischen) Identifikation mit den beiden Widerspenstigen aufruft, in der es nicht primär um politische Inhalte, sondern um die sabotierende »Politik« (im Sinne von Praktik) unbewusster Triebe und Wünsche von Frauen im Kapitalismus geht.

Schon seit längerem befasst sich die Hamburger Künstlerin Cornelia Sollfrank mit der Recherche von weiblichen Hackern und machte dabei die Erfahrung, dass es ein völlig männerdominiertes Feld ist. Nichtsdestotrotz konizipierte sie eine mehrteilige Video-Serie, in der sie Interviews mit Hackerinnen führt. Im Dezember 1999 lernte sie beim jährlichen Hackertreffen des Chaos Computer Clubs CCC eine U.S.-amerikanische Hackerin kennen, mit der sie das Videointerview »Have Script, Will Destroy« führte. Bedingung war, dass die Frau mit dem Codenamen Clara G. Sopht anonym bleiben und keine Konkretionen zu ihrer Tätigkeit geben wollte. Das Resultat ist ein sehr theoretisch geführtes Interview über aktuelle Formen politischen Widerstands, konterkariert mit verführerisch-schönen, geheimnisvoll-diffusen Bildern einer Frau mit Sonnenbrille und Kappe, die sich in einem Low-Tech-Szenario bewegt. Auch hier fehlt letztlich die konkrete Botschaft der Frau, wichtiger ist ihre Repräsentation als reflexive und in undurchsichtige politische Zusammenhänge involvierte Agentin, die behauptet, die ideologischen Basen des Informationszeitalters zu hacken.

Den dritten Typus einer Hackerinnenmenmentalität kreierte Kristin Lucas mit ihrem Video »Involuntary Reception«, einem work in progress. Darin spielt sie eine Frau, die frontal aufgenommen, über sich und ihr Leben mit einem Körper spricht, der ein riesiges elektromagnetisches Stromfeld (EPF) hat. Dieses Feld sieht man im Video als Form eines sich ständig bewegenden blitzartigen Zackenstreifens, sie selbst ist von einer Art Aureole erleuchtet, welche das Stromfeld kennzeichnet. Es bewirkt, dass sie überall, wo sie sich befindet, Störungen und Interferenzen in elektronischen Geräten auslöst, das heisst sie kann eigentlich nirgends hingehen, ohne zu stören und etwas kaputt zu machen. Am unauffälligsten kann sie sich in Grossraumbüros oder in einer Menge bewegen, weil da immer irgend etwas los ist und sie in der Masse verschwinden kann. Sie erzählt davon, wie sie aus Versehen jemanden mit einem Herzschrittmacher und ihre geliebte Katze umbrachte; und im Wasser zu schwimmen traut sie sich deswegen auch nicht. »The scary part is that I can’t predict - what I’m going to do... I’m like a freak, I don’t know.« Es ist ihr irgendwie mutierter Körper, der das tut, denn sie selbst scheint und bemüht sich, ein nettes, normales Mädchen zu sein, die sich auch nicht für »terroristische« Akte anheuern lässt, wie etwa Harddisks vorsätzlich zu löschen. Wegen ihres starken Stromfeldes kann man sie nicht elektronisch aufnehmen, denn es löscht umgehend alles aufgezeichnete Material. Das erlaubt ihr eine gewisse Privatheit, die sie andererseits kaum hat, weil sie ständig negativ auffällt und weil auch viele hinter ihr her sind, um ihrem körperlichen Rätsel auf die Spur zu kommen. Natürlich wird sie ständig überwacht, z.B. vom FBI oder CIA, und natürlich erklärt sie nicht warum, weil die metareflexive Position nicht die ihre ist. Sie spielt das Symptom, das Produkt einer durchtechnologisierten (Kontroll-)Gesellschaft, in der alle Spuren aufgezeichnet und decodiert werden können, in der der Körper seinen Wert allein als Informationsträger hat, in der niemand mehr privat sein kann, in der Datenschutz und Kryptografie ein Politikum sind und in der es auch keine Intimität und wenig Liebe gibt.
