Alexandra Stäheli

«MARS ATTACKS!»

Von der Undarstellbarkeit des Feindes im amerikanischen Science-Fiction- und Kriegsfilm

Als Graham Hess (Mel Gibson) eines morgens erwacht, entdeckt er, dass sich die Welt verwandelt hat. Wie von einem unheilvollen Nebel parfümiert, scheint das abgelegene Landhaus des einstigen Pfarrers, der seiner Berufung nach dem Unfalltod seiner Frau abgeschworen hat, in plötzliche Mattheit getaucht; in eine Fahlheit, als hätte man den Dingen ihre Bedeutung abgezogen. Die Hunde, über Nacht scharf geworden, fallen zähnefletschend über die beiden Kinder Bo und Morgan her. Und in die Maisfelder, die das Hess’sche Gut umfassen, finden sich gigantische Signaturen gefräst, eingeritzt wie Wegmarken in unwirtlicher Landschaft, nur dramatischer, enigmatischer, unlesbar.

Was wie eine Parodie auf die Erklärungsmuster esoterischer Theorien aufleuchtet, stellt sich in «Signs», dem jüngsten Thriller des indisch-amerikanischen Regisseurs M. Night Shyamalan, letztlich als so unverfrorene wie unspektakuläre Tatsache heraus: Die kunstvoll in die Felder gezeichneten Kryptogramme entpuppen sich wirklich als Landemarkierungen für fliegende Objekte aus dem Weltall. Ein Spähertrupp ausserirdischer Wesen ist dabei die Erde auszukundschaften. Und diese Wesen, so steht bald fest, sind nicht wie in Steven Spielbergs «Close Encounter of the Third Kind» gleissende, sphärisch singende Friedensengel aus einer anderen Welt, sondern dunkle, böse Invasoren, die sich die Erde mit allen Mitteln anzueignen versuchen.

Abgeschnitten von der übrigen Welt, verbarrikadieren sich Graham, sein Bruder Merrill (Joaquin Phoenix) und die beiden Kinder in der Farm und nehmen die hilflose Verteidigung gegen die vorrückende feindliche Macht auf, die physisch nicht fassbar wird, deren Handlungen und Motive, ja sogar deren äussere Gestalt bis zuletzt unergründlich bleibt: In allen Ecken des in stille Düsternis getauchten Hauses scheint die namen- und gesichtslose Bedrohung zu schwelen, bis eines der Aliens für wenige Augenblicke sichtbar wird – mehr zum Beweis, dass die Geschichte tatsächlich von Ausserirdischen handelt, als um irgendetwas zu erklären.

Die Bedingungslosigkeit, mit der Shyamalan die omnipräsente Bedrohung einer ungreifbaren und unverstehbaren Macht inszeniert, die Radikalität, mit der das Namenlose, Irrationale, Fremde, das Andere nicht in Erscheinung tritt, sondern in den starren Bildern von Kameramann Tak Fujimoto nur in grau ausgeleuchteten Reflektionen, als verzerrte Schatten in Wassergläsern und auf toten TV-Bildschirmen vorüberhuscht, ist für das Genre eher aussergewöhnlich; die kammerspielartige Bedrücktheit dieser Momente sucht ihre Vorbilder eher in der Enge von Hitchcocks Kamera-Räumen denn in den Klassikern der Sci-Fi-Filme.

Obwohl also die Kameraführung in «Signs» dem Genre des Horror-Films nahesteht, reiht sich das Erzählmuster des von M. Night Shyamalan selbst verfassten Drehbuchs explizit in die Tradition jener Science Fiction-Filme ein, wie sie in den USA in den fünfziger Jahren unter dem Eindruck der aufstrebenden TV-Anstalten einen regelrechten Boom erfahren haben. Dabei greift nicht zuletzt auch die Art und Weise, mit der die fremden Invasoren geschlagen werden, auf die Dramaturgie der oft als billige B-Movie produzierten Zukunftsgeschichten zurück: Wenn sich am Ende von «Signs» nämlich herausstellt, dass die unverständlichen und scheinbar übermächtigen Invasoren auf das terrestrische Element Wasser – wie Vampire auf Tageslicht – allergisch reagieren, von dem sie in Sekundenschnelle förmlich versengt werden, dann nimmt dieser lapidare, fast beiläufige Sieg über die hochintelligenten Superwesen aus dem All den Skeptizismus vieler Sci-Fi-Filme aus den fünfziger Jahren wieder auf.

