Reinhard Storz


Förderung Neuer Medien durch den Kunstkredit Basel-Stadt

Im Jahr 2000 schrieb der Kunstkredit erstmals den Wettbewerb Kunst im Internet aus, und in den folgenden Jahren wurde er unter den neuen Titeln Interaktive Medien und Digitale Produktionen thematisch erweitert. Diese Wettbewerbe zielten auf die Förderung von Kunstprojekten ab, die sich der multimedialen und interaktiven Möglichkeiten des Internets und anderer computerbasierter Technologien bedienen.
Im ersten Jahr wurden fünf Kunstschaffende aus Basel, Genf, Luzern und Zürich zum Wettbewerb eingeladen. Danach konzentrierte sich die nunmehr offene Ausschreibung auf die regionale Kunstszene. Zwischen 2000 und 2008 förderte der Kunstkredit insgesamt 14 Medienprojekte. Mangels Eingaben wurde der Wettbewerb dann aufgegeben, und seither werden Medienkunstprojekte im Wettbewerb Freies Kunstprojekt gefördert.
Es mag mit der digitalen Technologie der Projekte zu tun haben, dass fast alle geförderten Werke im Internet gut dokumentiert sind. Bei der Hälfte handelt es sich um netzbasierte Arbeiten. In der Recherche fällt die internationale Rezeption der geförderten Projekte auf; die meisten wurden in mehreren Ländern gezeigt. Die Liste der Ausstellungs- und Präsentationsorte umfasst ausserhalb der Schweiz Städte in Ländern wie China, Indien, Japan, Korea, Deutschland, England, Frankreich, Holland, Italien, Kroatien, Litauen, Österreich, Slowenien, Spanien und die USA.
Diese internationale Resonanz hat sicher auch mit den vielfältigen Formen zu tun, in denen die Werke publiziert sind. Neben Ausstellungen findet man die Festivalbeteiligung, die Installation im öffentlichen Raum, die Publikation im Internet und die Live-Vorführung in Event- und Vortragsräumen. Allein im Jahr 2010 haben die vier zuletzt geförderten Projekte folgende öffentliche Auftritte: Das Projekt Dump von Esther Hunziker wird im Projektraum «enter» des Kunstmuseums Thun gezeigt; V.O.C.A.L. von Hauert/Reichmuth ist Bestandteil der Ausstellung Roboterträume im Basler Museum Tinguely und im Kunsthaus Graz; das Projekt Beam me up wird in einer Ausstellung im Plug-in Basel und an Kunstinstitutionen in Beijing und Shanghai präsentiert; der Träger des 2. Preises beim Wettbewerb Paradoxien des Öffentlichen, Expansion sonore von Île Flottante, wird im Zusammenhang mit RUHR.2010 Kulturhauptstadt Europas im Stadtraum von Duisburg installiert.

Bezeichnend für das Genre der digitalen Produktionen ist auch die Vielfalt der in ihm vereinten Kunstgattungen und Medien. Zwar stehen alle vom Kunstkredit geförderten Werke als Skulptur, Installation oder Internetarbeit mit einem Bein in der bildenden Kunst, doch finden sich in vielen Fällen ebenso starke Anteile von Film, Musik, Literatur und Performance.
Um einen Eindruck von der multimedialen Qualität der Werke zu vermitteln, werden hier elf geförderte Werke kurz beschrieben und auch ihre Webadresse genannt.

Davix, The wurst must go on, 2000
The wurst must go on führte eine «skizzenbuchartige Sammlung von Minikunst» weiter, die der Luzerner Künstler Stefan Davix seit 1997 unter der Webadresse wurst.ch aufgebaut hatte. In einer für jene Zeit typischen Browser-Ästhetik wurden acht kleine Etüden zur Computernutzung entworfen, die nach der Absicht des Künstlers «manchmal leise und ironisch, ab und zu aber auch nervig, bösartig und fies» sein sollten.
wurst.ch

Sibylle Hauert und Daniel Reichmuth, Instant City, 2001
An einem interaktiven Spieltisch kann das Publikum in die Gestaltung einer Tonkulisse eingreifen. Wie die Künstler schreiben, ist Instant City vieles zugleich: «ein interaktives Computergame, ein unberechenbares Musikinstrument, ein theatrales Gesellschaftsspiel, eine psychologische Versuchsanordnung, ein Leuchtkörper, ein Konversationsraum, ein ästhetisches Testgelände ...»
instantcity.ch

