Hans Renggli

Aussen spartanisch, innen Juwel

Knapp zwei Jahre war die Villa Oskar Reinhart "Am Römerholz" in Winterthur wegen Renovation geschlossen. Im Dezember wurden Haus und Sammlung in neuem Glanz von Bundesrätin Ruth Dreifuss wiedereröffnet.

Die Kollektion von Weltruf ging 1965 gemäss Reinharts letztem Willen an die schweizerischen Eidgenossenschaft. Die Sanierung des Hauses hatte sich aus konservatorischen und sicherheitstechnischen Gründen aufgedrängt. Namentlich die Tapisserien und die Arbeiten auf Papier waren durch die bestehenen Verhältnisse gefährdet und zeigten Spuren von Lichtschäden. Die Notwendigkeit zur museumstechnischen Erneuerung gab Gelegenheit das ganze Haus einem Lifting zu unterziehen. Aus den Projekteingaben von vier einegeladenen Architekturbüros wurde 1993 der Bauauftrag den Architekten Annette Gigon/Mike Guyer zugesprochen.

Der Umbau ist bereits das vierte realisierte Museumsprojekt dieses Architektengespanns innert sechs Jahren nach dem Kirchner-Museum Davos, dem Erweiterungsbau des Kunstmuseums Winterthur und dem vor zwei Monaten eröffneten Liner-Museum in Appenzell. Am neuesten Werk ist die unmittelbare Sichtbarkeit der Hand der Architekten gewiss am kleinsten: Dennoch darf es als ebenbürtiges Hauptwerk gelten, das sich einer hochkomplexen Bauaufgabe - vielleicht der schwierigsten - souverän stellt. Gigon/Guyer beweisen einmal mehr ihre Fähigkeit, optimale Räume für die Kunst zu schaffen, die sich durch hervorragendes Licht, gute Proportion und sichere Materialwahl auszeichnen. Ihre Eingriffe sind vielfältig und gehen äussert subtil mit den komplexen Gegebenheiten um.

Die Villa am Römerholz wurde im Neu-Renaissancestil 1915 vom Genfer Architekten Maurice Turrettini erbaut. 1925 erwarb Oskar Reinhart die Liegenschaft und liess vom gleichen Architekten einen Galerieanbau für seine Sammlung erstellen. Ende der sechziger Jahre nach Reinharts Tod wurden die Gebäude in ein Museum umgebaut. Dabei wurden aus heutiger Sicht teils grobe und konservatorisch fragwürdige Veränderungen an der Bausubstanz vorgenommen. Das Esszimmer wurde durch den Abbruch von Mauern zerstört zugunsten einer proportionslosen Halle, die sich bald als schlecht nutzbar erwies. Parkettböden wurden entfernt und durch Spannteppiche ersetzt. Die bald abgewetzten Teppiche, bedeckt zudem von Persern zweiter Qualität aus dem Besitz des Bundes, verbreiteten im Haus einen Privatmief, der dem Rang der Werke unwürdig war.

Neben der Erneuerung der Licht- und Sicherheitstechnik erstrecken sich die baulichen Massnahmen deshalb namentlich auf die Rekonstruktion der zerstörten Raumteile wie Mauern und Parkettböden sowie den Neubau des Verbindungstrakts zwischen dem Wohnhaus und dem Galeriegebäude. Ferner entstand ein museumswürdiger Empfangsbereich durch Verlagerung der Garderobe. Die von den Architekten entworfene karg-moderne Möblierung zitiert im Holz - dunkles Nussbaum - den bürgerlichen Status der Villa. Nach dem gleichen Prinzip, karg-repräsentierend, wurde die Cafeteria ausgestattet.

Bei der Aussenfassade machten die Architekten keine Zugeständnisse an den etwas biederen Charakter des Wohnhauses. Spartanisch nackte Betonplatten ohne jede Öffnung hüllen den Neubau ein. Entschieden als reiner Tresor formuliert, zeigt die Architektur an, dass die ganze Kostbarkeit im Innern liegt. Sie birgt drei neue Räume. Davon dienen zwei kleinere Räume als eigentliche Graphik-Kabinette den lichtempfindlichen Arbeiten, während der grössere Raum einen zuvor schlecht proportionerten Verbindungsraum zum Galeriehaus ersetzt. Hier entstand nun ein prominenter Gemäldesaal, den die Architekten mit einer ausgeklügelten Lichtregie ausstatteten.

Der Raffinesse der Lichtführung in nichts nach steht die völlig neue Hängung, welche die Handschrift der Konservatorin des Hauses, Mariantonia Reinhard-Felice, trägt. Sie hat den neuen Raum mit ausgesuchten Gemälden aus verschiedensten Epochen bewusst modern inszeniert. So hängen zwei Portraits von Picasso und El Greco kühn nebeneinander. Die Übereinstimmung in der malerischen Auffassung der Bilder, die mehr als drei Jahrhunderte trennt, ist verblüffend. Die Zusammenführung wirkt dank der Neufassung des Picassobildes in einem kostbaren alten Rahmen völlig organisch. Nicht nur hier beweist Frau Reinhard einen selbstbewusst aufgeschlossenen Umgang mit dem Geist des Sammlers Oskar Reinhart (1885-1965). Reinhart hatte sich nach dem Tod seines Vaters aus dem Handelsunternehmen der Familie zurückgezogen, um sich ganz der Sammlertätigkeit zu widmen, der er kenntnisreich und mit höchster Professionalität nachging. Sein Sammlerstil gründet in der besonderen Bewertung des Impressionismus als krönendes Ereignis der Malereigeschichte, in der sich die Farbe und das Malerische sozusagen zu sich selbst befreit habe. Solche Einschätzung machte am Jahrhundertanfang im Umkreis des berühmten Kunsthistorikers Meier-Graefe Schule, dem Reinhart freundschaftlich verbunden war. Reinhart verzichtete auf eine historische Hängung zugunsten einer intuitiven Hängung nach Farbklängen und Qualitäten des Malerischen. So wie Reinhart selbst den Dialog der Bilder in immer neuen Hängungen erprobt und erforscht hat, unternahm es die die Konseravtorin aus einem heutigen Standpunkt, den Werken neue Gehalte zu entlocken. Saniert wurde also nicht nur das Haus sondern auch die Präsentation der Werke und die Möblierung im Sinn der Annäherung an das Ideal Gesamtkunstwerk. "So herausragend Reinharts Kunstkentnnise waren, hohe Wohnkultur kann man ihm nicht nachsagen", entschied Frau Reinhard, und hat das Haus entrümpelt, um die wenigen wirklich wertvollen Möbelstücke an präzisen Orten zur Geltung zu bringen. Eine ausserordentliche Aufwertung hat die Präsentation der Skulpturen erfahren. Wie Figuren Giacomettis machen Renaissanceminiaturen eine Tischfläche zur Piazza und ergeben eine neue, skulpturale Sicht des Alten. Die Verlagerung der lichtempfindlichen Werke in Spezialräume ermöglichte das Wiederöffnen vermauerter oder verdunkelter Fenster. Mit Detailliebe wurde viel Licht gewonnen und die ebenfalls erneuerte Parklandschaft als Bild-Element in die Räume hereingeholt. Das neue Römerholz empfiehlt sich als ein Oase für Sinne und Geist, wo grossartige Kunst ihre würdige Behausung hat.