The Missing Link


Zur Ordnung der Dinge und Begriffe im Indizienprozess
ein kriminologischer Vortrag von Reinhard Storz

 

Zuerst möchte ich den Veranstalterinnen danken, dass Sie mich zu dieser Vortagsreihe unter dem Obertitel "Sammeln und Ordnen" eingeladen haben.Sie untersuchen diese Begriffe im Rahmen der Kunst - ich komme aus einer fremden Disziplin, der Kriminalistik, und ich schätze es sehr, auch einmal vor einem Laienpublikum sprechen zu dürfen. Ich danke.

Ich weiss, dass die Kulturgeschichte zu einem grossen Teil in der Erzählung von Kriminaldelikten besteht. Betrachten Sie nur die christliche Ikonographie oder die Mord-Statistik von Theaterstücken. Ich nehme zudem an, dass einige von Ihnen sich gern an televisionären Krimiserien delektieren. In diesen Bereichen gibt es also scheinbare Berührungspunkte zwischen ihrem und meinem Wissensbereich.

Ich muss aber gleich vorweg betonen, dass hier nicht die Verbindung zur Kultur, sondern die zum Thema Ordung den Aufhänger (Geste) meiner Ausführungen bildet.

Ich bin auch nicht hier, um möglichen Sensationserwartungen Ihrerseits Genüge zu tun. Im Gegenteil. Zum Einen widerspricht es meinem Ethos als Kriminalist, real existierenden Fällen den Anstrich und Thrill von sattsam bekannten Fiktionalfällen zu verleihen, zum anderen besteht die Ermittlungsarbeit von uns Ordnungs-Hütern wahrhaftig nicht im unterhaltsamen Zuckerschlecken.

Um diese Haltung zu bekräftigen, will ich Ihnen gleich vorweg die Auflösung des hier zu debattiernden Indizienprozesses angeben: Der Täter konnte nicht ermittelt werden. Als ich die Zusage zu diesem Vortrag gab, kannte ich den Prozessausgang noch nicht. Sonst hätte ich auch nicht den gewählten Titel gewählt: The missing Link. Damals waren wir diesem fehlenden Glied bereits auf der Spur: es ist ein Schamhaar. Ich konnte aber noch nicht wissen, dass diesem fehlenden Glied bezogen auf den Prozessausgang keine effektive Bedeutung zukommen würde. Denn am Ende der Kausalkette muss die Überführung der Täterschaft stehen, sonst erhalten Sie unter dem Link neumedial gesprochen eine Fehlermeldung. Er ist Verheissung ohne Erfüllung.

Meine geschiedene Frau beklagte sich oft, ich würde zu umständlich sprechen, ich solle doch gleich sagen, was Sache ist. Zum Schluss meinte sie, diese Umständlichkeit sei ein Zeichen von verzögertem Denken und also von Dummheit. Sie verliess mich mit einem Paparazzi. Ich bin aber nicht dumm, ich bin nur gründlich. Das ist eine Déformation professionell, wie Sie nach meinen Ausführungen verstehen werden. Der Paparazzi ist übrigens ein kleiner Kerl mit überlangem Teleobjektiv, ein Paparazzino, würde ich sagen.

 

Ich habe the missing Link, das Schamhaar, übrigens mitgebracht, als Beweismittel für seine Existenz. In meinem Beruf hat man es oft mit Lügnern zu tun, mit Fiktionären, und ich weiss nicht: Sie als Künstler, als Fiktionäre quasi ihrerseits, sind selbst wahrscheinlich auch nicht eben leichtgläubig.

Da ist es. Nein, Wo ist es nur? Oh je, vermutlich habe ich das Schamhaar im Auto liegengelassen. Zu dumm. Kann mir jemand von Ihnen vielleicht aushelfen?

Das war nur ein Witz. Natürlich können Sie nicht. Denn in meinem Metier sind Schamhaare keine Repräsentationsobjekte, wie bei Ihnen in der Kunst. In der Kriminalistik geht es immer um reale Presenz und unmittelbare Identität.

