Hans Renggli
Check-up der Urteilskraft
Das Projekt Two Doors-True Value der Galerien Verna und Mai 36 Zürich.
Bis 17. Juli
Die Zürcher Galerien Verna und Mai 36 engagieren sich seit Jahren
für Künstlerpersönlichkeiten, die wichtige Positionen und
Innovationen der Gegenwartskunst vertreten. Für ihr geradliniges Profil
geniessen sie internationales Ansehen. Nun möchten sie es aber vermeiden,
mit einem allzu strammen Qualitätskurs den Blick für Sichtweisen
der jüngeren Kunst zu verlieren und aufs historische Abstellgeleise
zu fahren. Deshalb haben sie sich zwecks Frischzellenkur zusammengetan,
um gemeinsam aus der Flut des aktuellen Künstlerangebots nicht etablierte
Positionen herauszufiltern, welche die hauseigenen Ansprüche - true
value - zu erfüllen versprechen. Dabei setzten sie sich bewusst,
trotz Höchstniveau der Urteilskraft, einem gewissen Risiko aus.
Acht Künstlerinnen und Künstler wurden augewählt, je vier
pro Galerie. Jung sind sie weniger an Jahren als durch die Frische ihrer
Arbeiten. Eine fürwahr neu ankommende Videoarbeit legt die Älteste,
die Argentinerin Liliana Porter(57) bei Verna vor. Sie inszeniert mit Spieltieren
und simplen animatorischen Tricks ein Existenztheater voller Witz und abgründiger
Ironie. Es geht um so elementare Erfahrungen wie Arbeit, Austausch, Beziehung,
Fest, Liebe, Scheitern und Tod. Die Szenen treffen Innerstes durch die
Genauigkeit der Abstraktion. Präzis und sparsam handhabt die Künstlerin
die Formmittel Kamera, Schnitt, Klang, Rhythmus, Schrift und Raum, die
sie mit klassizistischer Strenge zu einer grossartig-lächerlichen Bilddichtung
zusammenbaut.
In technischer Hinsicht muten die Landschafts-Ölbilder des Glen Walter
Rubsamen(USA) altmeisterlich-bieder an. Mit den grossen Himmeln gemahnen
sie etwas an niederländische Vedutenmalerei des siebzehnten Jahrhunderts.
Der Kitzel kommt von den Motiven. Da werden mexikanische Hazienda-Idylle,
Palmenwedel und Kateeen unbedenklich gekreuzt mit expressiv in den Himmel
ragenden industriellen Objekten wie Brücken, Kräne, Antennen
und Flutlichtmasten. Der raffinierte Mix mit den altertümelnden Ingredienzen
evoziert zeitgeistige Poesie.
Fotografie auf der Höhe neuster technologischer Standards praktizieren
Piotr Uklanski (P) und Doug Aitken (USA) bei Mai 36. Aitken zeigt dreimal
den gleichen Fensterblick auf einen Flugzeugflügel vor einem Himmel-Blau
ohne jeden Halt. An feinsten Licht- und Schärfenuancen wird der Prozess
der Zeit greibar, die Nacht bricht ein. Die Prints bestehen aus einem neuartigen,
lichtdurchlässigenTräger, der die Bilder zu absoluter Visualität
entkörpert. Das Tryptichon wird zum Superzeichen des zeitgenössischen
Lebens: High-Tech ist Metaphysik. Das enthobene Gleiten durch die Sphären
ist längst nicht mehr mythische Projektion sondern gelebter Alltag.
Weitere am Galerienprojekt beteiligte Künstler sind Nicole Eisenmann(F,
mit sexual-sarkastischer Optik), Sarah Morris(USA), Ann-Sofi Sidén(S)
und Manfred Pernice(D).