Als ob es möglich wäre. Make dreams come true.

Ute Vorkoeper 31.07.2000/Telepolis, online-magazine
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/3556/1.html


"Widerspenstige Praktiken im Zeitalter von Informations- und
Biotechnologien" in der Shedhalle, Zürich


Beinahe zwangsläufig denke ich bei diesem Titel ans Gegenteil, an dieZähmung der Widerspenstigen, an Shakespeare. Widerspenstig ist das, was sich nicht fügt, was sich nicht glätten läßt. Eine dumme Haarsträhne oder eineFalte, die sich unerwünscht aufgeworfen hat und nur mit besonderen Mitteln,mit technischem Aufwand oder mit Desinteresse zu bewältigen ist. Oder aber mit Humor. Widerspenstig ist etwas. Widerspenstiges hat eine körperlicheeine erotische Dimension. Und im Begriff klingt - erwünscht-unerwünscht -etwas an, das lange Jahrhunderte Weibliches markieren wollte: ein Unwissen,eine Unbewußtheit - und Trotz. Ein kindlicher, fast rührender Ungehorsamgegen das, was sich als unverrückbar und fest behaupten kann. Aber auch einUngehorsam ohne erklärtes Ziel, gedankenlos, planlos, anarchisch, der vom Bestehenden auf Dauer nicht geduldet werden kann. Hier setzt dieLegitimierung aller Maßnahmen gegen das Widerspenstige an. Das Widerspenstige ist bedroht von gewaltsamer Beugung oder Desinteresse. Nochdas Lachen kann es vernichten, wenn es seine ernsten Motive verkennt.

Aber kann man sich, kann man etwas widerspenstig machen, sozusagenwiderspenstigen? Schließlich geht es in der Zürcher Ausstellung umwiderspenstige Praktiken, also um Verfahrens- und Handlungsweisen, diewiderspenstig sind oder sein sollen. Gibt es eine Methode derWiderspenstigkeit? Kann oder sollte es sie geben? Das Aktive, die Initiativeund die Zielrichtung scheinen doch aus dem Begriff eigentlich ausgeblendet.Sie können nicht willkürlich angehängt werden, müssen vielmehr aus ihmherausgelesen oder in ihn zurück gelesen werden. Widerstrebend. Dazu mag ein Blick auf den Begriff des Widerstands, des Widerstehens nachhelfen. WennWiderstand vordergründig oft mit Aktionismus verkoppelt wird, so sind in denletzten Jahrzehnten mehr und mehr seine passiven Anteile dargestellt worden,das Ineinander von Leidenschaft und Handlung, von Passivität und Aktivitätbetont worden. Und seine Unvorhersehbarkeit.
In den Datenströmen der Medien und Netze, in fungiblenInformationstechnolgien und der Menge glatter und noch glatterer Oberflächenwidersteht weniger das, was sich aktiv widersetzt. Widerständig sind eher(reale oder virtuelle) Orte, an denen sich Informationen verschlingen,Strukturen verdichten oder unlösbar verknoten. Solcher Widerstand lässt sich unmöglich strategisch formieren. Er entsteht in Anwendung, im Spiel, durch nicht zielgerichteten Zuspruch. Dies scheint die Kuratorin Yvonne Volkart einzufangen, wenn sie auf den immer wieder notwendigen Verkörperungen von Wissen und Kritik insistiert und den Begriff des Widerspenstigen gegen den
des Widerstands ins Spiel bringt. Paradoxer Weise erscheinen gerade Begehren und Leidenschaften vom gleichförmigen Technostrom stärker überlagert und bedroht als von materiellen Grenzen und von fixen Regeln. Gefährdetes Widerspenstiges sucht Zonen, in denen es widerstehen kann. Und so ist für Volkart "die Kunst ein privilegierter Ort von realem und symbolpolitischem Widerstand [...], den es vielfältig und offen zu erproben gilt."1 Nicht von ungefähr ist der privilegierte Ort der Kunstort, "die Kunst", der Kunstbetrieb, um sich Entziehendes und Widerstehendes sicht- und greifbar werden zu lassen.
Die Ausstellung in der Shedhalle ist bereits die zweite Version des ambitionierten Projekts. Die erste Station war im Frühjahr unter dem Titel "tenacity" im Swiss Institute New York in etwas anderer Anordnung undKulisse zu sehen. Einen kursorischen Überblick mit diversen Einstiegsmöglichkeiten bietet die Homepage des Projekts [0]
Öffnungszeiten. Ankommen.
"Du solltest nicht vor neun Uhr hingehen", meint Monika am Frühstückstisch"Sonst wirkt es nicht. Sonst sieht man zu viel." Prompt komme ich -ungewollt - doch früher in die Shedhalle und schaue entsprechend irritiert auf die knautschige, weißliche Plastikfolie, die mit Klebestreifen zwischen Säulen, Decke und Boden befestigt ist. Etwa mittig, etwas nachlässig eingeschnitten findet sich eine Art Durchschlupf. Ventilatoren summen. Wenn man sich durch die Öffnung schlängelt, wölben sich rechts und links zwei riesige Blasen in die Halle. Ein wabernder Korridor, ein, ich schlucke, das Wort kommt mir kaum über die Tastatur: ein Geburtskanal. Ebenso wunderschön wie unerhört billig, so verheißungsvoll wie abgeschmackt, abgegriffen Violette Lampen leuchten auf und schimmern mir Ferne vor. Die Wunderwelt
wird angestellt. Die beleuchtete Bibliothek der Shedhalle holt mich kurz
zurück, dann gehe ich weiter durch die meterhohen Blasen, die der Schweizer
Künstler Lehti Kuwa hier hat entstehen lassen. In die Plastikwolken
hineingeschoben sind drei Ausstellungsinseln: Unterschiedlich große
Monitoren, sie zeigen Videos oder Websites, wenige Infotische sind
kreisförmig um jeweils ein schwarzes rundes Sitzkissen angeordnet. Einige
der im Rund präsentierten Arbeiten werden auf den Blasenwänden im
Hintergrund via Projektion gedoppelt. Geht man in die Blasen hinein,
verschwimmen die Arrangements zu Lichtfeldern. Zwischen den flatternden
transparenten Wänden wird alles greifbar ungreifbar: auratisch. Wären da
nicht die vielen Kabel, die locker über den Boden laufen, die unzähligen
Klebestreifen, die übrig gebliebenen Aufbaumaterialien und aufgetürmte
Stühle, die Backstage-Atmosphäre vermitteln.

