Kriegszonen: Körper, Identitäten und Weiblichkeit in der High-Tech-Industrie
Zu Ursula Biemanns Videoessay >Performing the Border< (1999). Ein Trailer davon wurde an der >Next Cyberfeminist International< gezeigt.

>Ich kenne Concha seit fünf Jahren. Sie kennt alle Möglichkeiten, wie man die Grenze überqueren kann. Ihre Strategien sind vielseitig und variabel>, hört man eine Stimme im off reden, während man eine Frau durch die Wüste fahren sieht. >Nachdem sie schwanger und von ihrem Ehemann verlassen wurde, musste sie sich ein neues Einkommen verschaffen.< Heute führe jene einen Service für Schwangere, die in den USA gebären wollen, in der Hoffnung, auf diesen Umwegen die US-Staatsbürgerschaft zu bekommen. Wer in der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juarez arbeiten will, hat als Frau drei Möglichkeiten: die Maquiladora , den Haushalt und/oder die Prostitution.
In ihrem 40-minütigen Videoessay >Performing the Border< geht die Zürcher Künstlerin Ursula Biemann am Beispiel von Ciudad Juarez der Frage nach, was für Körper, Identitäten und Geschlechter die globale High-Techindustrie an ihrem unteren Ende hervorbringt. Sie setzt da an, wo Donna Haraway in ihrem >Cyborg Manifesto< die in der Chip-Industrie arbeitenden Frauen mit dem Cyborgstatus gleichsetzt - und sitzen lässt. Den Subtext zum Video liefert jedoch nicht Donna Haraway, sondern die mexikanische Aktivistin und Künstlerin Berta Jottar, die in regelmässigen Abständen in Porträtaufnahme oder aus dem off sprechend erscheint, sowie der namentlich nicht erwähnte Theoretiker Mark Seltzer. Dessen Ideen über die Zusammenhänge von Fordistischer Industrialisierung und Serienmorden inspirierten Ursula Biemanns Voiceover zu einer weiterführenden Interpretation der in dieser Region stattfindenden ungeklärten Frauenmorden. >Performing the Border< ist ein vielstimmiger, visuell heterogener Dialog, in den eigene Video- und Filmrecherchen aus den Jahren 1998 und 1988 , Interviews mit Vertreterinnen lokaler Frauenorganisationen, Fernsehclips von der Grenze und von Firmen wie Philips sowie die Polizeidokus der Serienmorde dicht ineinander verwoben sind. Die Ästhetik des Videos suggeriert unausgesprochen, dass der Grenzort Ciudad Juarez über seine exemplarische Bedeutung als Ort der Ausbeutung im Kontext der neuen internationalen Arbeitsteilung und der Hoch-Technologie hinaus eine Metapher für Performanz und Konstruktion von Körpern, Geschlechtern, Identitäten, Nationen und Kapital überhaupt ist. Das geschieht in erster Linie durch das Setzen einer ständigen Bewegung, das nur manchmal durch die porträtierten sitzenden oder in den Nachtbars und auf den Strassen wartenden Frauen unterbrochen ist. Mit der Kamerafahrt aus einem Auto beginnt das Video, mit tanzenden Körpern endet es. Dazwischen die Bewegungen der in die Maquiladora strömenden Frauenmassen, die morgendlichen Busfahrten dorthin, die Autos und Reiter in der Wüste, das Ausgraben der toten Leiber, die flimmernden Bilder im Fernsehen, die virtuellen Bilder der Detonationen von Minenfeldern auf der US-Seite der Grenze und der Fahrt entlang der 500 km langen Grenze, das treibende Schlauchboot, die Lauftexte, die von Hand Wäsche waschende Frau, das die Strasse hinunter gehende kleine Mädchen: >Sie ist immer noch ein kleines Mädchen. Findet sie einen Weg, sich durch diese kulturellen Brüche zu steuern?< sagt die Stimme im off. Die Bewegungen der Kamera, der Filmmontagen, der Menschen können als die ästhetische Inszenierung eines Mobilitäts-Diskurses interpretiert werden, der die verschiedensten Felder mittels dieser gemeinsamen Eigenschaft ineinanderschaltet und damit strukturell gleichschaltet: der Rhythmus des Fliessbandes, der Fluss des Finanzkapitals aus dem Norden, der Menschen aus dem Süden, des weiblichen Begehrens, wie es sich in den Liebesliedern artikuliert, die in der morgendlichen Busfahrt oder in der Disco zu hören sind, und der Produktion weiblicher Körper - alles ist Effekt dieser Bedingungen. Aber >Performing the Border< ist mehr als eine visuelle Kritik des Pankapitalismus. Es ist auch der Versuch, Möglichkeiten weiblichen Lebens in einer Cyborg-Welt einer Neubewertung zu unterziehen und als singulär darzustellen.