Wie «Mars Attacks!», Tim Burtons Universalpersiflage auf das Genre aus dem Jahre 1996, in dem die aggressiven giftgrünen Marsmännchen letztlich durch die scheppernden Klänge eines uralten Grammophons heulend und augenrollend zerplatzen, so inszenierte auch schon Christian Nybys «The Thing» (1951) den lakonischen Sieg einer hochtechnisierten, aber ohnmächtigen Menschheit über die Supratechnologie der Aliens: Das rübenartige «Ding» vom fremden Stern kann letztlich – wie eine praktisch denkende Hausfrau sofort erkennt – wie Gemüse durch Kochen vernichtet werden. Technologie wird nicht durch Technologie zur Strecke gebracht, lautet der skeptizistische Unterton des Sci-Fi-Genres; das Überleben der Menschheit ist durch Wissenschaft nicht zu sichern, sondern hängt einzig von der zufälligen Entdeckung einer Schwäche des feindlichen Angreifers ab.

Dabei ist es nicht erst seit Werner Faulstichs sozialgeschichtlichen Filmanalysen ein offenes Geheimnis, dass in diesen Ohnmachtsphantasien, in dieser Antithese zum Aufschwung der fünfziger Jahre auch die Hysterien der McCarthy-Ära ihren Ausdruck finden: Es ist nicht nur die durch den amerikanischen Senator geschürte Panik vor einer schleichenden Infiltration der Gesellschaft durch ausserirdisches, das heisst kommunistisches Gedankengut, die den düsteren Grundton der Filme orchestriert, sondern auch die Ängste vor einem unabwendbar scheinenden Atomkrieg. Und natürlich benutzt das Genre en passant die durch diese Ängste geöffneten Bewusstseinsporen der Zuschauer dazu, allerlei ideologische Viren einzuschleusen, Durchhalteparolen, die das Publikum nicht zuletzt auch auf allumfassende Vorsichtsmassnahmen trimmen sollen. «Watch the sky», warnt etwa ein Reporter am Ende von Nybys «The Thing» eindringlich, «erzählt es der Welt ... beobachtet alles». Und falls es keine UFOs sind, die dort am nachtschwarzen Himmel glitzern, dann könnten es russische Raketen sein, die ihr zu melden habt.

Die Aliens tentakeln also spätestens seit den 50er Jahren immer wieder als wenig raffinierte Metapher für die Ängste und verdrängten Wünsche einer Gesellschaft in einer bestimmten historischen Konstellation über die Leinwand – wobei das ziemlich herunterbanalisierte Spiel mancher Sci-Fi-Filme mit Freudschen Begriffen und Konstellationen (wie etwa Fred McLeod Wilcox’ «Forbidden Planet», der sich als trashige Ödipusadaption versteht ) nur einen noch deutlicheren Hinweis darauf liefert, dass diese Filme so gelesen werden möchten.

