Was Netzkust ist und wo: Versuch einer Positionsbestimmung im Ortlosen

Längst nicht alle Kunst, der wir auf dem Netz begegnen, kann auch als Netzkunst gelten. Eine Unterscheidung macht Sinn, denn nur so lassen sich auch Kriterien für die Beurteilung der Qualitäten einzelner Projekte definieren. Was Not tut, da bei weitem nicht jeder Kunstfisch, der ins Netz geht, auch eine Delikatesse ist.


Von Reinhard Storz und Samuel Herzog

Längst nicht alle Kunst, der wir auf dem Netz begegnen, kann auch als Netzkunst gelten. Eine Unterscheidung macht Sinn, denn nur so lassen sich auch Kriterien für die Beurteilung der Qualitäten einzelner Projekte definieren. Was Not tut, da bei weitem nicht jeder Kunstfisch, der ins Netz geht, auch eine Delikatesse ist.
Was unsere Gesellschaft heute mit dem Internet verbindet, kann man eine Art Heilserwartung nennen. So hoffen wir zum Beispiel, dass das Netz eine Kultur des Dialoges rettet, die wir in unserer Welt der Individualisten und Singles bedroht sehen. Da jeder Mensch im Netz Informationen an-bieten kann sind wir auch überzeugt, dass vor dem Netz alle gleich sind und halten es folglich für geeignet, die immer grösser werdenden sozialen Differenzen (mitunter auch jene zwischen der Ersten und der Dritten Welt) zu mildern. Und von der Möglichkeit, sich im Netz eine eigene Identität zu kreieren, versprechen wir uns eine Befreiung von Rollenzwängen und neue Möglichkeiten für unser Selbst.

Entsprechend gross ist die Bereitschaft unserer Gesellschaft, enorme Summen in die Entwicklung dieser Technologie und ihrer Inhalte zu investieren. Dabei übersehen wir, dass es für jeden Dialog vor allem die Bereitschaft und die Zeit dazu braucht, dass ein Computer weder vor sozialem Unglück noch vor Hunger oder Geschlechtskrank-heiten schützt - und die experimentellen Identitäten im Netz sehen meist jenen Stereotypen zum Verwechseln ähnlich, die wir auch aus Werbung, Film oder Fernsehen kennen.
Werfen wir nun noch schnell einen Blick auf die Netztheorie der vergangenen Jahre, so kristallisiert sich als eine zentrale Idee die Vorstellung heraus, dass sich durch die virtuelle Präsenz eines Subjekts im Netz dessen Körper allmählich auflöse. Eine der Lieblingsphantasien ist die, dass wir uns dereinst als Subjekte per Download unserer gesamten Hirnströme ins Netz einspeisen könnten. In diesem ganzen Zukunftsfieber wird kaum beachtet wie altbacken die Begriffe vom Menschen sind, die diesen Vor-stellungen zugrunde liegen: Über Jahrhunderte hinweg haben das Christentum und die abendländische Philosophie den Menschen als ein rein geistiges Wesen verstanden und erst im zwanzigsten Jahrhundert haben sich berechtigte Zweifel an dieser Selbstverständlichkeit geregt. Vor diesem Hintergrund erstaunt es kaum, dass das Internet demnächst vom Vatikan auch einen Schutzheiligen zugewiesen bekommen soll wie die «Sonntags-Zeitung» vor Jahresfrist zu berichten wusste.