 

In Indizienprozessen ist übrigens die Faktenlage aufgeweicht. Zur Erhärtung der Tatsachen dienen unsere Ermittlungen. Wir gehen vor gegen das Weiche und Wage, gegen Fuzzy-Logics (wie ein Fachterminus heisst). Bei uns gibt es kein Vielleicht, sondern nur JA oder Nein, Wahr oder FALSCH. Fuzzy-Verhältnisse gehen immer zu Gunsten des Angeklagten. Wir aber verhelfen der Wahrheit zum Durchbruch und führen den weichen Indizienkörper über in einen festen Tatbestand.

Im vorliegenden Indizienprozess, genannt Hawaii- oder Wespen-Schreck-Prozess, geht es, wie gesagt, um ein Schamhaar, also um etwas Sexuelles. Das ist mir nicht lieb. Hier vor der Öffentlichkeit. In der Öffentlichkeit sitzen manchmal Psychologen und drehen einem das Wort im Mund herum (Geste). Anstatt missing Link heisst es dann Penisneid, und ähnliche Schweinereien. Aber ich habe den Veranstalterinnen gegenüber zugesagt, über den aktuellsten Fall zu sprechen, und ich halte mein Wort. Worttreue kommt vor Sexualscheu.

 

In Indizienprozessen spielen Dinge, Handlungsabläufe, Motive und Worte eine Rolle. Die Gegenstände sind die Reliquien einer Tat. Sie würden vielleicht sagen: die Requisiten. Sie dienen dazu, uns vom möglichen Tathergang ein Bild zu machen.

Lehrsatz 2.12: Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.


Lehrsatz 2.131: Die Elemente des Bildes vertreten im Bild die Gegenstände.


Lehrsatz 2.14: Das Bild besteht darin, dass sich seine Elemente in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten.


Lehrsatz 2.15: Dass sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten, stellt vor, dass sich die Sachen so zu einander verhalten.(-)

 

Wenden wir uns also dem aktuellen Mordfall zu.


Am Tatort finden wir neben und in der Leiche einen Gartenhandschuh, eine abgerissene Blume, einen Mageninhalt (Toast Hawaii), im linken Auge steckt eine Gartenschere und hinten im Mund finden wir bei der Obduktion ein Schamhaar. Dieses Corpus delicti wird Hauptgegenstand unserer Beweisführung werden.


Selbstredend ist die Leiche das Primärobjekt. Den Täter haben wir noch nicht. Den müssen wir erst dingfest machen. Habeas Corpus, wie man im Mittealter sagte.


Die Leiche liegt unter einem Baum im Garten ihrer eigenen Liegenschaft.

Wie können wir jetzt diese Gegenstände und Tatsachen miteinander in eine Ordnung bringen, die dem prüfenden Auge des Richters standhält. Vielleicht verstehen Sie mich, obwohl Sie Künstler sind. In Indizienprozessen gibt es nur Wahrscheinlichkeiten. Die müssen wir so zubereiten, dass sie an Sicherheit angrenzen. Das ist unsere Kunst, um das hier mal so zu nennen.

 

Stellen wir uns folgendes Szenario vor:


Das Opfer in Spe, ein Mann, steht unter dem Baum und riecht an einer Blume. Genau über ihm, in kurzen weiten Hosen und Gartenhandschuhen steht auf einer Leiter Person2, die tatverdächtige Nachbarin. Sie ist Hobbygärtnerin und wurde von Person1 beim Baumschneiden um Hilfe gebeten.Die Leiter ist an einen Baum gelehnt, Person 2 schneidet mit einer Gartenschere kleinere Äste ab.

Die zu Person2 heterosexuell hingezogene Person1 steht unter Person2, weil diese unter der weiten kurzen Hose keine Unterhose trägt. Das Opfer in Spe riecht an seiner Blume und guckt wie beiläufig hoch.

Nun kommt aber eine Wespe und setzt sich unauffällig auf die Blume in der Hand des Opfers in Spe, um etwas Nektar zu nippen. Wespen sind Omnivoren, wie wir fressen sie alles und brauchen hie und da auch etwas Grünzeug. Wie nun das Opfer in Spe den Kopf wieder senkt, um auffällig an der Blume zu riechen, wird es von der Wespe in die bedrohliche sich nähernde Nase gestochen.


