Reinhard Storz
KünstlerInnen des KiFF / Kunstraum im KiFF
Ausstellung im Rathaus Aarau 23. August bis 27. September 1996


Der Ursprung dieser Ausstellung geht auf eine Initiative zurück, die vor 6 Jahren ergriffen wurde: Gebäude der Firma Kunath in der Telli wurden von einer kulturell engagierten Gruppe übernommen und an Veranstalter, Musiker und Künstler weitervermietet.
Diese Einrichtung wird KiFF genannt: Kunst in der Futterfabrik.

Im Turmgebäude des KiFF arbeiten heute 14 Künstlerinnen und Künstler, im 1. Stock organisiert der Kunstraum Aarau wechselnde Ausstellungen.

Die Kunstkommission der Stadt Aarau will mit der Ausstellung hier zeigen, dass es diesen kunstaktiven Ort in der Stadt gibt - am Rand der Stadt, in der Industrie- und Gewerbezone und daher den Nicht-Insidern eher unbekannt.

Soviel und Einfaches kann man zu dieser Ausstellung sagen, weiter ist sie aber schwer auf einen Nenner zu bringen. Vermutlich gibt es hier soviele Nenner, wie es ausgestellte Werkkomplexe gibt und wollte ich die alle besprechen, hätte ich mit dem Nennen viele Hände voll zu tun.

Da ist es einfacher, zuerst mal leichtfertige Missverständnisse auszuräumen und zu sagen, welche Vereinfachen hier nichts taugen.

So ist es ungenau, in den Künstlern und Künstlerinnen hier typische Vertreter einer Aarauer Kunstszene sehen zu wollen. Sie arbeiten zwar hier, leben zum Teil aber in anderen Städten, kommen aus anderen Ländern oder haben anderswo Kunstschulen besucht.

Sie bringen Anregungen aus dem Kontext verschiedenster Kunstverständnisse mit, orientieren sich an internationalen Strömungen oder sind überregionalen Kunsttendenzen verpflichtet. Die meisten von ihnen haben sich erst hier im gemeinsamen Atelierturm des KiFF kennengelernt.

Es handelt sich im KiFF also nicht um eine Ateliergemeinschaft mit der Absicht, als Künstlergruppe gemeinsam und mit einem kohärenten Werk nach aussen zu treten. Eher muss man von einer Zufallsgemeinschaft sprechen, von einem Arbeiten nebeneinander.

Ein Vergleich mit der Gruppe Ziegelrain, der einem in Aarau schnell mal in den Sinn kommt, greift also krass daneben, und wirkt auf manche jüngere Künstler schon eher belastend.

Und doch kann diese erste gemeinsame Werkpräsentation auch über die einzelnen Arbeiten hinaus interessante Aufschlüsse bieten. Denn hier wird von14 in Aarau arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern ausschnittweise gezeigt, wie das Kunstschaffen einer jüngeren und mittleren Generation in der Schweiz aussehen kann und welche Interessen in den einzelnen Gattungen (Malerei, Zeichnung, Fotografie, Skulptur, Installation) verfolgt werden.

Sicher ist auch gerade die Heterogenität und Vieldeutigkeit dieser Gruppenausstellung bezeichnend für die heutige Kunstsituation. Einteilungen in Malerei und Skulptur greifen nicht mehr, Gruppenbildungen mit Manifest sind zwar vom Markt her erwünscht, wirken heute aber schnell mal konstruiert, genauso wie die Vorstellung von einer Kunstszene mit Lokalkolorit.

Wenn schon, könnte man gerade die Mehrdeutigkeit und Kontextverschränkung als programmatische Eigenart dieser Ausstellung verstehen.

Wir sind an einem Ausstellungsort, der dies nur nebenbei ist und primär ein Haus der politischen Verwaltung.
Hier stellt sich ein "Kunstraum" aus, der seinen Raum real in der Telli hat und dort ab heute Werke von den Künstlern zeigt, die auch hier zu sehen sind. Hier zeigt er von über 30 anderen Künstlerinnen und Künstlern Arbeiten, die er sich per Post zusenden liess. Die Arbeiten zeigt er gleich im Paket, oder,
genauer gesagt, die Pakete selbst sind das Werk.

In den letzten Jahrzehnten haben Künstler ihre Arbeit oft an kunstfremde Orte gezeigt. Sie sind bemüht, mit ihrem Werk den Anschluss ans zivile Leben nicht zu verlieren oder ihn wieder zu gewinnen.
Ausstellungen wurden in Fabrikhallen, Kirchen, Schlachthäusern und Hotels eingerichtet, Kulturbetriebe der jüngeren Generationen finden in ausrangierten Kasernen, Dampfzentralen, Bierbrauereien, roten Fabriken und Futtertürmen statt.