Das Netz als Hoffnung für die Kunst Ähnlich grosse Hoffnungen, wie sie mit dem Internet insgesamt verbunden sind, richten sich auch an die Kunst im Netz: So soll das Internet die Kunst aus der Klammer der Institutionen befreien, ihr gesellschaftliche Relevanz zurückgeben, neue Formen der Kommunikation zwischen Produzent und Rezipient sollen entstehen, neue Bildbe-griffe, neue Wahrnehmungsmöglichkeiten etc. So «high» die Erwartungen sind, so «low» sind nicht nur die derzeitigen technischen Möglichkeiten des Netzes (zumindest im Vergleich mit anderen neuen Medien), sondern es wird da auch manche Idee gefeiert, die sich ausserhalb des World Wide Web wohl kaum behaupten könnte. Entsprechend gross ist denn mancherorts auch das Misstrauen - es wird zusätzlich dadurch geschürt, dass die Produzenten und Theoretiker im Bereich der neuen Medien die letzten im Kunstbereich sind, die heute noch eine Art von Avantgardestatus geniessen und mit entsprechenden Ansprüchen und einer entsprechend unverständlichen Sprache vors Publikum treten. «In der Propaganda für die neue Medienkunst», so wehrt sich etwa Hans Belting in einem von der «Zeit» publizierten Aufsatz, «spielt die Furcht mit, die Kunst könne am Ende sein, wenn sie sich nicht in zeitgemässe Medien rettet und wenn sie nicht dort an der Rückkehr der Bilder, an der Geburt der neuen Wahrnehmung mitwirkt».

Doch wovon sprechen wir eigentlich, wenn wir Kunst im Netz oder von Netzkunst reden? Seit das Netz zu Anfang der neunziger Jahre für private Nutzer geöffnet wurde, haben Künstlerinnen und Künstler seine spezifischen Möglichkeiten auf ganz unterschiedliche Weisen genutzt. Den mit Abstand grössten Teil aller Seiten im Netz, die mit Kunst zu tun haben, machen allerdings jene aus, die der Präsentation, dem Verkauf oder der ideellen Vermittlung von Werken dienen, die in anderen, oft auch nicht digitalen Medien geschaffen wurden. Nicht nur viele Künstler und fast jede Künstlerorganisation, sondern auch die meisten Galerien, die Fachzeitschriften und annähernd alle Museen sind mit eigenen Seiten auf dem Netz präsent. Die Tendenz, möglichst alles möglichst schnell aufs Netz zu bringen wirkt manchmal fast grotesk - und vielleicht geht es dabei ja vor allem darum, das Unbehagen vor dem neuen Medium dadurch zu bannen, dass man es mit Zitaten aus anderen, vertauteren Medien voll stopft.

Netzkunst versus Kunst auf dem Netz Dieser riesigen Masse von auf dem Netz präsentierter Kunst, die ihre primäre Existenz ausserhalb des Netzes hat, steht eine verhältnismässig kleine Menge von Projekten gegenüber, die ausschliesslich für das World Wide Web entworfen sind, die von den spezifischen Charakteristika des WWW ausgehen und nur oder zumindest hauptsächlich auf dem Netz existieren. Eine Unterscheidung zwischen Kunst auf dem Netz und «Netzkunst», «net.art» oder «Webart» scheint also sinnvoll - auch wenn sie sich nicht bis ins Detail aufrecht erhalten lässt, da einige Netzkunstprojekte auch über Schlingen verfügen, die in die reale Welt, die aus dem Medium hinaus wachsen.

Doch was macht Netzkunst eigentlich aus, was sind ihre Eigenschaften und inwiefern unterscheidet sie sich von anderer Kunst. Zunächst lässt sich festhalten, dass Netzkunst genuin ortlos, nirgends oder – im Gegenteil – überall ist, jederzeit verfügbar und unverfügbar zugleich. Sie ist virtuell und das heisst, um mit Jens Geelhaar zu reden: «da und doch nicht da, ein Trick; mit Worten nicht zu fassen, sonst wäre es real». Dem könnte man anfügen, dass jedes Netzprojekt zwar einen Urheber hat, dass aber das schöpferische Subjekt, der Autor nicht mehr, wie etwa in der Malerei, grundlegende Bedingung und Anfang jeder Arbeit ist. Denn viele Projekte werden im Kollektiv geschaffen und Autoren werden oft eher strategisch eingesetzt. Die Existenz im weltweiten Datenmeer bedeutet auch, dass diese Kunst sich nur schlecht vermarkten lässt.