Lucas’ Protagonistin ist eine Superheldin und anerkannte Spezialistin, die sich durch Unauffälligkeit zu decken sucht. Sie verkörpert und pervertiert am eigenen Leib die Ideologien und Zustände unserer Zeit: »I’m my own sub-subculture«. Authentizität wird durch ständige Geräusche und Pipstöne oder durch Bildstörungen - Ersetzen ihres Bildes durch aufgezeichnetes Videomaterial - suggeriert, aber es ist gleichzeitig klar, dass »Involuntary Reception« die artifizielle (Low-Tech-) Performance einer fiktiven Figur ist. Denn von ihren Fähigkeiten erfährt man eigentlich nur durch ihre Erzählungen, die stockend, manchmal verworren und höchst widersprüchlich sind. Manchmal ist man nicht einmal mehr sicher, ob es überhaupt sie ist, die spricht. Damit wird der Illusionscharakter des Videos hergestellt, aber fast gegenläufig auch dessen Wahrheitsanspruch relativiert. Mythisch mutet ihre Herkunft an, über die dunkel gemunkelt werde, wie sie erzählt, und über die sie selbst nur soviel sagen könne, als dass immer eine grosse Liebe war zwischen ihr und ihren Eltern, die vermutlich eher nicht die leiblichen sind.
Ähnlich wie die bisher diskutierten Figuren hat auch diese keine weltverbesserische Botschaft. Ihre Widerspenstigkeit resultiert allein aus ihrem Nicht-anders-Können, aus ihrem So-Sein, das mit der Umwelt permanent kollidiert - mithin aus ihrer »biologischen Determiniertheit«. Dieser Biologismus ist aber durch ihr cyborgartiges Wesen, das längst schon jede Natürlichkeit eingebüsst hat, ironisch gebrochen. Die Gefahr, die ihr Körper für die Umwelt darstellt, besteht darin, dass es zu einer Art Verdoppelung und Verstärkung technoider Effekte kommt, die so nicht mehr tragbar scheinen, weil sie unkontrolliert und unkontrollierbar sind und weil sie von einem ausserhalb der dominanten Machtdispositive stehenden Individuum ausgehen.
Die widerspenstige Figur als Spiegelbild, als Abdruck und Produkt ihrer Zeit war auch das Thema von »Artificial Changelings«. Dieser Titel spielt wohl darauf an, dass die beiden Frauen im Prinzip auswechselbar sind, aber er lässt auch die Interpretation offen, die beiden als unnatürliche Reproduktionen, als Produkte ihrer Zeiten zu sehen. Möglicherweise ist auch Lucas’ Figur ein Wechselbalg, oder ein Findling, ein Cyborg aus dem Weltall oder eine Mutation. Zumindest ist ihre Abkunft irgendwie »unnatürlich«.

Biological Warfare
Dass Widerspenstigkeit quasi genetisch bedingt ist, weil der Widerstand als unbewusster im Körper selbst lokalisiert ist und sich damit der Diskursivität zuerst einmal entzieht, macht ja, wie ich zu Beginn andeutete, das Spezifische, respektive das spezifisch Weibliche des Begriffs Widerspenstigkeit aus. Mit den bisher diskutierten Beispielen wurde auch klar, dass es nicht in meiner Intention liegt, solche Zuschreibungen naiv weiterzuschreiben, sondern sie vielmehr strategisch zu nutzen und aggressiv einzusetzen, weil in solchen hypertrophen Fiktionen eine Kraft liegt, die man vielleicht etwas vergessen und unterschätzt hat.