Beat Brogle, One Word Movie, 2002
Das netzbasierte Werk One Word Movie bietet dem User auf einer einfach gestalteten Einstiegsseite die Möglichkeit, einen Suchbegriff einzugeben. Die Programmierung des Werks löst darauf in verschiedenen Internet-Suchmaschinen eine Suche nach Bildern aus, die mit diesem Begriff verknüpft sind, und führt diese im One Word Movie zu einer schnell ablaufenden Bilderfolge zusammen. Je nach Suchbegriff tauchen aus dem scheinbar unermesslichen Bildarchiv des World Wide Web banale, kuriose oder obszöne Bilderloops auf, die sich als Panorama der oft zitierten digitalen Bilderflut betrachten lassen.
onewordmovie.ch

Birgit Kempker, Sphinx, 2002
In diesem partizipativen Netzprojekt kann das Publikum einer Sphinx Fragen stellen und bekommt nach Stunden oder Tagen eine Antwort. Allerdings kann niemand im Voraus wissen, ob die Sphinx selbst oder ihre Maschine antworten wird. Denn hier agieren zwei Antwort-Instanzen: zum einen die Sphinx, das Medium, in menschlicher Sprache, und zum anderen die Maschine, deren Rat in gelenkigem Sestinen-Versmass geschrieben ist und von wechselnden Stimmen verlesen wird. Bis 2010 haben über 800 Menschen aus Asien, Europa und Amerika bei der Sphinx um Rat nachgesucht.
xcult.org/sphinx

Niki Neeke und Gilbert Engelhard, SONOgames, 2003
SONOgames besteht aus einer Sammlung interaktiver Klangmöbel und -spiele. Ein gewöhnliches Wohnzimmermobiliar erweist sich als veritable Klanginstallation. Sensoren reagieren auf Druck, Licht, Wasser, Temperatur, Bewegung, Nähe und Geräusche. Ausgelöst werden sie intuitiv. Es genügt, vor einen Spiegel zu treten, einen Schalter zu kippen oder mit neugierigem Finger der glatten Oberfläche eines Teetisches entlangzufahren.
sonogames.ch/KlanginselD.html

Reinhard Storz mit Monica Studer und Christoph van den Berg, 56kTV Bastard channel, 2003
56kTV Bastard channel ist eine Kreuzung aus Fernseh- und Webprojekt, eine Plattform im Internet, die sich selbst als die Geschichte eines Fernsehsenders erzählt. Dreizehn eingeladene Künstler/innen verwenden die Techniken und Formen des World Wide Web, orientieren sich dabei aber an den TV-Formaten wie News, Doku-Soap, Gameshow, Kriminalfilm usw. Von den realen TV-Sendern übernimmt das Projekt auch die Form eines Tages- und Wochenprogramms.
56k-bastard.tv

Mobiles Kino, High Noon, 2005
Das Projekt High Noon der Künstler Florian Olloz, David Pfluger, Roland Schmidt und Gilbert Engelhard verbindet das Heimkinoformat Super 8 mit der neueren Handy-Technologie. Das Set-up der Installation ist dem Kinoklassiker High Noon nachempfunden, in welchem ein ausrangierter Sheriff gegen vier junge Halunken antritt. «Mobiles Kino» drehte die entscheidende Schiessszene nach und legte das Schicksal der beiden Lonesome men aus der fernen Prärie jenseits aller Mobilfunkantennen in die flinken Hände der vernetzten Handy-Community.
mobileskino.ch/highnoon.html

Île Flottante (Nica Giuliani und Andrea Gsell), Expansion Sonore, 2006
Expansion Sonore ist ein Kunstprojekt im öffentlichen Raum. Aus Fassaden einzelner Gebäude wachsen an verschiedenen Orten in der Stadt organisch anmutende Objekte, sogenannte «expansions». Über diese sichtbaren Schnittstellen dringen akustische Innenwelten des Gebäudes nach aussen. Passant/innen können über ihr persönliches Mobiltelefon ins Hausinnere lauschen, fantastische und wirkliche Geschichten des Gebäudes anzapfen und ein ungeahntes Innenleben entdecken. Die verschiedenen Hörstücke entstehen als Auftragsarbeiten von Künstler/innen, Musiker/innen und Schriftsteller/innen.
expansion-sonore.com

Esther Hunziker, Dump, 2007
Täglich werden unsere Mailboxen von Spam-Botschaften überflutet. Werbung, Pornografie und Vernissage-Einladungen mischen sich unterschiedslos in die professionelle und private Post – dosiert nur durch die Filterabwehr unserer Provider. Nicht selten finden sich darunter auch Nachrichten, deren sinnentleerte Zeichen und zusammenhanglose Wortkreationen einzig zum Ziel haben, ebendiese Filter zu durchdringen. Diese Sprache entdeckt Esther Hunziker als Ausgangsmaterial für eine Arbeit im Internet. Es entsteht eine Collage aus Sprachzitaten, Bild und Ton.
ref17.net/hunziker/