Die Axt neben dem Bildschirm Ausserdem ist Netzkunst prinzipiell veränderbar und unabgeschlossen. An dieser Stelle halten Netztheorien generell fest, dass sich Netzkunst durch ihre proklamierte Unabgeschlossenheit in Widerspruch setze zu dem von der klassischen Moderne etablierten Begriff des autonomen Kunstwerks, des Kunstwerks als einer von seinem Autor vorgenommenen, absoluten Setzung. Dem könnte man entgegenhalten, dass etwa auch Objektkunst diese Unabgeschlossenheit proklamieren kann, und man könnte zum Beispiel die zweite Kölner Dada-Ausstellung von 1920 anführen: Hier brachte Max Ernst neben einem seiner Kunstwerke eine Axt an und forderte die Besucher auf, dieses Gerät zu benutzen, sollte das Werk ihnen missfallen. Eine genuinere Eigenschaft von Netzkunst scheint deshalb der Hyperlink, die Möglichkeit, sich von einem Text oder Bild in einen ganz anderen Bereich zu «linken» und von dort wieder und wieder weiter zu kommen.

Ausserdem bietet das Netz der Kunst die Möglichkeit, das Dreieck von Künstler-Kunstwerk-Betrachter zu durchbrechen: Dem Betrachter kann die Möglichkeit gegeben werden, nicht nur zu reagieren, sondern an dem Kunstwerk auf ganz verschiedene Weise aktiv teilzuhaben oder mitzuwirken. Auch diese Interaktivität ist allerdings keine Erfindung der Netzkunst, denn schon die Dadaisten experimentierten mit verschiedenen Formen von Zuschauerbeteiligung. Und schon sie mussten merken, dass sich Interaktion nicht von einem System her einsetzen lässt, sondern immer auf der Motivation von Einzelnen beruht, mit anderen in Kontakt zu kommen.

Solche Versuche, die Eigenschaften von Netzkunst zu beschreiben, lassen deutlich werden, dass Netzkunst nur sehr bedingt eine generelle Umwälzung der Möglichkeiten von Kunst darstellt. Dass sie also das ungeheuer Neue, als das sie immer noch da und dort angepriesen wird, nur sehr bedingt ist. Trotzdem kann man dem Kunsttheoreti-ker Bazon Brock nicht vorbehaltlos zustimmen, der 1990 formulierte: «Die Einführung neuer Technologien ist für die Kunst relativ unerheblich. Wenn man als Künstler nichts zu sagen hat, nützt einem auch die Verwendung avanciertester Tech-niken wenig». Natürlich hängt auch die Güte eines Netzkunstwerkes zunächst vor allem davon ab, was der Künstler zu sagen hat - gerade die Art und Weise aber wie er mit diesen neuen Technologien umgeht, wie er die Bedingungen eines Werks im Netz reflektiert, spielt für die Qualitiät seiner Arbeit eine entscheidende Rolle.

Eine entmaterialisierte Kunst Denn im Internet entmaterialisiert sich die Kunst, bedingt durch die Digitalisierung ihrer Daten und durch das visuelle Interface des Computerbildschirms. Durch Film, Video und Fernsehen haben wir uns aber soweit an Bildprojektionen und Monitorbilder gewöhnt, dass der Materialitätsbegriff für Kunstwerke selbst museal zu werden beginnt. Bei künstlerischen Werken im Internet beginnen sich nun aber auch die Bilder selbst zu verflüchtigt - wenn das primäre Material von Bildender Kunst Bilder sind, findet hier die Entmaterialisierung der Kunst eine neue Qualität. Das liegt einerseits daran, dass in der heutigen Frühphase dieses Kom-munikationsmediums wegen langsamer Datenübertragung das Online-Angebot grosser Bilder und Bildmengen (noch) unsinnig ist, tatsächlich sind selbst Postkartenformate fast schon eine Zumutung. Es liegt auf der anderen Seite aber auch daran, dass die medialen Eigenschaften des Internets weniger klassische Bildprojekte als Konzepte mit Kommunikations- und Interaktionsqualitäten fördern. Bescheiden sind diese Ideen des-halb aber noch lange nicht, im Gegenteil. Seitdem das Internet mit den ersten bildtauglichen Web-Programmen von Netscape und Microsoft 1995 zum veritablen Kunstmedium wurde, befassen sich Künstler mit der weiträumigen Kommunizierbarkeit ihrer Projekte.