Eine fulminante und leibhaftige Inkarnation des Mülls unserer Zeit kreierte die U.S.amerikanische Videokünstlerin Jennifer Reeder mit der Figur »White Trash Girl«, aus der gleichnamigen Trilogie (1995-97). Wie Lucas spielt sie selbst die Protagonistin, deren Name ein Schimpfwort für die weisse Unterschicht ist. Der Vorspann zum ersten Teil »The Devil Inside Me« beginnt mit Geräuschen fahrender Autos und dem immer eindeutiger werdenden Bild eines Embryos. Darüber legt sich ein Text, der wie ein Märchen beginnt: »Once upon a time there was a little girl who was raped by her uncle. She got pregnant and flushed her baby down the toilet, then killed her uncle and herself. The baby wiggled around in the sewer sludge for a long long time. The ooze fed and nourished the baby, it made the baby strong - super strong. Her tiny baby body became more toxic with every tiny baby breath and every tiny baby heartbeat. None knew then that this weren’t no ordinary baby. This was a super baby. This was WHITE TRASH GIRL. Now, she’s all grown up and she’s waging biological warfare on any dumb fuck who asks for it. White Trash Girl is turbo charged and she’s coming at you faster than you can scream. HATCHET WOUND.« In der nächsten Einstellung sieht man eine coole Blondine mit schwarzer Sonnenbrille einen Kastenwagen fahren. Ein Polizeiauto verfolgt sie, und sie baut prompt einen Unfall. Der Polizist zieht die Pistole und schlägt die Scheibe ein, dann sehen wir sie rennen und sich verstecken. Als der Polizist kommt, schlägt sie ihn nieder und verprügelt ihn so brutal und gewalttätig, wie man es von einer Frau kaum je gesehen hat. Sie lässt Spucke aus dem Mund, zieht sie wieder ein, ein biologisches Befruchtungsbild schiebt sich ein, schwänzelnde Spermien, ein mandelbrotartiges Ovum, ein cyborgartiger Körper, dann spuckt sie, und wir sehen, wie ein Polizist mit einem grauenhaft zerquetschen Gesicht in den Krankenwagen geschoben wird. Dann geht »The Devil Inside Me« an, in welchem die Geschichte ihrer Zeugung und ihrer Existenz gezeigt wird.

Ihr Leben verdankt White Trash Girl mehreren Gewaltakten, die sie nicht nur abhärteten für die Brutalitäten des Lebens, sondern sie nachgerade als den legitimen Bastard einer »dreckigen« Gesellschaft auszeichnen. Sie kommt, um mit Donna Haraway zu sprechen, buchstäblich »aus dem Bauch des Monsters«, aus dem Untergrund (in seiner doppelten Bedeutung), dem Schlund und Abort dieser Stadt, und sie kann deshalb niemals unschuldig sein, auch wenn sie von ihrer gutherzigen Pflegemutter »Angel« getauft wurde. Zeugung mittels Vergewaltigung durch ein männliches Familienmitglied ist ein literarischer Topos der Underground-Literatur, z.B. bei Jean Genet oder Kathy Acker, der die Gewalt im ödipalen System, die permanente Unsicherheit und Ungeborgenheit, der sich Frauen v.a. im Haus gegenübersehen, klar benennen. Deshalb ist White Trash Girls wahres Zuhause die dystopisch anmutende urbane Stadtlandschaft. Immer wieder sehen wir sie mit pinkfarbenem oder glänzendem Minirock, Stiefeln - und im zweiten Teil der Triologie »Law of Desire« manchmal auch mit Cowboyhut - kraftvollen und breiten Schritts durch die Strassen und über Schutt und Müll stampfen. Kräftig gebaut, gross, monumental posiert sie auf einem Steinhaufen, eine Schönheit und Superheldin ganz anderen Zuschnitts. Greift ihr einer an den Hintern, wird sie zur keifenden »Shrew«, gibt es andere sexuelle Übertritte, spritzt sie zähe Flüssigkeiten oder schlägt die Täter gnadenlos zusammen.
Die ghettoartige Stadt ist ihr Reich, ihr Körper ist Teil davon, Stadt und Körper sind untrennbar eins. Das wird nicht nur durch die Herkunft Trash Girls aus dem Abwasserkanal und der Schlicke evoziert, sondern auch durch den Vorspann, wo das Bild des Embryos mit Autolärm überlagert wird und das Bild in das Auto fahrende Trash Girl übergeht. Durch die ganze Serie hindurch blenden sich regelmässig Einstellungen von Verdauungsorganen und anatomische Körperbilder mit besonders markierten Eingeweiden ein. Die Kamera fährt in die Speiseröhre wie in einen Tunnel, Speisebrei drückt sich durch diesen hindurch wie die Flüssigkeiten, die Trash Girl an die Angreifer verspritzt, oder die Schlacke, aus der sie stammt, Zähne blinken auf, wo vorher ein Steinhaufen war. Es ist alles ein Ineinander von Flüssigkeiten, Fleisch, Morast und Trümmern.