Da passt die Ausstellung von Futterturm-Künstler in einem Rathaus ganz gut ins Bild.

Ein Rathaus, in dem, wie es vor der Tür auf einem Schild steht, die Stadtverwaltung ihren Ort hat, ist eine spannende Schnittstelle zum Leben der Bürger.
Ich habe mich umgeschaut -die Bereiche "Geld und Leben" sind hier gut vertreten:
In der einen Sphäre die Stadtkasse, die Finanzverwaltung, das Betreibungsamt und die Hundemarkenausgabe, in der anderen die Einwohnerkontrolle, das Zivilstandsamt und das Trauzimmer, das Bestattungsamt, der Friedensrichter und der Polizeichef.

Über Liebe, Geburt und Tod, Streit und Strafe, Geld und Identität werden hier Aspekte des Lebens ins Haus getragen, die alle auch thematische Ingredienzen der Kunstgeschichte sind.

Die jüngere Kunst hält sich bei diesen Fundamentalthemen allerdings eher zurück und scheut sich, zu grosse Töne anzuschlagen. Wenn überhaupt, liegt eher das Weite im Nahen und das Sutile am Erhabenen in ihrem Interesse.

Schliesslich ist auch der Arbeitsort der Künstler - die Futterfabrik - von ihrer Vergangenheit her eher prosaisch. Dort ging es früher nur um Food Design für Tiere - aber wir wissen ja, wie wohl-genährte Tiere uns wieder zugute kommen können.

Nun sind wir also hungrig auf Kunst. Ich mag es gern sweet-sour und zartbitter, mit einer Abfolge verschiedener Geschmacksnuancen. Und bin auch mal zu unverblümt Süssem bereit und zu einem Kloss im Hals.

Ein solcher Vergleich von Kunst mit Speisen wirkt vielleicht etwas zu wenig ernst. Aber ist Kunst nur ernst? Und ist es nicht auch die Fähigkeit der Kunst, Nahrung in Genuss zu packen, Gedanken in Sinnliches umzuwandeln und Geistigem eine materielle Gestalt zu geben?
Als Betrachter vollziehen wir diesen Weg in Gegenrichtung, wobei wir immer wieder überrascht sind, wie viele Transformationsschichten wir von der Oberfläche eines Kunstwerkes in seinen Hinterhalt zurücklegen können.

In dieser Ausstellung finden wir Werke, die uns vom Gefallen zum Bedenken führen, vom Komischen zum leichten Schrecken und zurück, die hinter dem Sinnhaften und Schönen intellektuelle Poesie bereithalten oder sozialkritische Spitzen. Manche Arbeiten ergreifen uns direkt da, wo Körper und Geist zusammengewachsen sind, andere zwicken uns erst im Hirn.


Im Parterre präsentiert sich der Kunstraum Aarau und zeigt uns Kunst aus der Schachtel.
Die Verantwortlichen wollten ihre Vermittlungsarbeit der vergangenen Jahre nicht einfach dokumentieren, sondern sie vor unseren Augen praktizieren. So haben sie an alle KünstlerInnen und Künstler, die bei ihnen je ausgestellt haben, Schachteln im Einheitsformat verschickt, mit der Bitte, diese künstlerisch umzugestalten. Da hängen und liegen jetzt über 30 dieser Werke und zeigen, dass solche Spielregeln nicht nur bei den Künstlern gut aufgenommen werden, sondern auch uns Betrachtern Spass machen können.

Der Kunstraum Aarau ist eine Künstlergalerie. Das heisst, in diesem Ausstellungsraum organisieren Künstler von hier Ausstellungen mit Künstlern von aussen, wobei ihnen daran liegt, in diesem Raum Kunstversuche zu ermöglichen, welche in kommerziell orientierten Galerien kaum möglich sind.
Solche Künstlergalerien gibt ein paar wenige in der Schweiz, neben dem Kunstraum Aarau etwa noch in Fribourg und Basel. Sie haben in den letzten Jahren für den Diskurs unter den jüngeren Künstlern eine sehr wichtige Bedeutung bekommen.

Die Ausstellungsidee des Kunstraums hier im Rathaus zeigt die Lust am Spiel mit Kunstformen und -Regeln. Ganz ähnlich sind die KünstlerInnen des Kiff in ihrer Parallelaustellung unten in der Telli vorgegangen. Sie zeigen dort je ein kleines Werk mit mehreren Varianten, die als Multiple zum Verkauf angeboten werden.


Reinhard Storz (Rede, Rathaus Aarau 23. August 1996)