Früh entstanden auf dem Web von Künstlern initiierte Plattformen zur freien Meinungsäusserung der «Netizens» («Net-Citizens»), denn das Internet überwindet die Einwegkommunikation der traditionellen Massenmedien, jeder Empfänger ist potentiell auch Sender. Hier schien sich eine hierarchiefreier Gesellschaftsraum realisieren zu lassen, für welchen die Metapher der virtuellen Stadt geprägt wurde. Bekannteste Beispiele für solche Plattformen sind «De digitale Stad» in Amsterdam (1994) und die «Internationale Stadt» in Berlin (1995). Die Struktur von «De digitale Stad» orientiert sich tatsächlich am Muster von urbanen Infrastrukturen, mit «Bewohnern und Touristen», die sich in «Cafés» für freie Gespräche (Chat) treffen, mit Privathäusern, Kulturräumen, Zentren für politische Diskussion, Job-Börsen und Spielhallen. In einem Ideenmix von Situationistischer Internationale, sozialer Plastik und Landsgemeinde ohne Säbel aber mit Maus sollte die neue zwischenmenschliche Interaktion in der virtuellen Stadt auf den Alltag der realen Stadt Amsterdam zurückwirken. Da sich Kunst für die Entwicklung von Modellen interessiert und das Scheitern in der Realität nicht weiter tragisch nehmen muss, gehören diese virtuellen Stadtprojekte heute zur Netzkunstgeschichte. Sie bleiben vorbildlich, weil sie Realität nicht einfach abbilden, sondern durch Interaktion transformieren wollten.

«Could you spare a dollar ?» Schon bevor das Internet von US-Militär und Universitäten öffentlich zugänglich gemacht wurde, waren im Kunstbetrieb Konzepte entwickelt worden, in denen die Distribution wesentlicher Bestandteil des Projekts war. Ein prominentes Beispiel dafür ist Jenny Holzer, welche unter dem Titel «Truism» seit den späten siebziger Jahren auf Flugblättern, T-Shirts und Laufschrift-Displays politisch-moralische Merksprüche publiziert. Kein Wunder tauchen die «Truisms» früh auch im Internet auf, als Angebot zur Reflexion, Ergänzung und Erweiterung.

Jenny Holzer stellt aber eher die Ausnahme dar, denn nur selten steigen bereits bekannte Künstler auf das neue Medium ein. Dafür prägen neue Namen die kurze Netzkunstgeschichte. Ein Meister der offensiven Unscheinbarkeit ist etwa der engli-sche Künstler Heath Bunting. Die paradoxe Grössenverkehrung, die bereits in McLuhans Metapher des «Global Village» angedeutet ist, trieb Bunting 1996 als virtueller Bettler an der «Datenautobahn» auf die Spitze. In die beliebten «Guest Books» populärer Websites schrieb Bunting die Sätze: «Excuse me mister! could you spare a dollar?» Dazu fügte der Künstler in Hacking-Methode ein Formular ein, über das man die Nummer seiner Creditcard direkt an den Wegelagerer weitergeben konnte. «Ok you humble inter-net beggar, charge my credit card!», «god bless you sir!» Als digitaler Bettler ist Bunting nicht reich geworden, aber sein kleines präzises Projekt führt über Sprache und Programmierung die hochtrabende Metaphorik im Cyberspace zurück ins Konkrete.

