Konrad Tobler

Als ob das Stillleben lebte


Véronique Zussau in der Kunsthalle Bern, Sommer 2001

Nur nicht so tun, als ob das Stilleben tot wäre und in die unterste Schublade der Kunstgeschichte gehören würde. Das Stillleben hat offensichtlich seine Zukunft, weil dieses Genre eine intime Form der Auseinandersetzung mit dem jeweils Gegebenen ermöglicht. Aber wer sich heute mit diesem Genre beschäftigt, das seit dem 15. Jahrhundert die schönsten Blüten hervorgebracht hat, kommt nicht umhin, an einem grossen Als ob zu arbeiten.
Genau hier setzt Véronique Zussau mit ihrer neuen Installation (Kunsthalle Bern, Sommer 2001) an. Sie tut nicht so, als ob sie nichts von der leichten Last des Stillebens wüsste – indem sie im Ornament an der Wand – kunsthistorisch beinahe dreist, aber subtil in der Form – Caravaggios Früchtekorb zitiert. Sie tut nicht so, als ob sie die Banalität des puren Naturalismus nicht kennen würde, und setzt gleich reale Früchte in ihr Tableau – und spielt so bewusst mit der im Stillleben stets präsenten Botschaft der Vergänglichkeit. Aber auch das ist ein Als ob, denn die Früchte sind perfekt in ihrer Züchtung: Und werden immer wieder ersetzt.
Mit dem Begriff des Tableaus ist gleich ein weiteres Element deutlich: Hier wird auch nicht getan, als ob dieses Stillleben eine Installation wäre – denn zu präsent ist die feinkörnige Wandmalerei, die ihrerseits nicht so tut, als ob es pure Malerei wäre. Dennoch scheut diese Arbeit das Moment des Illusionismus keineswegs: Das Tableau – es hat durch die gezielt theatralische Beleuchtung die dem Stillleben entgegengesetzte Bedeutung eines «Tableau vivant» – evoziert mit den auf den Boden geklebten Parkettplanken geradezu die Illusion des Raumes – als ob hier Fluchtlinien vorhanden wären, die jedoch, fast atemlos und doch ruhig, vom fliehenden, den Raum durchschneidenden Ornament wieder als reines Als ob entlarvt werden.
«Als ob» ist der knappe Titel der Arbeit. Der Titel ab ist seinerseits ein Als ob: Er suggeriert eine Zurückhaltung, die nur so tut, als ob hier nichts erzählt würde. Was erzählt wird, bleibt in diesem offenen Raum des Als ob, öffnet sich im Tableau vivant des Stilllebens. Mit dieser Offenheit des Als ob setzt Véronique Zussau konsequent ihre Untersuchungen mentaler Räume fort, die sie mit ihren verschlossenen schwarz schimmernden Körpern begonnen hat.