Auch M. Night Shyamalans «Signs» liesse sich eine solchen Lektüre unterziehen. Im Gegensatz zu den Sci-Fi-Filmen der fünfziger Jahre, in denen die Ankunft der fremden Wesen zur Allegorie auf den Kalten Krieg wird; und anders auch als die Alien-Filme der achtziger Jahre wie «Cocoon», «The Abyss» oder «Close Encounter», in denen die Ausserirdischen als esoterische Friedensbotschafter auftreten, die zu einem besseren Umgang mit der Welt aufrufen, inszeniert «Signs» den horror vacui der Postmoderne und bleibt damit dem Denken der späten neunziger Jahre verpflichtet: Die Ängste, von denen Shyamalans Protagonisten erfasst werden, beziehen sich nicht (mehr) auf die politische Ohnmacht eines Staates, sondern auf die Gefahr, dass ein einzelnes, individuelles Leben durch eine plötzlich einbrechende Sinnlosigkeit aus seiner alltäglichen Umlaufbahn geworfen werden könnte. Es ist die Kafkaeske Vorstellung, dass man eines Tages erwachen und von der Erkenntnis geschlagen werden könnte, dass die Welt nicht verstehbar und unser Dasein in Wahrheit aus den Lücken einer schrecklichen Leere gebaut ist. Die Invasion der Aliens in «Signs» wird so zum Zeichen für eine Bedrohung durch das Nichts, die bei Shyamalan theologisch diskutiert wird und in einer verdrehten Theodizee in der Frage kulminiert, ob ein böser Gott besser sei als gar keiner.

In der Geschichte des amerikanischen Sci-Fi-Films stehen die Invasoren aus dem Weltall in einer klassischen Lektüre also für das Es einer Gesellschaft, ihre unbewussten Ängste und verdrängten Wünsche. Es lässt sich an ihnen jedoch auf einer anderen Ebene, die man als ontologisch bezeichnen könnte, auch der Umgang eines kollektiven Bewussten mit dem Fremden, Anderen ablesen, die Begegnung einer Gesellschaft mit der Erscheinungsweise einer fremden Kultur. Und diese Begegnung nun gestaltet sich im amerikanischen Alien-Film seit den fünfziger Jahren in erstaunlich monotoner Invarianz: Sie bleibt auf gerade mal zwei Konzepte beschränkt – zwei Möglichkeiten, das plötzlich in die Ruhe einer Selbstheit einbrechende Andere zu denken.

So zeigt sich das Fremde zum einen, wie in Shyamalans «Signs», Roland Emmerichs «Independence Day» oder Nybys «The Thing» als das Unfassbare, Unbeschreibliche und bleibt in dieser Verkörperung des Irrationalen – die zuweilen in Gestalt grosskopfiger, mit glibberigen Tentakeln um sich werfender Wesen auftritt, zuweilen (wie in «Signs») auf der Leinwand physisch kaum sichtbar wird – letztlich eigenschaftslos. Unbenennbar. Ohne Motive, ohne Herkunft. Ohne Seele. Nichts, was es als Subjekt auszeichnen würde. Als einziges Merkmal, mit dem dieses Unbestimmte bedacht werden kann, gilt seine Schwäche: die spektakuläre Art und Weise, mir der die (amerikanischen) Erdenbewohner das Ding zu besiegen vermögen.

Für die andere Tradition des Umgangs mit dem Fremden kann Don Siegels Kultfilm «The Invasion of the Body Snatchers» (1956) stehen, in dem das Andere in schauerlicher Weise in der Hülle des Selben seinen Auftritt hat – eine Tradition, zu der sich Ridley Scotts «Alien» 1979 spektakulär und abgründig bekannte. Wenn die Ausserirdischen in Siegels Film unmerklich und unsichtbar in die Körper und Seelen der Bewohner einer amerikanischen Kleinstadt schlüpfen, sie von innen her aushöhlen und zugleich in Besitz nehmen, dann liegt der klassische Effekt des Unheimlichen gerade darin, dass das allzu Bekannte plötzlich fremd erscheint. Der Andere enthüllt sich als leicht ins Böse verzerrtes Spiegelbild eines Selbst, zuweilen auch einfach als alter ego – als dunkle andere Seite des Ich, die in Scotts düsterer Saga auch ganz buchstäblich von einem Ich ausgetragen und geboren wird.