Der Wespe kann man das nicht verdenken, es liegt in ihrer Natur. Das Opfer beginnt zu schreien wie am Spiess und die Wespe zieht ihren Stachel aus der Nase - hier geht es um Dezisekunden. Schreiend wendet Figur1 den Kopf um Hilfe suchend wieder hinauf richtung Figur2.

Figur2 auf der Leiter über dem Opfer in spe erschrickt vom Schrei und lässt zweierlei fallen. Erstens ein Schamhaar aus dem weiten Hosenbein - das ergibt sich aus einer ruckhaften Bewegung, das Schamhaar ist schon alt und lose - und zweitens die Gartenschere, das ergibt sich aus dem Chlupf, wie die Berner sagen, also als Folge des Erschreckens.


Die Schere ist zuerst unten und trifft in statut descendi das rechte Auge des Opfers, welches alsbald stirbt. Das Schamhaar kommt wenig später angesegelt und schwebt in den röchelnden Mund der nun bereits hingestreckten Leiche. Es hat einen genau 1m 96 längeren Weg als die Schere. Durch den Hinfall des Opfers ist ja eine rechtwinklige Dreieckskonstellation entstanden, in der die Schere im Fallen dem Vertikal-Schenkel folgt, das Schamhaar der Hypotenuse, welche die Genitalsone von Figur2 mit dem offenen Mund der hingestreckten Leiche verbindet.

 

Natürlich ist das eine saublöde Geschichte, aber sie ist immerhin möglich.

Lehrsatz 3.001: "Ein Sachverhalt ist denkbar" heisst: Wir können uns ein Bild von ihm machen.


Lehrsatz 3.02: Der Gedanke enthält die Möglichkeit der Sachlage, die er denkt. Was denkbar ist, ist auch möglich.

 

Die erhärtete Tatsache, dass Person2 später den Handschuh auszieht und liegenlässt, um der Leiche aus Pietätsgründen das eine, unverletzte Augen und den Mund zu schliessen, führt uns später auf ihre Spur. Dass sie beim Mundschliessen das eigene Schamhaar mit einschliesst, merkt sie verständlicherweise nicht. (Geste) Es ist ein kleines Schamhaar.

Wie gesagt, es ist eine idiotische Geschichte, aber mit genau dieser Geschichte hat die tatverdächtige Person2 den Tathergang erklärt und unser Obduktionsteam konnte tatsächlich einen Wespenstich an der Leichennase feststellen.

Für juristische Feinschmecker stellen sich bei diesem supponierten Tathergang einige interessante Fragen.


Kann man im Fall der Wespe von fahrlässiger Tötung sprechen, sie steht ja am Anfang der fatalen Kausalkette. Bestrafen können wir die Wespe nicht. Noch im Mittelalter wurden gelegentlich auch Tiere gehängt, die in Tötungsdelikte verwickelt waren. Aber, wie will man eine Wespe finden, und wie will man sie hängen? Im übrigen fallen Tiere generell ins fahrlässige Fach, und nicht ins vorsätzliche, auch nicht, wenn es sich um Raubtiere handelt. Sie gehören zur Kategorie der Instinkttäter.

Wespen sind Raubtiere, und das Gutachten der Opferobduktion ergab, dass am verletzten rechten Auge von einem Insekt kleine Fleischbrocken aus der Leiche herausgebissen worden sein mussten. Bei diesen kleinen, herausgebissenen Fleischbrocken handelt es sich übrigens, verbaljuristisch gesprochen, auch um Indizien, um Objekte in absentia, um kleine rote Löcher.

Unsere Beamten betonten bestimmt, auf der Leiche keine Wespe angetroffen zu haben und also weder eine Wespe mit einer Handbewegung (husch) verscheucht, noch eine solche mit einem resoluten Klaps am Auge der Leiche zerquetscht zu haben. Das erstere hätte den Tatbestand der Fluchtbegünstigung, das zweite den der Selbstjustiz erfüllt, verbaljuristisch gesprochen. Aber eben: Tiere gelten immer als vermindert zurechnungsfähig.