In »White Trash Girl« herrscht Krieg, das wird in »Law of Desire« durch rhythmische Einblendung von Kriegsbildern unterstrichen. Leben heisst hier überleben, und das gelingt White Trash Girl nur, weil sie es selbst radikal in die Hand nimmt und sich mit einem Netz von Freunden eine breite Sicherheitszone um ihren Körper - eine toxische Chemiewaffe -schafft. Denn soviel ist klar, dass auch die Polizei nicht für ihre Sicherheit sorgt, ganz im Gegenteil, sie sind die Hüter des weissen Bürgertums und verfolgen Minoritäten bis aufs Blut.

Um die politische Radikalität und zersetzende Kraft von »White Trash Girl« klar zu machen, möchte ich einen kurzen Vergleich zu Pipilotti Rist machen, deren Reputation ebenfalls die ist, widerspenstige Mädchen zu schaffen. Zudem nehme ich an, dass der Künstlerinnenname Pipilotti eine Referenz an die freche und autonom lebende Göre Pipi Langstrumpf ist - ein Vorbild für mehr als ein Mädchen unserer Generation. In der Videoarbeit »Ever is Over All«, die anlässlich der Biennale in Venedig 1997 gezeigt wurde, zeigt auch sie Frauen, denen die Strasse gehört. Das Video beginnt mit dem Bild einer Frau in hellblauem Kleid und roten Schuhen, die leichtfüssig die Strasse hinuntergeht. Sie ist mit einer riesigen phallusartigen Blume bewaffnet, mit der sie heiter lachend Autoscheiben einzuschlagen beginnt. Dann kommt ihr eine Polizistin entgegen. Aber statt dass nun der Kampf losginge, grüsst die Polizistin freundlich, und das Randalieren nimmt weiter fröhlich seinen Lauf. Im Gegensatz zu Reeders »Angel« scheint Rists hellblaue Schlägerin wirklich ein vom Himmel geschickter Engel zu sein, obwohl auch sie ein ziemliches Gewaltpotential hat. Aber die Szene bleibt nett und harmlos. Dieser Eindruck rührt nicht nur von der scheinbaren Leichtigkeit ihres Tuns und dem Fehlen einer wirklich gefährlichen Waffe, sondern auch von der augenscheinlichen Sisterhood zwischen Randaliererin und Ordungshüterin. Diese Welt ist auf dem besten Weg, ein Paradies zu werden, heisst das. Weg mit den stinkenden Blechkisten, hin zum Frauen-Flowerpower, denn Charme regiert die Welt. Die Motivation der Protagonistin, wenn überhaupt eine erkenntlich wird, ist am ehesten die, Spass zu haben und die Welt zu verschönern, vielleicht sogar zu verbessern. Das ist eine unmissverständlichere Rollenübertragung an die weiblichen Subjekte als wie wir sie bis anhin diskutierten. (Natürlich muss man sie nicht annehmen, das Ganze ist offen). Die Widerspenstigkeit hier ist keine dystopische, vom Überlebenstrieb gezeichnete, sondern eine utopische, die sich gewissermassen aus der Fülle und der Schönheit des Lebens speist. Dessen Möglichkeiten zur Überschreitung sind gross und lustvoll und werden mit vollem Herzen genossen. Auch wenn man diese Inszenierung weiblicher Lust an der Aneignung postfeministisch interpretieren kann, so ist letztlich doch ein Rückkoppelungseffekt in unsere Gegenwart, wie ihn die bisher diskutierten Arbeiten hatten und der eine Gesellschafts- und Kapitalismuskritik beinhalten würde, nicht gegeben. In diesem Fehlen des (auch nur indirekt) zu Benennenden liegt möglicherweise gerade der breite Erfolg und die Beliebtheit von Pipilotti Rist. Sie erfüllt den (ernstzunehmenden und sehr berechtigten) zeitgenössischen Wunsch nach Frauenpower perfekt, inszeniert dies aber auch mit ziemlich konventionellen Übertragungen, die komplexe Machtstrukturen unberührt lassen. Dass die Frau die Allegorie des Guten und Schönen ist, ist wirklich nicht besonders neu. Relativ neu ist, und das zeigt auch Hollywood seit ein paar Jahren, dass Frauen auch dreinschlagen können und wollen und dass ihnen das gefällt. Das ist gut so. Aber es reicht nicht, um radikal zu sein. White Trash Girl ist radikal und nicht mainstreamkompatibel, weil sie eine Rächerin ist, die klar erkennbare Motive hat, sich explizit gegen die alltäglichen und so gern verdrängten und vertuschten Diskriminierungen durch die herrschenden Klassen zur Wehr zu setzen. Rists Blechlawinenkritik mutet daneben eher naiv an, und sie ist auch versöhnlich, wo es, das lehren die Überlebensphilosophien der anderen Arbeiten, keine Versöhnung geben kann und niemals eine geben wird, sondern nur »HATCHET WOUND«. Auch Lucas’ Figur bringt den gesellschaftlichen Wunsch nach Mittelmässigkeit, Verdeckung des Realen und Kontrolle zur Sprache, obwohl respektive gerade weil sie einen »liebenswerten« Charakter schuf.

