Natursendungen am Fernsehen:

Das Tier im Lendenschurz


Die Blattlaus




Tierjournalisten bei der Arbeit




Observation




Die Anmache




Mass und Macht




Die Kücken-Perspektive: Mamma und Papa




Ein Affenfilm

Der Tier-Journalist tritt in den blätterverhangenen Bildschirm und bedeutet uns, leise zu sein. Seht her, dies ist die Natur, und ich bin ihr Fährtenleser. Wir gewähren euch einen Blick in das weite Feld einer Wirklichkeit vor jeder Geschichte. Diese Natur schützt nichts vor, sie ist einfach, vor sich hin, und sie ist einfach, ein Hortus Conclusus im Quadrat des Bildschirms. Über den Zaun der Zivilisation reckt sie ihr kindliches Gesicht, ist überhaupt ganz nackt und schutzbedürftig, ein Naturschutz- und FKK-Gelände.

Vor unseren Augen setzt nun der Reporter der jungfräulichen Mutter zu mit Kennertum, Sprache und Spezialkamera. Er kommentiert die Natur als Bühne für den reinen Tor, das Tier. Dem werden filmschnittig Beine gemacht, das ereignislose Dümpeln des Tieralltags ist keine Sendeminute wert. Angesagt sind Gute Zeiten, Schlechte Zeiten, die Beschleunigung des Lebens, rasante Auftritte (Wurf) und Abtritte (Riss), Paarungen mit Silberrücken, Keiler oder (Schnitt) mit Bache und Kloacke.

Hier ist nicht Bühne, sondern medialer Seziertisch. Theater und Spielfilm denken sich dramatische Minuten zusammen, der Tierfilm schneidet sie aus dem schläfrigen Leben heraus, wie Muskelfasern aus Fettgewebe. Er filtert, destilliert und montiert, wendet selbst die Fangstrategien von Raubtieren an, lauernd, sich gegen den Wind in Stellung bringend.

Jetzt führt der Wissenschaftler seine Kleinstkamera ins Rektum der Natur ein, nimmt uns mit auf die wunderbare Reise ins Herz von Afrika, an den Puls des Fremden. Vorbei an schillerndem Gefieder und bebenden Lenden heute direkt vor die Haustür des wohl giftigsten Tiers der Welt. Die Puffotter hat es auf ein Streifengrashörnchen abgesehen. Das wollen wir wissen. Wir wischen die Tziga-Miniaturkamera ab und montieren sie auf den Rücken der Schlange. Nun sehen wir die Welt, wie sie sie sieht. Highfidelity-Technik lässt sich heute auf jedem Tierrücken der Mittel- und Oberklasse anbringen, trottende und gleitende Tiere eignen sich am besten. Bei der Sicht aus dem Känguruh-Beutel kommt einem schon mal die eigene Natur hoch. Dann doch lieber die Welt, wie Bush Vater und Sohn sie sieht, von oben herab.

Tier-Journalisten sind Allrounder, sie lassen sich auch als Kriegs- und Sportberichterstatter einsetzen, wenn die unverhofft krank oder erschossen werden. Vor allem aber sind sie familiengängig, väterliche Ordnungskräfte voller Mutterinstinkt und pädagogischem Eros. Sie nisten im Lautsprecher unserer Tv-Geräte und ziehen der Natur die Würmer aus der Nase. Brühwarm träufeln sie uns den halbvorverdauten Infobrei ins aufgesperrte Ohr.

Überhaupt die Sprache. Fremdwörter wie Amsel und Känguruh scheinen angemessen, Onomatopöien wie Kuckuck oder Zilpzalp sind erträglich, aber Zaunkönige, Puffottern und Gottesanbeterinnen sind es nicht. Begriffe aus der Auto-Branche gehen nahtlos über in den Jargon aus dem Spitzensport. Sobald der Kaltblüter an der Sonne seine normale Betriebstemperatur erreicht hat, schafft er Sprintspitzen bis 32 KMH. Augustins 'Buch der Natur' erscheint heute im Guiness-Verlag. Mal die Frage: Könnten die Tierfiktionäre und -funktionäre es uns Nörglern überhaupt recht machen? Ja! Letzte Worte aus dem Krockomaul wären denkbar, ein Stolpern vor der gesenkten Nashorn-Stirn.

Die Tv-Natur ist bis tief in die Wolle gefärbt bürgerlich. Geboten wird ein Streben nach anmutiger Schönheit und exzellenter Leistung. Messbare Eigenarten eben, messbar an unserem Mass. Was wie schön ist, zeigt die Kamera, was die Leistung ist, sagt uns die Testosteron-Stimme aus dem Off. Dreht man die aus, sprechen nur noch die Bilder. Die Pinkflamingos stehen im Wasser wie eine Herde einbeiniger Giselle Bündchens. Erst unser Kamerahubschrauber vermag sie aus ihrem aristokratischen Nickerchen zurückholen in die Jetztzeit. Aufstehen Mädels, der Wecker hat geklingel.

Am besten gebucht sind die Freak-Shows. Ungesehene Bilder, epische Schönheit, mythische Perversion. Manches kennen wir aus der Bibel. Schaut das winzige Zaunkönigweibchen, wie es zitternd vor Erschöpfung dem riesenhaften Kuckuck-Jungen heute bereits den fünfzehnten Wurm in den Schnabel schiebt. Ihr Kopf verschwindet fast im Babyschnabel, denn der Jungkuckuck bringt das sechsfache Gewicht seiner Ziehmutter auf die Waage. Dem Gottesanbeter auf dem Nachbarast / -kontinent geht es nicht besser, seine Gottesanbeterin hat ihm nach dem Akt gerade gnadenlos den Kopf abgebissen. Und auch die Boa Constrictor macht ihrem Namen alle Ehre. Erst schlingt und würgt sie den Springbock ins Jenseits, dann hinab, samt Hufen und Hörnern. All dies sind Sachen, die wir unseren Kindern bei Tisch nie durchgehen lassen würden, doch am Fernsehen sehen wir sie ganz gern.

Schliesslich gerät auch das Tier selbst unter Verdacht. Als Weltnaturerbe zieht es das Baströckchen an und mimt für unsere sentimentale Sofaseele den edlen Wilden. Sitting Bull, melancholisch lächelnd zwischen Bang und Olufsen.
Da sitzen und liegen wir im Standby-Modus vor dem Tv, schauen, wie Tiere ihr Leben fristen, dieser erhabene Stress, und knabbern beim Anblick von Löwenpranken auf Zebraflanken leicht echauffiert am Schockoriegel. Über Jahrmillionen hinweg haben wir uns aus diesem Sumpf herausevolutioniert. Jetzt ist gefälligst Feierabend, Zeit für ein Pläsierchen. (Nicht kleckern, Tierchen, klotzen!)



Reinhard Storz
erschienen in 'Schweizer Kunst', Juni 2003
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