Phantasmen der Reproduktion

Ort: Das Treppenhaus des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur.
Szenario: Eine Vitrine mit zwei LED-Leuchttowern und 1400 Lichtpunkten darauf, die innerhalb des Zeitraums der Ausstellung vom einen zum anderen Tower überwechseln. Gegenüber eine Videoprojektion mit rhythmisch herabfallenden Körpern und Aufschlaggeräusch.
Personen: Der Körper des Künstlers als Cyborg oder Klon.

Departure-Arrival/Arrival-Departure repräsentiert ein mögliches Modell dieses Ortes und dessen Ideologie: Ein magisch blinkendes Rechnersystem bringt homogene, kompakte Körper ewiger Jugend hervor. Unterschiedliche Haartracht - Kurzhaarfrisur versus Mädchenzöpfe - suggerieren Geschlechtsdifferenz, wechselnde Körperfarben Differenz schlechthin, allerdings ohne dass solche effektiv verkörpert wären: Weder primäre noch sekundäre Geschlechtsorgane noch ein Nabel deuten auf eine geschlechtliche Herkunft und Zukunft dieser wie vom Himmel herabfallenden Körper. Mithin, diese zukunftsträchtigen Körper, diese sich rhyhtmisch wie Ballone aufblähenden Bäuche, gehen nicht nur mit der Zukunft der asexuellen Reproduktion schwanger, sondern inkarnieren auch das willkürliche und ideologische System von Differenzkategorien wie Geschlecht, Rasse und Alter schlechthin. Ihre posthumane Abkunft personifizierend sagen sie, dass, auch wenn man unentwegt vom Verschwinden der Körpergrenzen und von der Expansion und Refigurierung des Körpers mittels neuer Körper- und Kommunikationstechnologien spricht, ideologische Differenzierungsmerkmale bestehen bleiben, - und dies, obwohl sie körperlich gar keinen Sinn mehr machen. Postfeministische Theoretikerinnen wie Rosi Braidotti oder Anne Balsamo gehen davon aus, dass mit dem Posthumanismus ideologische Kategorien sogar verstärkt werden, während tatsächlich bestehende Differenzen und Ungleichheiten negiert, homogenisiert und redesignt werden. Dieser tatsächliche ideologische Stillstand bei Suggerierung wesentlicher technologischer Änderungen findet im symmetrischen Wechsel der von der von links nach rechts hinüberspringenden Lichtpunkte seine modellhafte Darstellung: Nichts hat sich geändert, alles kann wieder von vorne beginnen.
Spätestens seit Das Zauberglas (1991) kreist Björn Melhus’ gesamte Arbeit mittels unterschiedlicher Narrationen und Visualisierungen um diesen höchst ambivalenten Themenkomplex von Verlust der (androzentrischen) Subjektivität durch die neuen Technologien und deren gleichzeitig restrukturierender Bedeutung für eine phantasmatische Selbstrekonstruktion und -produktion in der Virtualiät eines immateriellen Begehrens.
Die Krise der Männlichkeit, welche oftmals mit der unbewussten Wahrnehmung eines passiven Durchströmt- oder Implantiertwerdens körperfremder, äusserlicher Technologien und Energien einhergeht, hat sich immer wieder in phantasmatischen Bildern eines Zur-Frau-Werdens artikuliert. Viele (künstlerische) Gender-Bending-Erfahrungen und -Produktionen standen in einem historischen Austauschverhältnis jeweils gegenwärtiger wissenschaftlicher Neuentdeckungen und -erkundungen, respektive äusserten sich durch Technologien verursachte körperliche Ängste immer wieder im Bild der Zerrüttung fixer Geschlechtsdichotomien und -zuschreibungen: Die weiblichen alter ego-Konstruktionen Marcel Duchamps fanden im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts statt, als die wichtigsten Entdeckungen wie Röntgenstrahlen, Relativitätstheorie oder Automatenfotos gemacht wurden, diejenigen von Andy Warhol, Urs Lüthy, William Wegmann und anderen männlichen Künstlern in den 70er Jahren, als bio engineering einen wichtigen Schub durchmachte, bevor mit den 90er Jahren bio engineering und gender trouble in die nächste und aktuellste Phase gelangte. Mit anderen Worten: Der unbewusste, unheilvolle, aber auch faszinierende und neue Optionen ermöglichende Einfluss von Technologien auf die männliche Subjektkonstruktion wird je nach dem als Verweiblichung, Maschinisierung, Immaterialisierung oder Verflüssigung erlebt. Mit diesen Beispielen zeitgleich postulierte