 

Bei der Gartenschere könnte man von vollzogenem Totschlag sprechen. Sie wurde aus dem Gebrauch genommen und hängt jetzt als Corpus delikti2 neben dem Schamhaar in unserer Asservatenkammer.

 

 

Wie gesagt: Diese Geschichte hat uns die tatverdächtige Person2 aufgetischt.

Als Praktiker und Empiriker müssen wir Kriminalisten bei unseren Ermittlungen natürlich bei den evidenten Fakten ansetzen. Mit ihrer Hilfe entwickeln wir Bilder möglicher Tathergänge.

Lehrsatz 2.2: Das Bild hat mit dem Abgebildeten die logische Form der Abbildung gemein.


Lehrsatz 2.223: Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen.


Lehrsatz 2.224: Aus dem Bild allein ist nicht zu erkennen, ob es wahr oder falsch ist.


Lehrsatz 2.225: Ein a priori wahres Bild gibt es nicht.

 

Nicht die Faktenlage, sondern die Faktenermittlung kann in solchen sensiblen Indizienprozessen ungemein kompliziert werden. Wir müssen die Indizienkonstellation vom Hundertsten ins Tausendste wenden. Unsere Aufgabe ist es zudem, uns einer Wahrscheinlichkeit anzunähern, die selbst das notwendige Mass an Realistik besitzt und zugleich widersprechende Szenarien als unwahrscheinlich entblösst. Anders haben wir Bürger vor Gericht keine Chance auf gesellschaftliche Genugtuung.

Wie ist also der Stand der Dinge?


Wir haben erstens ein Schamhaar im Schlund der Leiche, eine Schere im rechten Auge und einen Mageninhalt (Toast Hawaii) im Magen.

 

Zum Schamhaar!

Wie kommt ein Schamhaar von einem Ort zum anderen, von einer Geschlechtsregion in einen Mund?


Theoretisch könnte jemand einem anderen ein Schamhaar fies in den offenen Mund schnippen, etwa beim Gähnen. Im vorliegenden Fall hätte das irgendeine Person tun können, welche dem Opfer in spe oder der Leiche nahe genug stand, das heisst auf Schamhaar-Schnipp-Distanz. Unsere Spezialisten können sowas berechnen.


Aber wer tut so etwas Unsinniges? Ich meine das Schnippen. Rein empirisch können wir diesen Vorgang als unwahrscheinlich ausschliessen.

Naheliegend ist dagegen die Annahme, dass das Opfer in etwas Sexuelles involviert war, und wir nehmen an, vor seiner Tötung. Das ist normal.


Also dürfen wir nicht apriori von einem Sexualdelikt ausgehen, umso mehr, als sich Frauen an Männern statistisch selten vergreifen. Das Opfer könnte also vor der Bluttat in sexuelle Handlungen verwickelt gewesen sein, mit der tatverdächtigen Person oder mit einer unschuldigen. Aber lange vor der Tötung kann das nicht gewesen sein, denn Schamhaare hinten im Rachen machen sich bald unangenehm bemerkbar. (Geste).

 

Die nächstliegenden sexuellen Praktiken, welche Schamhaare in den Mund einführen können, sind Cunilingus und Fellatio, und das entsprechend mit Mann oder Frau. Tiere dürfen wir wiederum empirisch ausschliessen. Wespen sowieso, schon rein perversionsstatistisch, aber auch etwaige Haartiere. Im Sinne unseres indizierten Haares haben Tiere keine Schamhaare. Auch nicht Rauhaardackel oder andere Schosstiere, die man im Volksmund Vozenschleckerli nennt.

 

In Allgemeinsituationen fallen Schamhaare herab, im physikalischen Vakuum auf den Erdmittelpunkt zu. Leichte Abweichungen von der Flugbahn, relativ zur Vertikalen, erfahren Schamhaare auf nahe Distanzen durch Luftbewegungen, sei es durch Windstösse oder durch sich bewegende, nahe und grosse Körper.


