www.dichtung-digital.com

Esther Hunzikers Projekt-Galerie "un focus"
Ein tilgungsloses Palimpsest und andere medienkritische Stücke

von Roberto Simanowski

1 - 2 - 3

Die 'Geschichte', die sich hinter dem zweiten Link am Bildrand befindet, scheint Nummer eins insofern weiterzuführen, als auch sie die mediale Konstellation thematisiert. Der 'Text' sind diesemal drei Images. Das erste zeigt aus der Perspektive des Mitfahrers auf dem Hintersitz ein Auto gefährlich nahe einem die Straße überquerenden anderen Auto. Geht man mit der Maus auf das Bild, wird dieses durch Image zwei ersetzt, auf dem das eigene Auto unmittelbar davor ist, das andere zu rammen. Was passiert, wenn man klickt? Der Zusammenstoß? Oder kann man damit bremsen? Nein, der Klick ist nicht das Symbol des Anhaltens, er bringt immer weiter, und in diesem Falle heisst dies den Zusammenstoß.



 

Diese Konstellation des "Schiffbruchs mit Zuschauer" (Blumenberg), in der der Zuschauer zugleich den Schiffbruch verursacht, ist eine beliebte rhetorische Figur der digitalen Ästhetik (Susanne Berkenheger setzt sie in ihrer Hyperfiction "Zeit für die Bombe" ein, in der der Klick des Users den Zeitzünder betätigt, so dass die Opfer am Ende auf die Rechnung des Lesers gehen). Der Witz bei Hunziker liegt darin, dass wir nicht nur klicken, sondern dies aus der Perspektive des Mitfahrers tun. Wenn wir nach dem Klick den Fahrer einknicken sehen, geht dies nur um Nanosekunden unserem Einknicken voraus und der Zerschmetterung des ganzen Fahrzeugs, dem Erschrecken der Passanten, Sirenen, Schneidbrenner, Leichensack... Und weil wir diesmal mit im Boot sitzen, gibt es auch kein viertes Image, denn die zerkeilten Autos können nur jene zu Gesicht bekommen, die nicht wie wir in einem davon saßen. Im Grunde wäre - statt des ausbleibenden vierten Images - der Absturz des Browsers die Konsequenz, als symbolischer Tod am Bildschirm. Dass dies nicht passiert, mag an der - dann allerdings hinderlichen - Konzeption der Sammlung liegen: Noch sind 8 weitere Links zu klicken.  

Auch hinter Link drei zeigt sich Medienreflexion: Ein schwarzes Rechteck, das sich inmmer weiter ausdehnt, kommt, mit angsteinflößenden Kratzgeräuschen, wie wenn die Röhre gleich durchbrennt, auf uns zu. Es stoppt schließlich, sobald es den Raum auf dem Bildschirm ausfüllt, den Hunziker der Shockwave-Applikation einräumt. Statt unseren ganzen Bildschirm auszufüllen, baut sich das schwarze Rechteck zu einem schwarzen Image auf, von dem wir am Ende wissen, dass es mehr als ein schwarzes Image ist. Es ist das Ergebnis von Zeit, die sich als Schwarz in den Bildschirm fraß. Eine Anspielung vielleicht auf die Black Box, die gerade noch einmal vor uns Halt gemacht hat. Vielleicht auch eine Anspielung auf Malewich' weiße Box, wobei so wie dort das Image im weißen Hintergrund verschwindet, hier die Vergangenheit des Bildes in der Gegenwart seiner Endgestalt verlorengeht.

Link vier offeriert ein Fenster im Fenster, wobei der Rahmen so klein gehalten ist, dass man vertikal und horizontal navigieren muss, um das dahinterliegende Bild erkennen zu können. Dieses Verfahren der Zugangserschwerung ist recht beliebt, erreicht es doch mit simplen Mitteln einen recht eindrucksvollen performativen Effekt mit intellektueller Tiefe. Frank Richter hat dieses Mittel einmal in einem Werk über Ich-Identität eingesetzt, wobei er die Scrollbalken wie von Geistermaus sich automatisch hin und her bewegen ließ (Review). Was sich hinter Hunzikers Ausschnitt versteckt, wird aufgrund der grobkörnigen Struktur des Images nicht sogleich klar. Man glaubt, nackte Beine ineinanderverschachtelt erkennen zu können. Der einzige Weg zur Gewissheit ist das Runterladen des Images. Wer weiß, wie das geht, hat mehr von der Ausstellung, denn er ist damit faktisch drei Schritte vom Bild zurückgetreten und erkennt nun die beiden Leiber beim Liebesakt.

Dieser Trick der notwendigen Befreiung des Images aus seiner Zwangsjacke ist witzig und hintergründig zugleich. Es geht wieder um den Umgang mit der Technologie und die Notwendigkeit der Technologiekompetenz für die Wahrnehmung - dessen, was diese Technologie präsentiert. Wer nicht einmal weiß, wie man ein Image befreit, der ist - so die Botschaft dieses Stücks - nicht gewappnet für die digitalen Medien und wird den Dingen gegenüber so blind sein wie jemand, den man zwingt, einen Monet aus 20 Zentimeter Entfernung anzuschauen.  


1 - 2 > 3