Konfrontationen. Übersetzungen.

Welcome to the wired world. Emphatisch wurde man 1995 auf der Ars
Electronica zu einer frühen Ausstellung von "Netzprojekten" begrüßt.2 Im
Brucknerhaus waren die Monitore dann enttäuschend beiläufig auf langen
Tischen neben einer Treppe aufgereiht. Wie könnte man es auch anders machen,
ohne etwas ganz anderes daraus zu machen? Von heute aus gesehen, scheint es
mehr als bloße Hilflosigkeit gewesen zu sein: Das Gegenüber von Hier und
Dort, real and virtuell, Materie und Netz war noch recht fest gefügt.
Weltkritik und technoutopische Hoffnungen entzweiten sich an dieser
Trennlinie. Die Annahme galt: Der Computer war nolens volens das materielle
Werkzeug, mit dem man in eine andere, bessere, grenzenlose Welt gelangt.
Deshalb konnte damals Saskia Sassens Vortrag so wirksam zünden. Sie
pointierte die Übergänge zwischen realer Welt und Netz, die
Materialisierungen der Netzknoten parallel zur Hegemonie der ersten
gegenüber der zweiten, dritten, vierten Welt.

Die Dichotomien, die Hoffnungen ebenso wie die apokalyptischen Ängste sind
inzwischen komplexen Reflexionen und Analysen der Bedingtheiten und
Übergänge gewichen. Auch in Netz(kunst)projekten selbst. Aber die
Darstellung in Kunst und als Kunst im Kunstbetrieb bleibt weiterhin
problematisch. 1999 versuchte abermals Peter Weibel die nächste Übertragung
mit dem Rundumschlag net_condition. Das Ambiente war angenehm. Wenn aber auf
den kreisrunden Stehtischen die Monitore mit sanften Spotlights wie
klassische Skulpturen beleuchtet wurden, war die Grenze zwischen Materie und
Cyberspace deutlicher gezogen als 1995. Was Linz noch als Werkzeug
behauptete, wurde in Karlsruhe durch serielle Wiederholung hochgradig
ästhetisiert. Die transparenten Mac-Monitore waren schönes Außen um ein
verheißungsvolles Innen. Durch ihre Oberfläche sollte man ins Bild, ins
Imaginäre dringen können, ins Unbewußte tauchen. So lese zumindest ich das
Versprechen dieser Präsentation. Es hat sich - notwendig - nicht erfüllt.