Eine bewegte Schamhaarzone kann am Haar im Moment seines Ausfalls einen kleinen Bewegungsimpuls, also ein Stösschen verursachen, das würde den Bewegungsvektor ganz leicht aus der Vertikalachse verschieben. (Gesten)


Zur Tatzeit war es auf der inkriminierten Liegenschaft sozusagen windstill, das haben wir ermittelt.

Diese Tatsache bringt die Wespen-Schreck-Version der Tatverdächtigen ins Wanken. Nach seinem Fall hatte der Mund des Opfers eine Abweichung von1 m 65 zum unteren Endpunkt der Vertikalachse.


Wenn wir die Schamzone der Tatverdächtigen auf der y-Achse als 0-Wert annehmen, ergibt sich gemessen an der Fallhöhe von 2 m 57 ein Abweichungswinkel von 21 Grad. Bei angenommener Windstille bedeutet das, dass die Abweichung primär durch das spezifische Gewicht und die ärodynamischen Eigenschaften des Schamhaars bewirkt wurden.

 

Für die Rekonstruktion des Tathergangs haben wir das besagte Schamhaar aus dem Mund der Leiche sanft geföhnt und anhand von 100 Fallbewegungen eine statistisch zuverlässige, maximale Abweichungsrate von der Vertikalachse ermittelt, welche in keinem Fall den Winkel von 21 Grad erreichte. Auch mit andersförmigen Schamhaaren haben wir statistisch erhebliche Versuche durchgeführt, um Referenzgrössen zu erhalten. Auch da mit Erfolg, das heisst ohne Erhärtung der Wespen-Schreck-These.

Diese unsere Ausführungen zum Fallwinkel des Schamhaars haben den Verteidiger vor Gericht leer schlucken lassen, was wir aus den Augenwinkeln mit Genugtuung zur Kenntnis nahmen.

 

Die Flugbahn des Schamhaares widerspricht also der Wespen-Schreck-Version der Verteidigung, aber man kann aus ihr nicht zwingend ableiten, ob der Sexualakt freiwillig oder deliquent vollzogen wurde. Im Fall eines freiwilligen Sexualaktes unterscheiden wir Spezialisten übrigens den ludisch-extensiven Beischlaf von dem der intensiven Nottdurft. Beide ergeben ein völlig unterschiedliches Spurenbild.

 

Zur Beantwortung der Frage nach der Freiwilligkeit oder Deliquenz des sexuellen Koitus müssen wir auch den Mageninhalt heranziehen. (Geste). Könnte es sein, dass ein Toast Hawaii der Verführung diente? Paare ohne Verkehr pflegen gemeinsam zu dinieren, bevor sie erstmals sexuell interagieren. Aber einen Toast Hawaii? Bei Jugendlichen ist das denkbar, hier handelt es sich aber um einen Hausbesitzer und eine Hobbygärtnerin.

Unsere medizinischen Untersuchungen haben ergeben, dass der Toast mit Vollfett-Käse, Marke Wiesen-Gold zubereitet wurde. Light-Käse liegt weniger schwer im Magen, als vollfetter Käse und Personen mit der Absicht, einander geschlechtsmässig beizuwohnen, liegt präkoital eine leichte Mahlzeit am Herzen. Sie verhindert ein sinnlichkeitsdämpfendes Völlegefühl, geschweige denn Übelkeit. Vollfettkäse z.Bsp. ist bei intendiertem Cunilingus empirisch nicht angesagt, sicher nicht für den Lingualaktiven Partner, bei der cuniaktiven Partnerin fällt vollfett etwas weniger ins Gewicht. Die Tatsache, dass für die prämortale Mahlzeit Vollfett-Käse verwendet wurde, weist also nicht a priori auf kohabitative Absichten hin.

 

Ich habe es bereits gesagt: Nicht die Faktenlage, sondern die Faktenermittlung kann in solchen sensiblen Indizienprozessen ungemein kompliziert werden. Den Tathergang kennen wir nicht, wir müssen uns durch viele kleine Teilüberlegungen an ihn annähern. Der intellektuelle Aufwand für die Rekonstruktion des Realen steht also in keinem Verhältnis zur Banalität des Realen. Aber nur durch unermüdliche Imaginationsanstrengungen können wir zum Tathergang Gedanken und Bilder entwickeln, welche als Massstab des Faktischen genügend leistungsfähig sind.