Faszinierend mag nun erscheinen, dass dasselbe Muster einer Begegnung mit dem Fremden auch im amerikanischen Kriegsfilm in der Zeichnung einer gegnerischen Macht seinen Niederschlag findet: Der Feind bleibt entweder, wie es kürzlich etwa Ridley Scotts wummernde Materialschlacht «Black Hawk Down» vorgeführt hat, ein fremder Aggressor ohne konkrete Attribute – oder er zeigt sich, wie es viele Kriegsdramen von Stanley Kubricks «Full Metal Jacket» über Francis Ford Coppolas «Apocalypse Now» bis zu Joel Schumachers «Tigerland» darstellen, als Peiniger in den eigenen Reihen. Dabei kann gerade Coppolas Vietnamdrama als Allegorie auf den Krieg an und für sich gelesen werden, dessen Wahnsinn der quälenden Unsichtbarkeit des Gegners, seiner nur als latente Bedrohung anwesenden Abwesenheit entspringt. Das von John Milus und Coppola verfasste Drehbuch handelt, so suggeriert der kürzlich erschienene «director’s cut» in umso halluzinogeneren Bildern, von der Undarstellbarkeit des Feindes: Von der sowohl metaphysischen als auch künstlerischen Unmöglichkeit, den Gegner wahrzunehmen, das unbekannte Fremde als ein Gegenüber mit eigenen Gesetzen und spezifischen Erscheinungsformen zu denken – und als solches auch auf der Leinwand erscheinen zu lassen.

Die Geschichte des Captain Willard (Charlie Sheen), der den Auftrag erhält, den im kambodschanischen Hinterland stationierten Colonel Kurtz (Marlon Brando) zu liquidieren, erzählt nicht von der Konfrontation mit dem asiatischen Feind im Dschungel Vietnams; Willards Fahrt mit dem Patrouillenboot den Mekong hinunter wird vielmehr zu einer Reise des Protagonisten ins eigene Ich, an die Gestade der dunklen Seite seines Herzens. Denn je länger Willard auf dem Boot die Akten Kurtz’ studiert, desto deutlicher zeichnet sich der abgründige mörderische Colonel als Spiegelfigur des einsamen Captains ab: Willards Existenz ist, genauso wie diejenige von Kurtz, durch den Krieg so grundlegend zerstört worden, dass der Soldat sich ein Leben mit Krieg, schon gar nicht aber eines ohne Krieg nicht mehr vorstellen kann; und wie Kurtz erträgt Willard die Verlogenheit der amerikanischen Militärs, ihre zynische Doppelmoral, nicht mehr. Für beide Figuren stellt sich so jene Frage, die im Zentrum jedes amerikanischen Westerns als Grundkonflikt schwelt; die Frage, welches Gesetz, welche Maxime des Handelns angemessener und gerechtfertigter sei: Das Gesetz des Staates, des Krieges, das herrschende, geschriebene Gesetz – oder der moralische Impuls in uns, der der Logik (humanistischer?) Intuition folgt.

Sowohl im amerikanischen Science-Fiction- als auch im Kriegsfilm kann also das Fremde tendenziell als selbständiges, von einem Ich unabhängiges Individuum mit konkreten Eigenschaften nicht auf der Leinwand erscheinen. Dies bedeutet letztlich, dass der oder das Andere, sei es nun gut oder böse gesinnt, nicht als ein konkretes Subjekt gedacht werden kann, das dem Ich, obwohl ihm lebensweltlich verbunden, als eigenständige Instanz begegnet. Martin Buber und Emanuel Lévinas haben in ihren Schriften zur Alterität das Auftauchen des Anderen als Moment einer positiven Transzendenz beschrieben, als eine plötzliche Gegenwart, deren Vielfalt überwältigt und den Anderen zugleich in der Phänomenalität seiner Erscheinung, der irreduziblen Besonderheit seines Charakters enthüllt. Lévinas hat diese Form der Offenbarung als «Antlitz» bezeichnet: Es ist die von kleinen Silbersicheln durchzogene Schwärze seines Haares, der ich begegne, die bleierne Einsamkeit seiner Augen, die heisere Koloration seiner Worte, der kulturelle Schatten seiner Gesten und Emotionen.