Auch Yvonne Volkart geht es um diese Grenze. Aber sie sucht nach Einbrüchen,
Interventionen, Störungen - auf beiden Seiten, in beide Richtungen. Das ist
das Motiv für die Auswahl der Projekte und das Motiv für die
Raumgestaltungen. In der New Yorker Vorgängerversion der Zürcher Ausstellung
simulierte sie mit milchigen Fiberglasstreifen zwei übergroße Screens, die
den länglichen Raum in drei Teile zerschnitten. Die Besucher/innen gingen
von einer Ausstellungsinsel, einem "Ausstellungsknoten" zum nächsten durch
diese Bildschirme, auf denen nebenbei sogenannte Visuals liefen. Sie
zerteilten den Screen und standen vor neuen Bildschirmen. Der Wunsch,
körperlich in die Bilder einzutauchen, wird erfüllt, um sofort an eine
nächste Grenze zu stoßen, auf den nächsten Widerstand zu treffen.

In Zürich schließlich dringt die Vorstellungswelt exzessiv in den Realraum
ein. Make dreams come true. Eine falsche, fast wörtliche Übersetzung kommt
der Zeitlosigkeit gegenwärtiger Wunschmaschinen nahe: Mach (dass) Träume
wahr kommen. Schon beim Träumen sind sie wahr. Es geht ums Hier und Jetzt,
der Lustaufschub wird scheinbar überwunden, das (vergebliche) Warten auf
Erfüllung abgeschafft. Schon ist der nächste Traum glatt und reibungslos da,
wahr. Auch in der Shedhalle erfüllt sich der Traum. Er ist sichtbar gemacht.
Die unmittelbare Wunscherfüllung wird im selben Moment bedient wie
ausgesetzt. Wer genau hinsieht, dem entgeht es nicht: Peinlich, dürftig und
roh ist die plötzliche Realität des Traums.

Einzelprogramme. Knoten.

Inke Arns resümiert für die Netz.Kunst/Net.Art der ersten Stunden:

"Gegen die glatten Oberflächen wird der rohe Quellcode und die mediale
Störung gesetzt, gegen die in den glatten Oberflächen mitschwingenden
technoutopischen Hoffnungen fährt man die Strategie der Enttäuschung. Die
im besten Fall eine Ent-Täuschung über die eigenen Hoffnungen auf die
utopischen Potentiale der Technologie ist."3

Mit Interventionen wird versucht, die expandierende Maschinerie des Netzes
sichtbar zu machen oder zu unterbrechen. Es geht um Kontrollverlust, darum,
wie etwas aus der Kontrolle gerät. Die Sorge um die wachsende Privatisierung
des Netzraums durch dot.coms und den zunehmenden Traffic durch E-commerce
ist berechtigt.

Ähnlich widmet sich der erste Ausstellungsknoten sog. Netactivism und
interventionistischen Praktiken im Netz, mittels Netz. Bei den gezeigten
Arbeiten geht es aber weniger um medienreflexive, verstörende
Interventionen, als vielmehr um strategische Demonstrationen, die auf
politische Einflußnahme setzen oder - vergeblich - hoffen. Besonders
Hacktivism scheint Künstler/innen zur Zeit eine geeignete politische
"Gegenmaßnahme" zu sein. Gegen was? Ein paar Projekte verharren in
nostalgischer Reverenz an klassisch linke Gegnerschaft und rekapitulieren
bekannte Formen politischen Widerstands. Dies entspricht der Tradition der
Shedhalle, ist aber weniger "widerspenstig" als eine Widerstandsbekundung
oder Darstellung von Widerstand. Immerhin: Auch solche Ansätze können im
Kunstraum Schutz finden, wenn sie andernorts von Desinteresse bedroht sind.

Die Projekte, die um das zweite Sitzkissen gruppiert sind, arbeiten stärker
mit Appropriationen und Abwandlungen von bekannten Strategien und Bildern.
Fast alle agieren an der Grenze zwischen Fakten und Fiktionen und versuchen,
unterschiedliche Wirklichkeitsbereiche und Realitätslevels zu durchqueren
und zu verbinden. Hiermit feiert rtmark [1] wohl die unbestreitbar größten
Erfolge, ihre Aktionen werden in Fernsehen und Tagespresse diskutiert. Die
(eigentlich) anonyme Gruppe operiert als kommerzielles Kunst-Unternehmen und
kopiert die Strategien und Philosophien erfolgreicher Konzerne, um
Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit für Probleme im Netz und politische Ziele
zu erzeugen. Wirklich verstörend ist, dass die rtmark-Strategie so nahtlos
aufgeht, dass am Ende keine Fragen offen bleiben.