Lehrsatz 2.151: Die Form der Abbildung ist die Möglichkeit, dass sich die Dinge so zu einander verhalten, wie die Elemente des Bildes.


Lehrsatz 2.1511: Das Bild ist so mit der Wirklichkeit verknüpft; es reicht bis zu ihr hin.


Lehrsatz 2.1512: Es ist wie ein Massstab an die Wirklichkeit angelegt.


Lehrsatz 2.15121: Nur die äussersten Punkte der Teilstriche berühren den zu messenden Gegenstand.


Lehrsatz 2.1514: Die abbildende Beziehung besteht aus den Zuordnungen der Elemente des Bildes und der Sachen.


Lehrsatz 2.1515: Diese Zuordnungen sind gleichsam die Fühler der Bildelemente, mit denen das Bild die Wirklichkeit berührt.

 

Ich will Ihnen kurz einen anderen möglichen Tathergang schildern - es ist die Hawaii-These, die wir in einer mittleren Phase unserer Ermittlungen verfolgt haben.


Die Hawaii-Version soll hier als Beispiel für die Banalität des Faktischen dienen.

Vor der Tat wurde vom Opfer Toast Hawaii gegessen, das haben wir gehört. Dieser Toast Hawaii wurde mit Vollfett-Käse zubereitet. Dem Opfer in Spe wird es von Vollfett-Käse leicht übel, aber es mag dennoch von seinen sexuellen Absichten mit Figur2 nicht absehen. Schon zu lange war es scharf auf die Nachbarin. Draussen, auf der Leiter, kommt es zur cunilingualen Konfrontation. Figur1 steht auf der Erde und verkehrt in besagter Weise mit Figur2, welche auf der 4. Leitersprosse steht. Nun löst sich ein Schamhaar aus dem Genitalbereich von Figur2 und bewegt sich in den hinteren Rachenbereich von Figur1. Da es dem Opfer in spe ohnehin vom Vollfettkäse schon übel ist, führt das Schamhaar zu heftigen Würgereflexen (Ton). Vielleicht verbeisst sich Figur1 im Geschlechtswerkzeug von Figur2, vielleicht hat Figur2 auch ein sexuell konnotiertes Würgereflexsyndrom, jedenfalls stösst die tatverdächtige Person nun reflexartig-schützend ihre Hände richtung Genitalbereich, trifft aber nicht diesen, sondern Person1 ins Gesicht und diese hier, weil die Hände unbewusst noch immer die Baumschere halten, mit dieser ins rechte Auge. Fertig lustig - Exitus.

 

So banal kann das Leben sein und ist es meistens. Zur Beschreibung der Tat brauchte ich gerade 10 Sätze, und unsere sexualpathalogischen Spezialisten von der Abteilung Cunilinguistik, haben bestätigt, dass solch ein Tatablauf denkbar, wenn nicht wahrscheinlich ist. Fach fahrlässige Tötung, 50% verminderte Zurechnungsfähigkeit.

Soweit die logische Ordnung des realen Lebens und Todschlags.

 

Um im Indizienprozess eine solche Tatanordnung pausibel zu machen, müssen wir Ermittler mit einer Legierung aus Spekulation, Delinquenzerfahrung und gesundem Menschenverstand konstruktive Arbeit leisten. Da sind wir gewissermassen, um in ihrem Jargon zu sprechen, Bildrestaurateure. Vor uns haben wir ein Gemälde, das von späteren Übermalungen und Überblendungen unscharf geworden ist, eine Polyphonie von Formen und Zeichen. Als Restaurateure müssen wir nun den Originalzustand des Gemäldes wieder herstellen und durch logische Analysen die oberen Schichten bis auf die Originalversion wegätzen.