Schreiberfahrungen und Texttheorien von männlichen Autoren, etwa die écriture automatique der Surrealisten oder Roland Barthes Gewichtung vom Tod des Autors und der Bedeutung der Lust im Text, stellen die Abkehr von androzentrischen Subjektkategorien zugunsten neuer Sphären des Fliessens dar, die traditionell mit dem Weiblichen konnotiert sind, ein Umstand, den feministische Poststrukturalistinnen wie Julia Kristeva kritisierten. Sadie Plants cyberfeministische Ideen von der Weiblichkeit des Cyberspace und des digitalen Networkings in Zeros and Ones lassen sich insofern als die aktuelle technikbezogene Fortsetzung aus weiblicher Sicht eines jahrzehntelangen männlichen Auflösungsparadigmas interpretieren.
Mit diesen phantasmatischen "(Neu-)Funktionen" einer von ihrer ständigen Auflösung bedrohten Geschlechtsdifferenz arbeitet auch Björn Melhus. In einem letzten Akt der Selbstrasur versucht in Das Zauberglas das von einer fundamentalen Einsamkeit heimgesuchte männliche Subjekt noch einmal die Geschlechtsdichotomie zu inszenieren und sich durch die Flucht in eine glatte Männlichkeit vor dem drohenden Selbstverlust in die Sanftheit weiblicher Zonen zu retten. Doch es ist zu spät. Zum ersten Mal in seinem Leben erfährt er, so vernehmen wir, in der Vereinigung mit dem weiblichen alter ego hinter dem Bildschirm Sehnsucht und Glück: Weich fallen Haare und Blumen im Schlussbild zusammen. In Weit weit weg (1995) ist der Künstler als Hauptdarstellerin bereits zum liebenswerten Mädchen Dorothy mutiert, das, ebenfalls aufgrund seines existentiellen Alleinseins, sich mittels eines Handys eine Doppelgängerin schafft und verzweifelt versucht, ihr Spiegelbild zu sich nach Hause zu holen. Doch Dorothy II will eine Agentin der grossen weiten Welt werden, welche in Form von Nachrichtensendungen unaufhörlich auf sie einströmt. Bezeichnenderweise taucht Dorothy II genau ab dem Moment als Junge im TV auf, wo er/sie sich von ihrem Original abkoppelt und sich, in narzisstischen Imperialismusphantasien befangen, als manipuliertes und manipulatives Bildprodukt unendlich weiterreproduziert. Die Utopie von einem virtuellen Mädchen namens Dorothy hat sich zur Realität männlicher Selbstreproduktionsphantasien verkehrt, wobei sich die globalen Kommunikationstechnologien als Kontroll- und Reproduktionstechnologien entlarven. Analog dazu träumen in No Sunshine (1997) die ebenfalls in narzisstischer Selbstverliebtheit schwebenden kindlichen Zwillinge von einem männlichen "Überkörper". Ihr in einem synthetischen, uterusartigen Fleischkosmos befangener Traum von Männlichkeit und Reproduktion immaterialisiert sich unter Blitzen und Leuchten zu reiner kosmischer Energie und bringt die technoide Matrix inklusive sich selbst zur schaurig-schönen Implosion. Dasselbe Thema in Again & Again. The Borderer (1998): Die Person des Künstlers in Unterwäsche als schöpferischer, die phylogenetisch-asexuelle Reproduktion imitierender Demiurg. Hunderte seiner Selbst entspringen seinem Kopf, alle sind gleich und alles ist "wonderful", "fabulous" und "not cosmetics" - eine unaufhaltsame, gleichmachende Bildmaschinerie, denen die sympathische Anrührigkeit fehlt, die den verweiblichten alter egos infolge der Ungewissheit des Geschlechts innewohnte: Gender trouble hat sich zu männlichen Reproduktionsphantasmen verfestigt, die wie Kapitalströme durch das digitale Netz jagen. Während Melhus hier die Zwanghaftigkeit dieser Junggesellenmaschinenträume mit dem schönen Bild dekorativer Pflanzenornamente kurzschliesst und damit das männliche Reproduktionsphantasma als Redesign steriler Selbstentwürfe entlarvt, lässt er in Arrival-Departure/Departure-Arrival die Unheimlichkeit der Liaisons von Wissenschaft und Kultur für sich selbst sprechen. Yvonne Volkart

Yvonne Volkart ist Kuratorin, Kunstkritikerin und Dozentin für Deutsch und Neue Medien an der Hochschule für Gestaltung und Kunst, Zürich. Ausserordentlicher Lehrauftrag an der Universität für Angewandte Kunst, Wien sowie Seminare, Vorlesungen und an diversen Kunsthochschulen und -institutionen im In- und Ausland.