Driftende Subjekte
Zum Abschluss möchte ich ein Beispiel widerspenstiger Figurationen diskutieren, bei der das Skandalon des Widerspenstigen sich vorerst nicht durch den minoritären und subaltern-weiblichen Status der Protagonisten zu ergeben scheint - wobei sich diese Position, wie wir sehen werden, über andere Mittel dann doch herstellt - und wo, ebenfalls völlig im Gegensatz zu den bisher diskutierten Arbeiten, eine direkte visuelle Repräsentation der widerspenstigen Figur fehlt. Sie stellt sich gleichsam indirekt, musikalisch-textuell und im Zeigen anderer, »unpassender« Bilder her. Für ihr Video »Small Lies, Big Truth« (1999) verwendete die New Yorker Künstlerin Shelly Silver ausschliesslich authentische Exzerpte aus dem Starr-Report, dem Ergebnis der Untersuchung über Bill Clintons und Monica Lewinskys Verhältnis. Dass es sich bei den verwendeten Texten um den Starr-Report handelt, erfährt man allerdings erst nachträglich, im Abspann. Während des Betrachtens kommt einem einiges des Gesagten lediglich dunkel bekannt vor.
Das Video ist eine Art visuelles Hörspiel in mehreren Akten, bei dem es weder einen Höhepunkt noch einen dramatischen Schluss gibt. Es hört auf, wie es begann: mitten drin und fragmenthaft. Am Anfang und später immer wieder tönt ein heiseres, uralt klingendes und aus schrecklichen Untiefen zu kommen scheinendes Lied von Louis Armstrong über eine Affäre. Zu sehen sind lediglich Bilder von Tieren im Zoo. Weiters zu hören sind acht Stimmen, vier weibliche, vier männliche. Sie berichten von einer illegitimen Liebesbeziehung, genauer gesagt von intimen Körperhandlungen, Sex, Gefühlen, Wünschen, Hoffnungen, Ängsten, Unsicherheiten, dem Beginn der Story, den Unterbrechungen, dem Ende. Ein alltägliches Thema. Die verschiedenen Stimmen sagen oft den gleichen oder fast gleichen Satz, z.B.
Ken: She seemed attracted to me
Simin: She seemed attracted to me
David: He seemed attracted to me
Dadurch wird sowohl die Autorität der einen SprecherIn, der einen Wahrheit aufgelöst als auch die Evidenz der heterosexuellen Liebe. Die Vielstimmigkeit der Sprechenden, die Beliebigkeit des dritten Personalpronomens eröffnen die Möglichkeit vieler Varianten, Differenzen und Kontexte innerhalb des gleichen, quasi universellen Themas Sex und Liebe.
Die Details, die Reflexionen, berühren gerade wegen ihrer Banalität und Normalität, weil man sich als ZuschauerIn mit so vielem davon identifizieren kann und weiss, welche starken Gefühle, welche Einzigartigkeiten und Abgründe in dieser Allerwelts-Geschichte und der Schilderung ihrer sexuellen Praktiken stecken. Dabei starrt man auf Adler, Zebras, Präriehunde, Löwen und Elefanten, auf rührende Robben, spielerisch-kämpfende Affen, Kot fressende Hirsche, Hintern-beschnüffelnde Kamele und hört gleichzeitig dem Sprechen über intime Körperhandlungen zu. Der Körper- und Reproduktionsaspekt wird durch diese Zoobilder nicht nur extrem verstärkt, sondern es gibt gar keine andere Ebene als die triebhaft-wunschbesessene Leiblichkeit, deren Freiheiten allerdings nicht unendlich sind. Der Zoo mit seiner Animalität hinter Gittern, die Erzählungen der Liebenden mit ihren manchmal fast ans Unerträgliche grenzenden Ängsten, Schuldgefühlen, Zurückhaltungen, Triebunterdrückungen enthüllen eine Liebesgeschichte im Zeitalter ihrer Beobachtbarkeit und Investigation. Dass sie überhaupt stattfand und sich artikulieren konnte, dass diese Subjekte sich aufeinander einliessen und vielleicht sogar Liebe empfanden, dass ihre sichere Lebensbasis durch ihr Aufeinander-Zugehen ins Schwanken gerät, vor allem aber die Unmöglichkeit jeglicher hierarchischen Machtzuweisung, das ist das Widerspenstige in der Story von »Small Lies, Big Truth«.