 

Es macht, wenn wir die Wahrheit treffen, nicht einfach "Zisch" mit sprühenden Funken, so, wie wenn der Kontaktbügel einer Lokomotive mit der Oberleitung in Berührung kommt. Wo sich Spekulation, Simulation und Tatsachenermittlung mit dem Bereich des Faktischen treffen, geschieht nichts, kein Ton. Erst wenn die Richter unseren Beweisführungen folgen und die Tatverdächtigen verurteilen, zischt es ein bisschen. Dann hat unser Endbild überzeugt und den Augenschein in Evidenz überführt.

 

Zur Ermittlung wahrscheinlicher Tathergänge steht der Kriminologie heute ein grosser Mitarbeiterstab zur Verfügung.

In unserem kriminologischen Institut wurden im Lauf der letzten 100 Jahre viele wissenschaftliche Fachstellen eingerichtet. Ihre Labors, Werkstätten, Ateliers, Büros und Schulungsräume besetzen heute bereits ein ganzes Stadtviertel, was nur wenige wissen.

Die Fachstellen für Pathologie, für genetische Identitätsanalyse, für Phantomikonologie, Graphologie und Logo-Komparatistik sind die bekanntesten.


Im Institut für Ballistik und Ärodynamik wurden die Flugeigenschaften des Schamhaares und die Schamhaar-Schnipp-These untersucht, im Departement für Nutristik die Auswirkungen von präkohabitativ genossenem Vollfett-Käse.

Die Grundlagenforscher für Elementarspekulation erstellten ein Gutachten zur allfälligen Straffähigkeit von Wespen und Gartenscheren.
Ein prominenter Abschnitt dieses Gutachtens wurde übrigens von einem unserer Kunsttheoretiker beigesteuert, der sich darüber auslässt, ob man die Entfernung eines Gebrauchsgegenstandes aus der Gebrauchssphäre und seine Überstellung in die reine Anschaungssphäre der Asservatenkammer als Strafe im Sinn der Jurisdiktion betrachten kann.

Im Bereich der Psycho-Soziologie gibt es die meisten Unterabteilungen. Im Departement für Extrempsychologie habe ich bereits die Fachstellen für Perversionsstatistik und die für Cunilinguistik genannt. Dieses Departement diente übrigens Thomas Harris für sein Buch "Das Schweigen der Lämmer" als Vorbild. Natürlich sehr platt.

Je nach Lebenslage und -Problem meide ich gewisse Abteilungen. Die Institute für Cunilinguistik und für Phantomikonologie habe ich seit der Trennung von meiner Frau nicht mehr betreten. Da geht mir immer gleich der Paparazzini durch den Kopf.

 

In all unseren Abteilungen treiben wir auch Grundlagenforschung.

Eines unserer ältesten kriminologischen Institute ist das für logische Philosophie. Hier geht es unter anderem um die logische Relationsbestimmung zwischen Bild, Gedanke, Begriff einerseits und Realität andererseits. Um uns dem Bereich des Faktischen, der Tatsachen anzunähern benutzen wir ja zwangläufig ein Instrumentarium von Bildern und Sätzen. Der Institutsgründer hiess Gottlob Frege (1848-1925), sein erster Nachfolger Louis Wittgenstein(1889-1951). (Institutsintern werden sie mit Gandi und Neru verglichen.)

Damit sie sehen, dass meine Rede von Schamhaaren und Vollfettkäse auf einer logisch-philosophischen Grundlage basiert, dass der Begriff Schamhaar nicht identitisch ist mit dem Schamhaar als ontologische Entität, möchte ich ihnen zum Schluss drei weitere Lehrsätze von Louis Wittgenstein mit auf den Weg geben.

Lehrsatz 3: Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke.


Lehrsatz 4: Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.


Lehrsatz 4.001: Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache.


Lehrsatz 4.002: (-) Die Sprache verkleidet den Gedanken. Und zwar so, dass man nach der äusseren Form des Kleides nicht auf die Form des bekleideten Gedankens schliessen kann; weil die äussere Form des Kleides nach ganz anderen Zwecken gebildet ist als danach, die Form des Körpers erkennen zu lassen. Die stillschweigenden Abmachungen zum Verständnis der Umgangssprache sind enorm kompliziert.

Vortrag im Kaskadenkondensator/Warteck Basel, 27. Sept. 97