Yvonne Volkart

Dummheit oder Ironie?


Merkwürdige Begegnung

Da ging einmal eine Kunstkritikerin an eine Ausstellung um darüber zu schreiben & traf unterwegs eine Kunsttheoretikerin, die soeben einen weissen Pudel gekauft hatte & sich auf dem Heimweg befand.
Das ist eigentlich schon alles.


Die Kunst befindet sich, so Niklas Luhmann , in einer gigantischen Ueberbietungswelle dessen, was sich als Kunst deklarieren und etablieren kann oder nicht. In der Nachfolge von Andy Warhols "entropischer Banalisierung" (Donald Kuspit) stehend, fielen in den letzten zehn Jahren Arbeiten auf, die bewusst mit dem Banal-Dummen und platt Humoresken spielen. Sie fanden wohl mit Jeff Koons Ende der 80er/anfangs der 90er Jahre einen vorläufig einmaligen Höhepunkt. Seine Hochzeit mit der Europäerin Ilona Staller kam einer (wenn auch völlig demystifizierenden) Allegorie der Versöhnung zwischen Big Brother USA und Mutter Europa gleich, der nicht einmal die alsbald erfolgende Scheidung der beiden wirklich etwas anhaben konnte. Jene privatöffentliche Annäherung von Mann und Frau, West und Ost, neu und alt, war exemplarisch für die Globalisierungstendenzen der westlichen Kultur schlechthin, wie sie sich im Kunstmarkt trotz, oder vielleicht gerade wegen, ständiger Entdeckungen von Nischen und Randgruppen sowie politisch engagierter und institutionskritischer Kunst unaufhaltbar vollziehen. Sie machen auch vor der Schweizer Kunstszene nicht halt, obwohl hier immer noch eine Art ängstliche Liebe zum formalen Können, zum Unspektakulären, zum traditionellen Schaffen und zur Werkimmanenz spürbar ist. Vermehrt fällt vielleicht erst die jüngere und jüngste Kunst aus dem schweizerischen Rahmen des Solid-Behäbigen und erweist sich dadurch, dass sie mit banalen Effekten und populären Setzungen spielt, als trendgerecht. Aber auch diese - in der Schweizer Kunstszene erfrischend bösartigen - Hiebe sind, bezogen auf die globale Spektakelkultur, letztlich wohl nicht ganz unproblematisch. Stellt sich doch, wie schon zu Zeiten Andy Warhols, die Frage, ob künstlerisch-künstlich inszenierte Dummheit kritisch, affirmativ oder sogar effektiv ist.

Unter dem Titel "Stupidity as Destiny" entfachte im Oktober 1994 der US-amerikanische Kritiker Joshua Decter in der italienischen Kunstzeitschrift "Flash Art" eine Polemik. Er diskutiert darin eine Form von künstlerisch inszenierter Selbstdiskreditierung, die ich, mit ähnlichen Problematisierungen wie er, unter dem Begriff "Hysterie" analysiert habe. Decter behauptet, dass die amerikanische Gesellschaft zur Stupidität tendiere. "Es besteht kaum ein Zweifel, dass wir alle in einem wachsenden Masse von der US-Kultur der Stupidität verführt werden." Wichtigstes Verführungsmedium sei das (amerikanische) Fernsehen, insbesondere die läppischen Fernsehkomödien, die zentrale Parts in der Alltagskultur inne hätten. Während die einen fröhlich Trash produzierten und an dessen Aufwertung arbeiteten, untersuchten die anderen unter dem distanzierenden Deckmantel der "cultural studies" das, was sie offiziell nicht lieben dürften. Die Dritten sind, folgt man Decters immanenter Logik, gewisse "kultiviert unverantwortliche" Künstler/innen, die, unter dem Einfluss der alltäglichen Verblödungsmaschinerie, Kunst machten. In den Arbeiten von US-amerikanischen Künstlerinnen und Künstlern wie Sean Landers, Laurie Simmons oder Nicole Eisenmann wimmle es vor Lächerlichkeiten. Weshalb dieser konstruierte Dilettantismus, zB. bei Landers? fragt Decter. Und seine Antwort lautet: "Landers zwischen Fiktion und Authentizität alternierende Disfunktionalität ist mehr als interessant, sie ist voll an Bedeutung. Womit uns Landers konfrontiert, ist vielleicht unser schlimmster Alptraum: dass er ein authentischer Gesandter der heutigen Jugend ist. Cool".

Decters Antwort lässt sich letztlich dahingehend verstehen, dass die von ihm erwähnten Künstler/innen wie Paul Mc Carthy, Mike Kelley, Art Club 2000, Meyer Vaismann u.a. in die Maske des Trottels schlüpften, um ein reales Zeugnis unserer Zeit zu liefern. Es geht dabei also um das versteckt Sublime, das sich quasi nur negativ, in der Torheit, entäussern kann. Stupidität habe instrumentellen Wert, was sie zur ultra-hippen "Designermode" prädestiniere. "Unser Zelebrieren von Stupidität ist weniger eine Selbstparodie als vielmehr eine Selbsterniedrigung", eine Art von "symbolischem Tod". Sie bedeute das Verlassen eines Modells, das nicht mehr länger an Fortschritt, Intelligenz, usw. glaube, und das zudem Befreiung vor sozialen Verpflichtungen bedeutet. Aufschlussreich ist, dass Decter am Schluss, wo er seine Position präziser markieren müsste, ironisch wird, ja, sich sogar in jene Art von Beschränktheit flüchtet, die er anderen implizit als Verantwortungslosigkeit vorwirft. Dass er sich eine andere als dumme Art von "political correctness" erhofft, kann man nur noch erahnen.