Zu den bekanntesten Namen im Bereich der Internetkunst gehört die Zürcher Gruppe etoy. Bereits 1996 erhielt sie für ihre Arbeit «digital hijack» den renommierten Prix ars electronica. Weltweite Medienpräsenz erfuhren etoy im Frühjahr 2000 mit dem Projekt «Toywar». «Toywar» reagierte auf den Rechtsstreit mit dem kalifornischen Spielzeuganbieter etoys.com, welcher der Künstlergruppe etoy.com mit geballter juristischer Macht ihren älteren Anspruch auf den Domain-Namen streitig machte. Im Kunstprojekt «Toywar» solidarisierten sich darauf Tausende von Netzaktivisten mit der bedrängten Künstlergruppe. Nach dem ästhetischen Muster von Computerspielen bildeten sie eine virtuelle Kampftruppe im künstlerischen «Freiheitskrieg» gegen den Grosskonzern. Hinter der fiktiven Spielebene verbarg sich erkennbar die reale Drohung, den Server der gegnerischen Partei durch digitale Belagerungsmethoden zu sabotieren. Letztlich war es aber vor allem die starke Solidarität der internationalen Online-Community, die Unterstützung durch re-nommierte Kunstinstitutionen wie dem Museum of Modern Art New York und das grosse Medieninteresse in Zeitungen und Fernsehen, welche die Grossfirma zum Klagerückzug zwang.

Wo zeigt sich die Kunst? Die Frage, wo sich in einer solchen Arbeit die Kunst zeigt, kann man als Charakteristikum vieler Netzkunst-Projekte ansehen. Die Kunst-Ebene ist an einer interaktiven Realität festgemacht, die bildhaft symbolische Ebene lässt sich von der authentischen Aktion kaum unterscheiden.

Im Gegensatz zu Projekten mit politischer Einfärbung bedienen Joan Heemskerk and Dirk Paesmans seit August 1995 das Bedürfnis nach Bildern. Die techno-anarchischen Spielereien ihres Labels «jodi.org» wurden bei der Online-Community schnell zum Mythos. Sie zeigen die selbstreferentielle Bildästhetik des Computers an der Schwelle zum Systemabsturz. Der bleibt allerdings nur Bildgeste. Trotzdem wurde jodi.org 1999 vom bisherigen Host der Service gekündigt: «Wie sie wissen, enthält eine ihrer WWW-Seiten bösartiges Javascript, das den Browser abstürzen läßt...» Auch auf dem Netz kann Kunst also gutartig und böswillig sein, sozial und aggressiv. Und auch hier ist ihre Realität doch hauptsächlich die des Bildes, des Als-ob. Aber der Wunsch, sich mit der Geste in die Realität einzumischen, auf die man zeigt, gehört zu den Eigenarten der frühen Netzkunst.

Der australische Künstler Stelarc thematisiert die Netzsignale in umgekehrter Richtung. Als Empfänger untersucht er die kybernetischen Einwirkungen des Cyberspace am eigenen Körper. Er erprobt an sich, was Luigi Galvani im 18.Jh. an amputierten Froschschenkeln herausgefunden hat: die physiologische Tatsache, dass elektrische Impulse zu Muskelkontraktionen führen. So entwickelte Stelarc für die Performance «parasite» ein subkutanes Interface zwischen dem Daten-fluss des Internets und seinem Körper. Über elektrische Impulsumwandlung bewirkten Bildinformationen aus dem Netz am Künstler fremdgesteuerte Körperbewegungen. Stelarcs Performances sind theatralische Shows mit grossem technologischem Aufwand. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse bringen sie wohl kaum, als künstlerische Praxis sind sie aber bemerkenswerte Beiträge zum aktuellen Technologie- und Mediendiskurs.