Dieser Gedanke einer positiven Transzendenz lässt sich mit dem Alteritäts-Modell der amerikanischen Psychoanalytikerin Jessica Benjamin vertiefen. Benjamin unterscheidet in ihren entwicklungspsychologischen Untersuchungen zwei Arten der Wahrnehmung des Anderen, die das Kleinkind in dem Augenblick zu erlernen beginnt, da es aus der symbiotischen Verbindung mit der Mutter heraustritt; es sind dies zwei Formen der Begegnung mit dem Anderen, die später auch die Alterität des Erwachsenen prägen werden. Die eine Form, die Benjamin als «intrapsychisch», bezeichnet, wird von Freud in «Jenseits des Lustprinzips» beschrieben: Es ist das berühmt gewordene «Fort-Da-Spiel», in dem sich das Kleinkind, um seine Einsamkeit überwinden zu können, ein Objekt wählt – in Freuds Beispiel des kleinen Bebi ist es eine Fadenspule –, mit dessen Hilfe die abwesende Mutter physisch fassbar gemacht und gedanklich vergegenwärtigt wird. Doch gerade weil sich das Kind in dieser klassischen Versuchsanlage entlang eines Ersatzobjektes sein Gegenüber konstruiert, muss der Andere dem Ich letztlich als eine Phantasie erscheinen, ein einzig nach seinen Kräften erschaffenes Ding; es ist ein phantastisches Objekt und nicht ein lebensweltlich-konkretes Subjekt, mit dem das Kind seinen Eintritt in die Gesellschaft und seinen Umgang mit anderen Menschen übt.

Jessica Benjamin erscheint dieser klassische, intrapsychische Entstehungsprozess eines Denkens des Anderen fragwürdig, weil er nicht auf Gegenseitigkeit angelegt ist: Der phantastisch konstruierte Andere tut, was das phantasierende Ich will und stellt selbst keinerlei Forderungen; er verlangt weder Empathie und Verständnis, noch möchte er selbst als autonomes Subjekt anerkannt werden. Deswegen setzt Benjamin dieser intrapsyschische Konstruktion des Anderen das Modell einer «intersubjektiven» Begegnung entgegen, in der der Andere als unabhängiges Subjekt an ein Ich herantritt. Denn der intersubjektive Alteritätsprozess, so stellt Benjamin in Anlehnung an die Untersuchungen des britischen Kinderpsychologen W.D. Winnicott fest, braucht den Kampf einer wechselseitigen Anerkennung, der durch Versuche, den jeweils Anderen symbolisch wie physisch zu vernichten, begleitet wird. Nur wenn dies jedoch nicht gelingt, wenn beide Subjekte ihre gegenseitigen Angriffe überleben und sich die je eigenen Ansprüche entgegenhalten können, dann wird es gerade diese Präsenz des Fremden in der spezifischen Kontingenz seines Auftretens sein, die dem Ich in einer positiven Transzendenz die Möglichkeit zur Unterscheidung zwischen Phantasiekonstruktion und Realität gibt – und ihm damit auch den Zugang zum Anderen allererst öffnet.

Mit der intersubjektiven Form der Begegnung zweier Individuen beginnt für Jessica Benjamin also nicht nur ein differenziertes Erkennen eines menschlichen Gegenübers, es tritt vielmehr auch ein Realitätsprinzip ins Leben eines Ich, das letztlich auch für die Wahrnehmung von Geschichte verantwortlich ist: Mit dem Auftauchen des Anderen vermag das Ich zwischen Phantasie-Objekt und Realität, und das heisst letztlich auch zwischen biographischen Ereignissen und äusseren historischen Geschehnissen zu unterscheiden; durch die Begegnung mit dem Fremden werden die persönlichen Erlebnisse sowohl in ihrer zeitlichen als auch in ihrer ontologischen Qualität markiert: Die eigene Geschichte wird in Wechselwirkung mit den Handlungen, Gefühlen, Aggressionen und Forderungen des bzw. der Anderen erlebt; Geschichte wird zur Zeit, die gemeinsam mit anderen, aber heteronom erfahren wird.