Reinhard Storz mit Monica Studer/Christoph van den Berg, Beam me up, 2007
Im Online-Projekt Beam me up werden Künstler/innen und Autor/innen aus unterschiedlichen Fachgebieten und aus verschiedenen Ländern eingeladen, sich in Kunstbeiträgen und Essays mit Konzepten des Raumes zu befassen. Es entstehen Interpretationen des Raumbegriffs, die sich ebenso auf Bilder und Texte wie auch auf künstlerische und philosophische Modelle oder auf die wissenschaftliche Praxis berufen.
beam-me.net

Sibylle Hauert und Daniel Reichmuth, V.O.C.A.L., 2008
Bei V.O.C.A.L. geht es um sprechende Maschinen. Jede Soundmaschinenpersönlichkeit verfügt über eine Stimme, einen Körper. Sie unterscheidet sich von den anderen durch die Art und Weise, wie sie spricht, sich bewegt und kommuniziert. Dabei wird nicht eine visuelle Anthropomorphisierung von Maschinen angestrebt; die Simulation von Charakter geschieht vielmehr über Stimme, Bewegung und Körper.
hauert-reichmut.ch

Im Jahr 2000 wurde digitale Medienkunst in der Schweiz kaum gefördert. Nur das Migros-Kulturprozent hatte seit 1998 ihre Unterstützung ins Programm aufgenommen, und neben dem Kunstkredit Basel-Stadt schrieb im Jahr 2000 auch die kantonale Förderstelle von Kanton und Stadt Luzern einen Wettbewerb für Netzkunst/Medienkunst aus. Vereinzelt wurde in der Schweiz computergestützte Kunst damals an Festivals gezeigt, namentlich an der Biennale «Version» (Art/image et ordinateur, seit 1994) des Centre pour l’image contemporaine in Genf und am Internationalen Festival für Film, Video und Neue Medien Viper (digitale Kunst seit 1997) in Luzern. Eine frühe Vermittlungsfunktion für das digitale Kunstschaffen übernahm mit den Ausstellungen !Hello World? – Internet Privat (1996) und game over (1999) auch das Museum für Gestaltung Zürich, während das Museum für Kommunikation in Bern eher technische und designbezogene Aspekte der digitalen Medien thematisierte, um ab 2000 in seinen Ausstellungen wiederholt Werke der Game-Kultur und der Medienkunst vorzustellen. Auf Bundesebene baute das Bundesamt für Kultur sein Projekt Sitemapping seit dem Jahr 2000 zu einer zentralen Instanz in der Förderung von Medienkunst auf. Fachtagungen in den Jahren 2000 und 2001 förderten den Austausch unter den Exponent/innen der Schweizer Medienkunstszene, und ab 2003 setzte mit einer jährlichen Ausschreibung auch die materielle Unterstützung schweizerischer Medienkunstprojekte ein.
In Basel gab es um die Jahrhundertwende parallel zum Kunstkredit-Wettbewerb auch andere Initiativen für die Förderung digitaler Medienkunst. 2000 wurde das Plug-in als Veranstaltungsraum für Kunst und Neue Medien eröffnet, und im selben Jahr wechselte auch das Festival Viper seinen Standort nach Basel. Diese Entwicklung wurde nicht zuletzt durch eine gezielte Förderpolitik des Kantons Basel-Stadt und der Christoph-Merian-Stiftung ermöglicht. Nachdem das Festival Viper seine ökonomische Grundlage 2006 verloren hatte, wurde in Basel im folgenden Jahr das Festival der elektronischen Künste Shift gegründet.
Seit einigen Jahren empfiehlt sich in Basel auch das Museum Tinguely als Ausstellungsort, an dem man sich über die modernen Entwicklungen im Verhältnis von Kunst und Technologie informieren kann. Thematische Ausstellungen wie Kunstmaschinen ­–Maschinenkunst (2008) oder Roboterträume (2010) präsentieren in Exponaten und Katalogessays die aktuelle Diskussion über Kunst und Industrialisierung, künstliche Intelligenz und Robotik.
In der Vermittlung von neuer Medienkunst nehmen das Plug-in als Raum für Ausstellungen, Workshops und Vorträge und das jährlich stattfindende Festival Shift mit seiner Verbindung von Ausstellung, Konzerten, Künstlergesprächen und wissenschaftlicher Konferenz in der Schweiz eine einzigartige Stellung ein. Da leuchtet es ein, dass die beiden Einrichtungen 2011 ihre Kräfte unter einem gemeinsamen Dach namens «Haus für elektronische Künste» vereinen werden, ergänzt durch das neue Doppelprojekt Digital Art Collection/Store. Aus der Perspektive dieser Folgeentwicklung kann man der frühen gezielten Förderung neuer Medien durch den Kunstkredit Basel-Stadt eine herausragende Bedeutung zusprechen.

 



Text published in:
Jahrbuch Kunstkredit Basel-Stadt 2010