Mehr Reibung entsteht bei der Ansicht von involutionary.org. Verwirrt und
amüsiert höre ich Kristin Lucas' [2] sonderbaren Berichten zu. Stimme und
Gesicht sind sphärisch verzerrt, wenn sie von Spionage und machtvollen
Eingriffen in allerlei Szenen berichtet. Erst die Teletechnologien und ihre
Strahlungen haben sie zu dem gemacht, was sie ist: ein unfaßbarer und
unberechenbarer Netzgeist. Sie vermag alle Fakten zu verdrehen. Die Arbeit
übergibt mich an den nächsten Ausstellungsknoten. Die Netzarbeit von
Francesca da Rimini / Michael Grimm, die Videos von Ursula Biemann und Diane
Ludin [3]/Ricardo Dominguez drehen sich um Wunsch, Begehren und ihr
Scheitern. Alle weisen Simplifizierungen zurück. Sie verkomplizieren. Auf da
Riminis Site [4] verliert man sich dann in den Abgründen einer Leidenschaft
nach dem körperlichen Tod. Doll Yoko hat ihre Ermordung in der realen Welt
nicht hingenommen und lebt nun als Cyberwesen unerwartet frei
widersprüchliche Begierden aus.

Die letzte Station des Parcours ist ein abgeschlossener Raum, in dem ein
Spiel der New Yorker Gruppe Basicray groß projiziert wird. Eckig,
spitzwinklig und flächig wiederholen die Computerbilder die Schichtungen,
Überschneidungen, Übergänge der Ausstellungsarchitektur. Auch dieses Spiel
entzieht sich hartnäckig der Kontrolle: Regeln und Verlauf sind unbekannt.
Wie lange ein/e Spieler/in teilnehmen darf, ist nicht vorhersehbar. Es wird
vom Spiel bestimmt.

Unauflösliches

In einem Text "Widerstände", der die Widerstände gegen die (Psycho)Analyse
aufwirft, kreist Derrida eine Metapher von Freud ein: den Nabel des Traums.4
Gemeint sind die unangenehmen Reste eines Traums, die sich der Analyse, der
deutenden Lösung entziehen. Freud hat verschiedene Versuche unternommen,
diese unbeugsamen Reste einzufangen und die Widerstände seiner
Patienten/innen zu klassifizieren, Widerstandsgruppen anzulegen. Sie gehen
nicht auf. Für Derrida suspendiert dies keineswegs die Analyse, sondern
markiert den double bind des - unausgesetzt notwendigen - Analysierens
selbst: In der Analyse muss ihre eigene Unmöglichkeit und die Unmöglichkeit
einer restlosen Auflösung, einer Lösung ausgehalten werden.

Der (analytische) Vergleich der Begriffe Widerstand und Widerspenstigkeit
könnte sich lohnen. Die Ausstellung in Zürich mag dazu anstiften, da
Widerspenstigkeit gegenüber Widerstand um eine unmögliche weibliche, um eine
erotische, um eine unbewusste Dimension reicher ist. In diesem Begriff liegt
ein uneinlösbares Versprechen und eine andauernde Verpflichtung für
Künstler/innen und Kunstvermittler/innen, wieder und wieder andere Visionen
von Freiheit und Zwang sichtbar und greifbar werden zu lassen.

Literaturangaben

1) Pressetext zur Ausstellung

2) Vgl. Mythos Information. Welcome to the wired world. @rs electronica 95.
Karl Gerbel / Peter Weibel (Hg.). Wien / New York 1995. Die Emphase war
ziemlich echt. Ich gestehe gern, daß sie sich durchaus auf mich übertrug. So
habe ich tatsächlich den mitgeschickten Aufkleber an meine Wohnungstür
gepappt.

3) Inke Arns. "Unformatierter ASCII-Text sieht ziemlich gut aus" - Die
Geburt der Netzkunst aus dem Geiste des Unfalls. Erscheint in: Kunstforum
"Der gerissene Faden - Nonlineare Techniken in der Kunst". September/Oktober
2000.

4) Vergl. Jacques Derrida. Widerstände. In: ders. Vergessen wir nicht - die
Psychoanalyse! Frankfurt/M. 1998, S. 128ff., hier S. 146f. Ich kann hier nur
simplifizieren, aber es ist doch symptomatisch, daß Freud seine Bestimmungen
der Widerstände gegen die Analyse, gegen das angestrebte Entbergen des
Sinns, ausgerechnet nach den Analysen von drei Patientinnen darlegt.

Links

[0] http://www.thing.net/~tenacity<br> [1] http://www.rtmark.com
[2] http://www.involuntary.org
[3] http://www2.sva.edu/%7Edianel/idrunr
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