Hans Renggli

Ein frech inszeniertes Sinnen-Spektakel


In der Ausstellung Weltuntergang & Prinzip Hoffnung des Kunsthauses Zürich findet das Weltende doch noch statt. Bis 7. November

Die Sonnenfinsternis vom elften August ging vorüber und mit dem Weltuntergang war wieder nichts. Aber Ernst Halter weiss die Apokalyptiker zu trösten: "Auch wenn es den Weltuntergang bis auf weiteres nicht gibt, gibt es ihn doch schon längst, nämlich in der grossartigen Zweit-Welt menschlicher Vorstellungskraft und Intelligenz". Der Aargauer Schriftsteller, Verleger und Universalgelehrte hat das Ausstellungsprojekt Weltuntergang ausgeheckt und dem Kunsthaus vorgeschlagen. Und der Funke sprang über. Den Tatbeweis in verschwenderischer Fülle erbringen Harald Szeemann und sein Team mit einem aufwühlenden, frech inszenierten Sinnen-Spektakel. Der Besucher wird auf eine labyrinthische Geisterbahn geschickt, die ihn unaufhaltsam fürchterlichsten Dramen, Fluten, Beben, Feuersbrünsten und kosmischen Katastrophen aussetzt. Allgegenwärtig sind die stummen und fingierten Entsetzensschreie einer Menschheit im tausendfältigen Todeskampf. Solche Ballung der Desaster würde schnell unaushaltbar, enthielte das Gesamtkunstwerk neben dem schrillen Stakkato nicht auch Nuancen der Ironie, des Humors und der Hoffnung.
"Vermessenheit ist angebracht, denn sie passt zum Thema", dachte Harald Szeemann zu Beginn. Er hegte vor allem kühne Wunschvorstellungen von auszuleihenden Meisterwerken, allen voran das gigantische Gemälde des Louvre, "Floss der Medusa," von Théodore Géricault( 1819 gemalt, 37 Quadratmeter!). Doch dann folgte eine Flut der Absagen, die freilich die Kreativität des Teams nur beflügelte. Szeemann verlagerte die Strategie von einer Schau der Meisterleistungen zur multimedialen Ausstellung. Erprobt wurde ein neuer Umgang mit den Mitteln Architektur, Hängung/Installation, Akustik und neue Medien. Zum tragenden Gestaltungsfaktor aber wurde die Farbdramaturgie. In der Tat kühn geriet der rhythmische Farbwechsel durch die labyrinthisch konzipierte Raumfolge von Signalrot zu Gelb, zu feurigem Grün, zu Weiss und zuletzt zu Rosa. Er verleiht dem epochalen Durcheinander der Exponate eine erstaunliche, wenn auch irrationale Sinn-Klammer. Diese Farbigkeit ist selbst integrales Kunstwerk, das dem Überhang moralinsaurer Zerknirschung grosszügig und stolz den Freiheitsstatus selbstbewusster Modernität entgegenhält.

Kunstgeschichtliche Kriterien wurden zugunsten des Spektakels entschieden zurückgestellt. Trotzdem geizt die Schau nicht mit kunsthistorischen Höhepunkten: Als Grossprojektion zu sehen sind die wohl populärsten Weltgerichtsdarstellungen von Luca Signorelli und Michelangelo. Vorhanden auch der beispielgebende Zyklus der Apokalypse-Holzschnitte von Albrecht Dürer. Stark vertreten sind die romantischen Beispiele "Schwarzer Malerei" (zum Beispiel des Briten John Martin), in denen die biblische Nacherzählung in den Hintergrund rückte zugunsten der visionären Schilderung katastrophaler Naturereignisse. Ein Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts ist Salvador Dalis "Enigma Hitlers".

Beeindruckend anwesend ist auch das Floss der Medusa als hervorragende Kopie, 1860 von Guillemet/Ronjat gemalt. Das Gemälde konfrontiert den Besucher beim Eintritt als eine 5 Meter hohe Wand von erschlagender Kraft. Géricault malte das Bild am Morgen der Moderne. Fürwahr apokalyptisch ist die Vison der letzten Überlebenden einer Schiffskatastrophe, die nach zwölftägiger Agonie das rettende Zeichen am Horizont erblicken. Aber das Unglück ist eine rein menschliche Tragödie. Es fehlt jeder Verweis auf eine Fügung aus göttlichem Willen. Das Werk markiert den Wendepunkt nach der französischen Revolution, da sich das Abendland, neuer Selbstverantwortung innewerdend, von der lenkenden und strafenden Vorsehung Gottes abzuwenden beginnt.

Die Idee von Weltgericht und Hölle entstand, so Halter, erst mit dem Glauben an einen einzigen, vollkommenen Gott. Von dessen Wille nach Beendigung der unvollkommenen Welt kündet das Neue Testament in der "Offenbarung des Johannes". Der Text insistiert hypnotisierend auf Rache, Zerstörung und Untergang. Zwei Jahrtausende lang hat er die christliche Menschheit umgetrieben und galt den Künstlern bis zur Aufklärung als verbindliche Referenz.

Dem ist nicht mehr so, und weder Sekten noch Astrologen können es wegreden: Kein Gott, kein höheres Wesen entlastet den modernen Menschen von seiner Verantwortung. Die Macht, die Welt zu retten oder zu zerstören liegt bei ihm. Daran erinnert Thomas Hirschhorns Beitrag. Hirschhorn, seit zwei Jahren omnipräsenter Star der Kunstszene, schusterte und klebte mit demonstrativer handwerklicher Verachtung eine ausufernde Installation zusammen. Die Arbeit erstreckt sich als kontrapunktischer Bandwurm durch die Ausstellung. Das formale Defizit mehr als wett macht die enzyklopädische Fülle der Informationen, die Hirschhorn auf zwanzig Schautafeln zu zwanzig aktuellen Problemen der Menschheit zusammengetragen hat, von Krieg über Umweltzerstörung, Drogen, Überalterung und Arbeitslosigkeit bis zur Fettleibigkeit.

Statt eines Katalogs erscheint zur Ausstellung ein Bild- und Leseband von Ernst Halter und dem Büchermacher Martin Müller.
Der Weltuntergang, Offizin-Verlag