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Esther Hunzikers Projekt-Galerie "un focus"
Ein tilgungsloses Palimpsest und andere medienkritische Stücke

von Roberto Simanowski

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Hinter Link fünf ist aller Text Sound. Man sieht 15 kleine Quadrate, die immer keiner werden, aber wiederkommen, um erneut kleiner zu werden. Der Mauskontakt aktiviert jeweils ein Soundfile: Hundegeheul, ein Bombeneinschlag, dem ganz passend in Position drei eine Frauenstimme folgt: "There is no help available on that topic". Später ruft einer "Lets fuck", dann ein Frauenschrei wie bei Hitchcock unter der Dusche, dann "Please dial again", Polizeisirene, ein frisch gesungenes Hallelulia, und schließlich wieder die Frau: "Don't panik". Dieser letzte Ausspruch passt vor allem, wenn man mit der Maus von links nach rechts über die Quadrate fährt - wie über die Klaviertastatur - und somit ein Chaos von 15 Soundfiles erzeugt, in dem sich vor allem die Polizeisirene durchsetzt und der Bombeneinschlag den Abschluss bildet, weil er viel länger als die anderen Files ist. Anders als beim Radio, deren Skala man ja auch so entlangfahren kann, verschwindet hier der Sound nicht, sondern hallt, da die einmal aktivierte Datei nach der Aktivierung ganz abspielt, nach. Der Effekt ist verstörend und der User benötigt am Ende tatsächlich - vor allen, wenn er leistungsstarke Lautsprecher angeschlossen hat - genau jenen "Don't panik"-Aufruf, mit dem die Frau sich schließlich um Beruhigung müht. Und irgendwie erinnert diese Beruhigung an jene klaren Schutzmaßnahmen gegen Atomschlag, die man in den 80er Jahren lernte: Nicht in den Blitz schauen und mit dem Kopf vom Detonationsort weg flach auf den Boden legen - dann wird schon alles wieder gut.

Unter Link sechs gibt es einen Kampf, dessen Besonderheit darin liegt, dass man die sechs Kampfszenen immer nur für eine Hundertstel Sekunde aufblitzen sieht, der für 5 Sekunden ein weißes Bild folgt. Danach die nächste Szene für eine Hundertstel Sekunde, wieder 5 Sekunden nichts. Den Bildern wird keine Zeit gelassen. Die Ohnmacht, die man spürt, wenn man andere in einen Kampf geraten sieht, wird dadurch verstärkt, dass man nicht einmal richtig sieht, was vor sich geht. Man sitzt nicht nur am Fenster und sieht den Mord im gegenüberliegenden Zimmer kommen, man sieht ihn nicht einmal richtig. Man ist doppelt gelähmt: Als Helfender und als Zeuge. Die lange Unterbrechung der Bilder, so lässt sich dieses Stück lesen, erfährt genau in dieser Befindlichkeit ihren medienkritischen Sinn: Wieviel Hilfe ist eigentlich die Zeugenschaft, die wir alle täglich durch die Medien einnehmen, ohne vor Ort zu sein und ohne wirklich die Zusammenhänge und Hintergründe zu kennen.

Link sieben gibt - ein recht alter Hut - eine Not-Found-Botschaft heraus, Link 08 verwandelt - beziehungsvoll, aber im Unverbindlichen belassen - das Wort "connect" in "contact", Link neun zeigt die Fensterfront eines trostlosen Hochhauses mit einem roten Kreis um eines der Fenster. In diesem Kreis wird der Cursor zum Okular und der Klick zoomt das Fenster etwas heran. Die Wiederholung bringt dem Fenster immer näher - womit freilich auch die Pixel größer und die Struktur gröber werden -, bis man so nah ist, dass man nichts mehr erkennen kann. Eine Erfahrung, die man täglich mit Bildbearbeitungsprogrammen oder mit der Zoomfunktion des Acrobat-Readers machen kann. Im Kontext der vorliegenden Versuche über Kommunikation und Medien, erhält sie - die Unsichtbarkeit des Nahen - schließlich philosophische Brisanz.

Link zehn wird noch einmal sehr deutlich: "how much time do we have" / " I can't remember" / "Please wait." Dann folgt die Imitation einer Pulsfrequenzmessung, bis die Wellen zur Linie werden und die Messgrafik verschwindet. Damit wird der Bogen der metareflexiven Anmerkungen durchaus geschlossen. Es ist vielleicht ein etwas schwacher Abgang für eine so starke Sammlung, aber das sei jeder Ausstellung erlaubt, dass sie auch schwächere Werke aufnimmt, um deren Wirkung zu prüfen. Wer zwei, drei herausragende Stücke findet, ist schon nicht umsonst hineingegangen. Und diesen zwei, drei Stücken begegnet in Esther Hunzikers intermedialer Galerie der digitalen Installationen sicher jeder. Eine schöne Sammlung an Experimenten, die verschiedene Möglichkeiten digitaler Rhetorik wie in einem Lehrbuch vorführt.  


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