Hans Renggli
Gegen die Kälte der Zeit
Der geistigen und körperlichen Ruhe eine Chance geben will Harm Lux
mit der Medienkunst-Ausstellung grown in frozen time in Frauenfeld. Bis
14. Februar 1999
Harm Lux, der Kurator, der einst die Shedhalle Zürich mit seinem
unkompliziert kommunikativen Stil zum international beachteten Ereignisort
der jungen Szene machte, dieser Harm mit dem sinnigen Nachnamen Lux, erleuchetet
derzeit die kalte Nacht der Gegenwart. Grown in frozen time heisst das Gesamtkunstwerk,
das er an seiner heutigen Wirkungsstätte Shed im Eisenwerk in Frauenfeld
mit kräftiger Unterstützung von 14 Künstlerinnen und Künstlern
aus sechs Nationen(NL, CH, D, B, UK, USA) aufgebaut hat. Genaugenommen sind
es fünfzehn, denn so wie Lux die Künstler einbezieht und für
seine Ideen instrumentiert, muss man ihn als Künstler mitzählen.
Der Titel erörtert im Verweis auf das Wachsen, die Kälte und die
Zeit sowohl die Bedingungen, in die eine nicht etablierte Kunst heute geworfen
ist, wie auch wesentliche Inhalte der Ausstellung. Sie kann als Manifest
gegen die frostige Gesellschaft und Aufforderung gelesen werden, mit Poesie,
Verspieltheit, Trauer und Herz gegenzusteuern, aller Kompliziertheit, aller
Unübersichtlichkeit und Ausgesetztheit zum Trotz. Und ausgesetzt
scheint der Mensch heute namentlich durch eine explodierende digitale Technologie,
die ihn permanent und grundsätzlich in Zugzwang bringt.
Der bedrängenden Wahrnehmung will Lux eine positive Sicht der modernen
Technologien entgegenstellen. Lux im Begleittext: "Ich wollte zeigen,
dass es auch mit den unserer Zeit enstprechenden Medien möglich ist,
auratische Bilder zu erzeugen, in denen man sich verlieren kann." Lux
schreibt sich die Gedanken vom Leib über die hochkomplexen Voraussetzungen
einer zeitgemässen Form der Kunst und bringt sie nicht ganz auf die
Reihe. Einen Ausweg sehe er im Auslösen einer "bedeutungsarmen
Faszination". Doch bedeutungsarm sind die gezeigten Werke gerade
nicht, eher schon erfahrungsarm im Sinne Walter Benjamins, weil sie nämlich
die Ereignisse minimalisieren zugunsten einer Konzentration. Und hier deckt
sich die Ausstellung dann ganz mit seinem zum Schluss fromulierten Anliegen,
der "geistigen und körperlichen Ruhe eine Chance zu geben durch
Übung der Konzentratonsfähigkeit zur rechten Zeit am rechten Ort".
Eine schlüssige Antwort zur holpernden Theorie leistet die Anwendung
im Bild und zeichnet Lux als einen, der sich im berührend positiven
Sinn ein kindliches Gemüt bewahrt. Die Ausstellung hat er als eine
Wegstrecke eingerichtet, auf der verschiedene Räume durchschritten
werden. Diese Räume unterscheiden sich nicht nur in Ausdehnung und
Stimmung, sie stehen auch in je anderen Beziehungen zu Erfahrungen, die
immer mit Zeit, Raum, Körper und Bewegung zu tun haben. Mit den Zeitmedien
Film, Audio, Video und Computer umspielen verschiedene Arbeiten das ewig
aktuelle Thema der Lebensalter. Sie haben ihren Zeitort zwischen Wiege und
Bahre, zwischen Kindheit, Alter und Tod. Aber nicht nur neue Medien haben
ihren Auftritt, sondern auch altbewährte Mittel szenischer Beeindruckung.
Die Konstruktion der Raumfolge ist ausgespannt zwischen Schaubudenzauber
und Opernpathos. Den Eingang bildet ein vieltüriger Kleiderkasten.
Wer durch die richtigeTür geht, tritt sozusagen aus dem Nichtsein
durch den Geburtskanal in das Leben. Das enge Kinderversteck ist der Ort,
wo in der Fantasie das Leben unendlich weit und abenteurlich wird. In einer
Videoarbeit von Ingrid Wildi(CH) imaginieren ein Mädchen und ein Bub
ihre Leben als Grosse. Sie ist Modedesignerin und Gesellschaftsqueen, er
macht als Astronom zusammen mit seinen Forscherkollegen ein abenteuerliche
Marsreise.
Vom wirklichen Erwachsensein, vom Vernünftigwerden, von der Macht
der Sprache und dem Schmerz der Ereknntnis handelt der zweite Raum, eine
schwarze Box, die als Kamera obscura konzipiert ist. Hier projiziert Aernout
Mik (NL) ein beklemmend seltsames Video. Zwei Frauen sitzen mit dem Rücken
zur Wand nebeneinander und werden von einer nicht identifizierbaren Energie
rhythmisch aufgeblasen und angehboben, wobei ihnen stossweise blaue bzw.
schwarze Farbe gleich arteriellem Blut aus der Brust spritzt. Der Charakter
eines Ritualopfers wird noch verstärkt von einem Mann mit Märtyrerkopf,
der, kniend auf einem hydraulischen Podest, vor den Frauen auf und niederschwebt.
Durch die kreisrunde Lichtöffnung der "Kamera" tritt der
Besucher nun sozusagen in die grosse Welt, wo das Erwachsenenleben seine
mehr oder weniger lange Weile hat. Von den Füssen weg erstreckt sich
ein leuchtender Landschaftskörper, inselhaft und gebirgig in die weite
Nacht. Die pneumatischen Berge von Mike Tyler(NL) sind reine Hülle
und verdanken ihre geschwellte Plastizität einem starken Gebläse.
Der Raum ist erfüllt vom Ventilatorsummen der Projektoren, die Grossbilder
an die entfernten Wände werfen. Viermal ist die Natur, zweimal der
alte Mensch Thema, alle Bilder verbindet ihr entschiedener Hang zur Langsamkeit,
zur Stille, ja zum scheinbaren Stillstand. Und zusammen richten sie ein
grosses Hauptthema auf : Die Unbegreifbarkeit, das Wunder der Zeit.
Äusserst einfach und eindrücklich umgarnt David Claerbout(B)
den Betrachter mit dem metaphysichen Thema. Man schaut in die Projektion
eines alten Fotos einer flämischen Landschaft von 1890: Eine Windmühle,
davor einige Passanten und im Zentrum, bildbestimmend, ein riesige Eiche.
Ich wandte mich schon achselzuckend ab , als das unstimmige andere im Augenwinkel
aufblinkte, eine kaum merkliche Bewegung in der Krone der Eiche. Ihre Blätter
schaukelten selig im fächelnden Wind, als sei sie nicht verschollen
im tiefen Zeitschacht sondern vor mir gegenwärtig und flüstere
mir zu.