Plattformen und perönliche Kontakte Schon früh begannen Plattformen wie thing.net, thing.at, rhizome.org, desk.nl oder easylife.org die Kunstaktivitäten auf dem Web zu fördern und zu bündeln. Persönliche Kontakte an Symposien unterstützten die Künstlervernetzung auch im realen Raum. Diese Medien-Plattformen bieten oft nicht nur Zugang zu Kunstprojekten, sondern of-ferieren auch den dazu gehörenden Diskurs zu Netzkunst und neuer Medientheorie. Kunstplattformen mit ähnlichem Ansatz haben sich mit xcult.org und centreimage.ch seit 1996 auch in der Schweiz etabliert. Diese Plattformen erfüllen im Bereich der Netzkunst Aufgaben, die mit jenen von Kunsthallen und Museen für Gegenwartskunst vergleichbar sind. Das heisst: Sie treffen eine qualitative Auswahl, unterstützen die Künstler bei der Produktion und bieten dem Publikum über ihre Portalfunktion vereinfachten Zugang zu künstlerischen Netzprojekten.

Solche Plattformen sind zum gegebenen Zeitpunkt die wichtigsten Instrumente zur Vermittlung von Netzkunst. Zumal sich Museen und Kunsträume immer noch sehr schwer tun, Netzprojekte im Rahmen ihrer Ausstellungen zu präsentieren. Wie kontrovers die Frage der «Ausstellbarkeit» von Netzkunst auch heute noch diskutiert wird, hat kürzlich eine Podiumsveranstaltung im Rahmen der Zweiten Berlin Biennale gezeigt, wo es - im Unterschied etwa zur letzten Documenta - keine Netzkunst zu sehen gibt. Während die Biennale-Kuratorin Saskia Bos die Ansicht vertrat, Netzkunst sei in einer Ausstellung nicht vermittelbar, äusserte der Medientheoretiker Tilman Baumgärtel den Verdacht, hinter der Absage an die Netzkunst stünde die Befürchtung, dass Computerarbeiten zu viel Aufmerksamkeit erregen und die Besucher von den «traditionellen» Werken ablenken könnten.

Auch in der Schweiz wird Netzkunst fast aus-schliesslich im Rahmen von spezialisierten Institutionen oder Veranstaltungen ausgestellt: Im Genfer Centre pour l'image contemprain Saint-Gervais, dem Berner Museum für Kommunikation, im Basler «Plug-In» oder auf der «Viper». Dass sich Netzkunst allerdings auch in anderen Institu-tionen präsentieren lässt, illustriert derzeit gerade eine Ausstellung im Kunsthaus Muttenz: Hier zeigen Monica Studer und Christoph van den Berg ihr Netzprojekt «Vue des Alpes» - eine Alpenlandschaft mit einem Hotel, in dem man auch Zimmer buchen kann. Für seine Ausstellung hat das Künstlerpaar einzelne Elemente aus seiner Landschaft quasi in Lebensgrösse ausgedruckt und auf verschiedene Weise im Raum inszeniert. So treten wir etwa mitten in einen Wald oder gelangen an das Ufer eines Sees und staunen vor allem darüber, dass uns diese künstliche Reallandschaft - weit mehr etwa als jede Photographie - eine so prächtige Disposition für unsere alpinen Projektionen, Sehnsüchte und Phantasien bietet.

Dass wir Netzprojekten in einer Institution begegnen und folglich ja wohl zweifelsfrei feststeht, dass es sich dabei um Kunsthandeln muss, ist allerdings eher die Ausnahme. In aller Regel kommen wir mit Netzkunst, so wir uns dafür überhaupt interessieren, vor allem ausserhalb jedes institutionellen Rahmens in Berührung. Wir müssen uns folglich die Frage meist selbst beantworten, ob wir das, was wir da vor uns haben nun als Kunst akzeptieren wollen oder nicht. Das sich diese Frage ständig stellt ist nicht bloss - wie erwähnt - ein Merkmal von Netzkunst, sondern es macht sie auch interessant. Denn keine andere Kunstform zwingt uns mit solcher Hartnäckigkeit dazu, ständig darüber nachzudenken, was wir denn nun in der Kunst aus welchen Gründen für sinnvoll und interessant halten wollen. Und das tut wohl auch der Kunst ganz gut.

erschienen in der Wochenendbeilage zur Gegenwartskunst. NZZ 9./10.6.2001