Das Muster, dem die Darstellung der Begegnung mit dem Anderen in vielen Hollywood-Filmen folgt, ist nun dasjenige einer phantastischen Konstruktion des fremden Gegenübers, sei dieses nun freundlich oder feindlich gesinnt, ausserirdisch oder nur von einem anderen Kontinent derselben Erde stammend. Viele amerikanische Kriegs- und Sci-Fi-Filme können den Anderen nur als alter ego denken, als geklonte Kopie eines amerikanischen Selbst oder als aus dem Nichts auftauchendes Etwas, dessen Eigenschaften nur soweit spezifiziert und relevant sind, als sie dazu dienen, eine Schwäche zu markieren – und im Ich somit das Gefühl einer Überlegenheit zu stiften. Beide Formen des Verhältnisses zum Anderen bleiben nach Benjamins Charakterisierung insofern phantastisch, als sie sich nicht auf eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Gegenüber einlassen, das Moment des Face-to-face nicht kennen, den Augenblick, da das Antlitz des Anderen ein Ich in seinem Herrschaftsanspruch "dezentriert".

Nun liesse sich natürlich einwenden, dass der Science Fiction- wie vor allem auch der Kriegsfilm nicht gerade diejenigen Genres sind, die einen besonderen Wert auf eine ethische Begegnung zwischen Menschen oder irdischen und nichtirdischen Wesen legen (Eine Ausnahme wäre etwa Bryan Singers "X-Men"). Doch wenn man den Anspruch vieler Regisseure von Kriegsfilmen ernst nehmen möchte; wenn man respektiert, wie vor allem Oliver Stone und Francis Ford Coppola immer wieder betonen, dass ihre Filme nicht dazu da seien, die Zuschauer ideologisch zu infiltrieren und seelisch mobil zu machen, sondern in eine kritische Haltung zum Krieg zu versetzen, dann müssten diese Filme ihre Kraft gerade auf der anthropologischen Ebene entfalten, indem sie auf der Leinwand darstellen, dass in einem Krieg Individuen und nicht Scharfschuss-Zielscheiben zugrunde gehen; dass in einem Krieg immer auch die Anderen als ganz konkrete, in einem bestimmten Lebenszusammenhang stehende Personen sterben, Menschen mit plastischen Eigenschaften, die kulturell und individuell geprägt sind und gerade dadurch spezifisch fremd erscheinen können.

Aus dieser Perspektive lassen sich nun tatsächlich auch einige Parallelen zur Taktik der Amerikaner im Krieg gegen den Irak ziehen, auch wenn, das sind wir uns bewusst, die ontologischen Strukturen der Weltgeschichte und der Filmwelt nur bedingt aufeinander anwendbar sind. Die Aussenpolitik George W. Bushs im zweiten Golfkrieg nämlich zeigte nicht nur, wie in verschiedenen Feuilleton-Beiträgen festgestellt wurde, in einer übersteigerten "good guy – bad guy" Rheotrik ihre Verwandtschaft zum amerikanischen Actionfilm, sondern auch in der Wahrnehmung des Gegners, der Bevölkerung Iraks, der irakischen Führung, der irakischen Soldaten. Die Zeichnung dieses Gegners folgte dem beschriebenen, janusgesichtigen Schema, der Feind wurde in den amerikanischen Medien entweder als das ganz Andere, fremde Böse dämonisiert, oder stellte sich, noch viel erschreckender, als groteske Wiederkehr des Eigenen ein. "Wir können nicht vor jeder Mc Donalds-Filiale einen Soldaten aufstellen", hatte General Franks in einem Radio-Interview auf die Frage erklärt, weshalb die US-Armee nichts gegen die Plünderungen in Bagdad unternehme. Und damit insgeheim bestätigt, dass die Invasion der body snatchers jederzeit und nicht nur auf der Leinwand erfolgen kann.

Das Filmpodium zeigt in der Reihe "Paranoia und Wirklichkeit" Don Siegels "Invasion of the Body Snatchers" aus dem Jahre 1956.