Im Sommer 1995 erschien im "Flash Art" eine Antwort vom Pariser Kritiker Eric Troncy. Troncy macht sich über die Angst der Europäer vor dem Idioten-Import aus den USA lustig und zeigt, dass auch die europäischen Künstler/innen Idiotisches produzieren. (Womit er natürlich Recht hat, denn sicherlich kann man die globale "Trash"-Kultur nicht mehr allein am bösen Amerika festmachen.) Er endet mit einer Ehrenrettung für die Banal-Künstler/innen und sagt, dass Dummheit letztlich "eine Form von Ironie" sei. Als Kronzeugen zitiert er Baudrillard, für den Ironie "die einzige geistvolle Form ist, die in unserer modernen Welt übriggeblieben ist. Tatsächlich macht es den Eindruck, dass dann, wenn die Illusion der Dinge verloren ist, Ironie in die Dinge kam." Damit bestätigt Troncy, was Decter andeutete: die Dummheit wird als probates, wenn nicht gar einzig zeitgemässes Mittel zur Kritik interpretiert. Oder: Sie wird als Szenario zur Verhüllung/Enthüllung der Wahrheit gesehen, gemäss dem psychoanalytisch und semiologisch erprobten Schema, dass hinter der Oberfläche der eigentliche Diskurs lauert (der in diesem Fall Illusionslosigkeit genannt werden müsste). Folgerichtig zitiert Troncy aus Roland Barthes "Mythen des Alltags", verkehrt aber, indem er Barthes Kritik an der Bourgeoisie hervorhebt, dessen eindeutig ideologiekritische Haltung zur Affirmation am Stupiden. Troncys Diskurs des Eigentlichen hiesse dann: Wer das Banale nicht liebt, ist ein Snob, und das darf man heute natürlich keinesfalls mehr sein, weil wir eh alle im selben Boot sitzen. Nein, die (ironische) Versöhnung mit dem Stupiden ist angesagt, damit wir die stupide Lage der stupiden Welt erst so richtig in ihrer Stupidität erfahren.
Troncys Argumentation ist ein Beispiel für die immer noch weitverbreitete Meinung, dass der Kunst eine, man könnte sagen ready-madehafte, Verschiebungsleistung a priori innewohnt. Kunst wird immer schon als Metasprache betrachtet, als ein (kritischer) Kommentar, der, wenn auch nicht real, so zumindest symbolisch, besser oder böser, schneller oder wahrhafter ist als die Realität, die er symbolisiert. Und die Aufgabe der Kritiker/innen und Künstler/innen besteht darin, diesen Metacharakter stets von neuem zu bestätigen.
Was aber, wenn das ein Phantasma wäre, das sich immer noch auf den Status des Besonderen der Kunst stützt, den die Stupidität der Kunst schon längst unterhöhlt hat? Was, wenn die Kunst im Zuge der Verblödung ihre Symbolisationskraft eingebüsst hätte und nur noch so banal wirkte, wie sie sich präsentiert? Wenn sie statt Kommentar nur noch Effekt des Realen ist?
Denn man darf die Produktivkraft des Pointierten nicht unterschätzen. Wer an die Idiotenkultur andockt, und sei es auch nur, um deren Hohlheit zu dekonstruieren oder das Behäbige zu gefährden, bringt wieder Idiotenkultur hervor - and so on.
Im best-bösartigsten Fall mag Dummheit ironisch oder zynisch sein: Wenn wir schon alle untergehen müssen, dann bitte mit Gelächter. Das ist ein eindeutiger Kurs. Im schlimmsten Fall ist Dummheit aber einfach nur: dumm, das heisst eine trotz vordergründigem Witz letztlich ziemlich humorlose Angelegenheit, die nicht im mindesten ironisch ist.
Damit Repräsentation dekonstruiert wird, braucht es Momente der Differenz, des Humors - und nicht Dummheit, die fraglos das scheinbar Besondere der Kunst akzeptiert und Dummheit mit Dummheit heimzahlt. Was heute zur Disposition steht, ist der Status der Kunst selbst. Kann sie das noch leisten, was man von ihr (auch negativ) fordert? Müssen (wir) Kritiker/innen wirklich immer noch die diskursiven Deuter/innen, und die Künstler/innen die bewusst-unbewussten Trottel spielen? Ist Kunst wirklich noch ein Metadiskurs? Ist nicht gerade auch die scheinbar zynische Verantwortungslosigkeit und Distanziierung ein Zeichen illusorischer Behäbigkeit? Vertraut man letztlich nicht auch da auf ein sprachloses Erfahrungskonzept, das seinen Weg in die Sprache dank den Intellektuellen dann schon irgendwie findet? Dummheit wäre mithin nurmehr Resignation, in einem Spiel, dessen Verlauf wir sattsam kennen: der/die Künstler/in einmal mehr als Opfer (der Zeit), an dessen Tod der/die Kritiker/in erst zum Leben erwacht. Ironie muss heute da ansetzen -


Katalogbeitrag Never Say Never. Art Today, John Armleder (Hg.), Young Art 1996