Felix Stalder, Toronto

Kunst im Kontext, Teil zwei: rTmark vs. WTO

Als Charlene Barshefsky, eine U.S. Vertreterin der
WTO, verkündete, dass die "größte Bedrohung für
die multilateralen Handelssysteme das Fehlen
öffentlicher Unterstützung sei", erwartete sie
wahrscheinlich kaum, dass ihre Aussage zu einer
Parole für Online-Aktivisten gegendie
"Millenniumsrunde" der WTO werden würde (Seattle,
WA, 29.11. - 3.12.).

Aber rTmark beherrscht gerade die Bloßlegung versteckter
Bedeutungsebenen in der doppeldeutigen korporativen und
politischen Sprache brillant. rTmark, ein in NYC
angesiedeltes Künstler/Aktivistenkollektiv, benutzt seine
begrenzte Haftbarkeit als juristische Person, um die
Sabotage von Massenproduktionsgütern zu unterstützen, und
um Missbräuche des politischen Prozesses durch
Unternehmen zu diskutieren. Derzeit  widmen sie ihre
Website der Unterstützung der Rainbow Coalition of Labour,
Umwelt- und regionalen Gruppen, die das öffentliche
Bewusstsein über und den Widerstand gegen die WTO
stärken wollen.
[http://www.rTmark.com]

rTmark ist vor allem für zwei Kampagnen bekannt, die
beide noch am Laufen sind. Eine versucht, den
hoffnungsvollen Präsidentschaftskandidaten George W.
Bush als Heuchler bloßzustellen, der hart gegen Verbrechen
vorgeht,  außer gegen seine eigenen. Die andere Website
ist der Dokumentation der faschistischen Tendenzen des
New Yorker Bürgermeisters  Rudolf Guiliani gewidmet,
nun da dieser auch für den Senat kandidiert. In beiden
Kampagnen benutzt rTmark Domainnamen and Sites, die wie
die offizielle Site aussehen und echte Zitate und Ereignisse
verwenden, die aber natürlich von der Sorte sind, von der
die Kandidaten wünschen, dass sie uns nie zu Ohren kommen
oder dass wir sie wieder vergessen. Das Ziel von rTmark
ist die Aufdeckung der widerwärtigen und gefährlichen
Seiten ihrer Persönlichkeit und ihrer politischen Absichten.

Die WTO-Site ist ebenfalls in diesem Geist gestaltet. Sie
benutzt dieselben graphischen Elemente wie die offizielle
 WTO-Site, enthält aber ein Inhaltsverzeichnis der
wachsenden Zahl direkter Aktionsinitiativen, die der
uneingeschränkten Herrschaft des globalen Kapitalismus im
allgemeinen und dem freien Handel im besonderen
Widerstand leisten wollen. Aber die Site ist weit mehr als
eine simple Ressourcenseite für Gruppen und Initiativen,
die anderswo existieren. Unter den Titeln von
Handelsthematiken, über die die WTO verhandeln wird -
Waren, Serviceleistungen, Umwelt und mehr - hat rTmark
verschiedene Investmentfonds nach dem Vorbild von
Kapitalspekulationsfonds gegründet. Diese Funds wollen
kreative Ideen, wie man dem neo-liberalen Moloch den
Kampf ansagen kann, mit dem notwendigen Kapital und
menschlicher Arbeitsleistung zusammenführen, um sie in
die Realität umsetzten zu können.

Einige dieser Fonds werden von bekannten Netzkünstlern
geleitet,  Heath Bunting, überwacht beispielsweise
einige risikoreiche Fonds für subversive Waren. Alles in
allem existieren einige Dutzend dieser Fonds, die alle die
direkte Aktion vorschlagen, um den Zynismus und die
Grausamkeit des fortgeschrittenen globalen Kapitalismus
bloßzustellen. Unter dem Titel Dispute Settlement
(Streitschlichtung), sucht diese Aktion nach Kapital und
Arbeitskraft: "Stecken sie realistische Sammelkarten in
Schachteln mit Frühstücksflocken, jede Karte mit einem
Photo und der Beschreibung eines der Arbeiter versehen,
die in der Fabrik des Herstellers getötet oder verstümmelt
wurden."

Viele der "Geschäftspläne" des Fonds bewegen sich nahe der
Grenze der Legalität. Aber ihr Einfluss ist oft eher
symbolisch, wie der des Fonds, der eine Fabrik eines
grossen Produzenten chemischer Waffen nach dem
ehemaligen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan
umbenennen will.

Es ist schwer, die Effektivität dieser Form von politischer
Parodie und Aktivismus einzuschätzen. Wie auch immer,
nach dem Sieg über das multilaterale Investmentabkommen
(MAI) im letzten Jahr, und dem wachsendem Widerstand
gegen den uneingeschränkten freien Handel in Europa und
anderen Teilen der Welt, befindet sich die WTO wirklich an
einem kritischen Kreuzungspunkt. Wenn die
Millenniumsrunde scheitert, ist die Zukunft der WTO
fraglich. Die öffentliche Meinung wird in der Entscheidung
ihres Schicksals eine entscheidende Rolle spielen.
Aufrechterhalten durch eine konstante Rhetorik der
Unabänderlichkeit - die Globalisierung schreitet voran, der
Markt ist natürlich - erscheint Widerstand oft als
zwecklos. Die Site von rTmark zeigt, dass das nicht
notwendigerweise wahr sein muss. Sie erreicht das durch
eine schlagkräftige Mischung des Realen und des Virtuellen,
von Konfusion und Aufklärung, symbolischer und direkter
Aktion.

Verschiedene Aktivitäten, die außerhalb des Rampenlichts
ablaufen zeigen, dass diese Form innovativer, subversiver
Taktiken wahrgenommen und gefürchtet wird. G.W. Bush hat
durch seine Anwälte versucht, die kritische Site zu
unterbinden, bisher allerdings ohne Erfolg. In den
Vereinigten Staaten und international (ICANN) gibt es
derzeit einige Versuche, die  Nutzung von Domainnamen,
die die Konsumenten in Hinblick auf den Ursprung der Site
"verwirren" könnte. Wie auch immer, es ist noch nicht
geklärt ob diese Form der Gesetzgebung selbst überhaupt
legal ist, da sie sicher mit dem Recht auf Redefreiheit in
Konflikt geraten wird.

Derzeit existieren noch genügend Möglichkeiten, das Web
kreativ dafür zu nutzen, die herrschenden Mächte zu
verwirren, zu stören und ihnen den Kampf anzusagen. Und
sie fühlen sich wahrhaftig angegriffen. Das alleine ist
bereits ein grosser Erfolg und zeigt, dass nichts
unvermeidlich ist.

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Les faits sont faits.
http://www.fis.utoronto.ca/~stalder