Tracy: I never expected to fall in love with him. I was surprised that I did.
Ken: At times I believed that she loved me too.
Tracy: At times I believed that he loved me too.

Alle SprecherInnen sind gleichermassen in der Position variabler Krisenhaftigkeit, buchstäblich auf den Hund gekommen. Diese Position ist - traditionell betrachtet - eine weibliche. Hier ist keineR geschlechtsspezifisch phallisch, kastrierend, unterdrückend oder nutzniesserisch, weil jeder Satz die individuelle Gültigkeit des vorherigen relativiert. Dargestellt wird ein gemeinsam durchgemachter Weg in ein Gehege der Unsicherheit, des Zweifels, des kleinen Glücks. Bezieht man die Geschichte nachträglich auf Clinton, dann ist es auch der Niedergang eines herausragenden Staatspatriarchen in die private, weibliche, tierische, subalterne Position, in der Labilität herrscht und in der Intimität und Körperlichkeit der gesetzlichen Kontrolle, Überwachung und multimedialen Veröffentlichung unterworfen sind. Obwohl über dem Ganzen eine Tristesse und Melancholie lastet, die durch das Wechseln in Schwarz-Weiss-Bilder und eine invalid anmutende Schwerfälligkeit gewisser Tiere (Robben auf dem Land etwa) erzeugt wird, präsentiert sich das Jasagen der unsichtbaren Stimmen zum Leiblichen, zum Begehren, zum bewusstlosen Nicht-Wissen, zum nachträglichen Erkennen, zum Widersprüchlichen, zur subalternen Position des »Tierisch-Weiblichen« nicht nur als radikale anti-rationale, anti-pragmatische individuelle Handlungsweise, sondern nachgerade als »widerspenstige Praxis im Zeitalter von Bio- und Informationstechnologien«. Der Riss zwischen Musik, der Sprache der Körper und den Tierbildern ist ein nicht zu heilender.
Joan: I take full responsability for it. It wasn’t his fault it was mine.
Bill: I take full responsability for it
Kathy: It wasn’t her fault, it was mine.

Endnoten:

telepolis, http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/3556/1.html. Die Website der Ausstellung lautet: http://www.thing.net/~tenacity
Nancy Frasers Buchtitel »Widerspenstige Praktiken. Macht, Diskurs, Geschlecht« für die deutsche Ausgabe ihrer gesammelten Aufsätze hat mich auch beeinflusst (Frankfurt am Main, 1994). Allerdings wird im Buch selbst an keiner Stelle auf das Wort und dessen Assoziationen eingegangen, und es ist auch so, dass es kein adäquates Wort im Englischen dafür gibt. Meine Ausstellung in New York hiess »Tenacity«, und die Konferenz »Stubborn Practices«, beides meint eher Zähigkeit und Hartnäckigkeit. Und Shakespeares »Taming??? of the Shrew« geht sowieso in eine misogyne Richtung. »Shrew« heisst so etwas wie Xanthippe oder zänkische Frau.
Braidotti, Rosi: Nomadic Subjects. Embodiment and Sexual Difference in Contemporary Feminist Theory. New York 1994
siehe z.B. Aristarkhova, Irina: Cyber-Jouissance. For a Politics of Pleasure. Telepolis online, www.heise.de/tp, 1999
siehe dazu http://www.funnygarbage.com/dove
Auf http//:www.obn.org/hackers gibt es Material dazu sowie das Transcript des Interviews
Ich beziehe mich hier auf eine der ersten Versionen, die Lucas in Form eines Livestreams auf der in »Tenacity« und »Widerspenstige Praktiken« gezeigten website www.involuntary.org übermittelte.