Kampfplatz Körper
Vor über 20 Jahren liessen sich die ersten High-Tech-Firmen aus den USA in dieser Region nieder: >Innert Kürze wurde eine neue technologische Kultur von Wiederholung, Registratur und Kontrolle in die Wüstenstadt eingeführt.< Kontrolle als Modus der Produktion weiblicher Körper ist ein wichtiges Thema, doch Ursula Biemann zeigt nicht die modernen Techniken von Repression. Ebensowenig versucht sie, authentisch zu sein oder Intimes auszustellen. Sie lässt ihre Interviewpartnerinnen über jeweilige Lebenspraxen berichten und führt damit ein Moment der Distanzierung und Reflexion ein. Die Bedeutung von Kontrolle als Produktivkraft äussert sich darin, dass die bis in die Freizeit hinein durchregulierten Arbeitsrhythmen angesprochen werden, vor allem aber dadurch, dass die Frauenleben mit der Militarisierung und Medialisierung, mittels der die geografische Grenze ständig neu gezogen wird, parallelisiert wird. Diese Ineinandersetzung geschieht gleich zu Beginn, wenn zu den Sätzen Berta Jottars, die ihrerseits den performativen Aspekt der Grenze diskutiert, eine Infrarotaufnahme und ein Mann mit einem Überwachungsgerät vor den Augen gezeigt werden. >In gewisser Weise ist die Grenze immer als diese Wunde repräsentiert, die geheilt werden muss, die die geschlossen werden muss, die vor Verunreinigung und Krankheit geschützt werden muss. Sie ist wie ein Ort der Chirurgie.< Jottars Worte über die Landmarkierung erinnern an Körperdiskurse, an die Idee vom Körper als Kampfplatz, an offene und geschlossene Körper, an den weiblichen Körper, der traditionellerweise als Wunde repräsentiert wird.
>Gender spielt für das Finanzkapital eine Rolle<, sagt ein Lauftext. Biemann enthüllt das Leben an der Grenze als Set völliger Sexualisierung, wo trotz den Veränderungen tradititoneller patriarchaler Muster (Frauen sind zu Konsumentinnen einer Vergnügungsindustrie und Ernährerinnen ihrer Familie geworden) die Frau als stummes Arbeits- und Sexobjekt immer wieder neu installiert wird: Schönheitswettbewerbe in den Maquiladoras oder Firmeninserate, in denen explizit nach hübschen Mädchen gesucht wird, helfen patriarchale Strukturen im Zeichen der Globalisierung neu zu etablieren. In >Performing the Border< spricht keines der Mädchen in die Kamera. Nur die älteren Frauen, die Journalistinnen, Beraterinnen und Aktivistinnen, die Mütter der vermissten Mädchen oder die gefeurte Gewerkschaftlerin wagen es: >Die Maquiladora ist ein strategischer Punkt in der nationalen Ökonomie des mexikanischen Staates.<
Eine ältere Interviewte, die sich früher heimlich prostituieren musste um ihren Bruder zu unterstützen und mittlerweile in die Aidsprävention involviert ist, spricht von der aktuellen geschlossenen Grenze als vom >Krieg<, der den vom Norden strömenden Geldfluss ausdörrte und damit älteren Frauen wie ihr die Lebensgrundlage entzog. Sie zeigt ihr Baby und erzählt, wie sie es bekommen hat: Es sei ein >Geschenk< einer jungem HIV-positiven, Heroin abhängigen Prostituierten. Nichts ist natürlich in Ciudad Juarez, alles steht unter dem Diktat der kapitalistischen Maschine. Jottar formulierte es zu Beginn des Videos folgendermassen: >Man braucht diese die Grenze überquerenden Körper um den Diskurs vom Nationalstaat zu führen und auch um einen realen Ort als Grenze zu haben.< Und dieser Ort ist immer als gefährlicher Ort repräsentiert, der diejenigen das Leben kosten kann, die sich seinen Verboten nicht unterwerfen.
Seit 1994 wurden 140 Frauen umgebracht und in der Wüste verscharrt, viele Mädchen sind vermisst, viele Opfer unidentifiziert. Manchmal kommen nur noch einzelne Kleidungsstücke oder Körperteile zum Vorschein, oft sind die Kleider ausgetauscht. Das Muster bleibt immer gleich: vergewaltigt, erwürgt, erstochen, enthauptet. Man erfährt, dass die namenlosen Frauen gemäss ihren Wunden benannt und katalogisiert werden und dass die lokalen Fabriken nicht als ihre Arbeitgeber genannt werden wollen. Mit anderen Worten: Die tote Frau aus dem Süden wird zur Metapher einer permanenten Wunde, die immer als ein Effekt dieser Kriegszone repräsentiert ist. Biemann geht noch einen Schritt weiter und behauptet, dass die Art und Weise des weiblichen Todes gleichsam durch den Rhythmus der Maschinen präfiguriert ist: >Die schlagende, repetitive Gewalt von Serienmord lässt sich nicht von ihrer Verstrickung mit sexualisierter Gewalt und der Massentechnologie von Registratur, Identifikation, Reduplikation und Simulation trennen. Serienmord ist eine Form von öffentlicher Gewalt, die genau zur Maschinenkultur passt.< Eine Frau, die für die Aufdeckung dieser Morde kämpft, meint dazu: >Es sind nicht alles Serienmorde. Es gibt Männer, die davon profitieren und ihre Freundin, die ihnen nicht mehr passt, einfach umbringen.<

Der ökonomische Krieg, der in dieser Grenzregion herrscht, wird am Körper der Frau ausgetragen und kann damit endlos naturalisiert werden. Die neue internationale Arbeitsteilung ist eine >Technologie des Geschlechts< (Teresa de Lauretis). Sie dient der ständigen Re-Konstruktion des Geschlechterunterschieds, der Versicherung von Macht, Subjektivität und Identität in einer Cyborg-Welt, weil, so die These Biemanns, der Geschlechtsunterschied der einzig fundamentale Unterschied ausmacht, der im Serial Killing Bedeutung hat. >Performing the Border> heisst im endlosen Takt aktueller High-Tech-Kontrolltechnologien die Körper aufreissen und schliessen, konsumieren, reproduzieren und als weibliche fixieren. >Wir glauben, dass Technologien gut sind, wenn sie zum Wohle aller sind<, sagt die Journalistin Isabel Velazquez. >Alles sollte geteilt werden, es gibt einen sozialen Preis, der nicht geteilt wird und es gibt Wohlstand, der nicht geteilt wird. Es reicht nicht, einen Mindestlohn zu bezahlen.<

Yvonne Volkart
(Für springerin/2, Wien 1999)