Hans Renggli

Der Weg zum Herz Malerei

Klaudia Schifferle war in den frühen achtziger Jahren ein Star der Schweizer Kunstszene. Jetzt stellt sie erstmals in Zürich ausschliesslich Malereien aus, die von einem langen Weg und Wandel zeugen. Galerie Baviera, Zürich. Bis 1. März

Seit einigen Jahren investiert Klaudia Schifferle (45) viel Arbeit in die Pflege ihres Blumengartens in Lugaggia. Die Zwiesprache mit der Natur kann sie so sehr erfüllen, dass sie sich zuweilen fragt, was das Malen eigentlich soll. Sie tut es dennoch immer wieder und kann sich wohl dabei fühlen. Skulpturen dagegen mag sie kaum mehr machen. "Es kommt mir vor, als ob ich zurückkehre zu meinen ersten bewussten Malversuchen mit Ölpastellen als Vierzehnjährige. Mich treibt der Wunsch, mich malen zu lassen". Auch von den ganz grossen Formaten hat sie sich verabschiedet. Der Kern der neuen Ausstellung bildet eine Serie von mittelgrossen quadratischen Leinwänden, denen sie den Titel "Innen von Blumen"gab.

Doch dargestellte Blumen gibt es keine zu sehen. Die Bilder sind so gegenstandslos wie noch nie in ihrem bisherigen Werk. Sie sind fast nur Stimmung und Klang. Das Verschwommene wie Nebel, Dunst, Wolkengebräu bestimmt die Form. Der gemeinsame Nenner ist das vielgestaltige Wasser, dem ihre Malerei nachspürt, ohne es darzustellen. Die Malerei selbst ist das flüssige, erquickende, sich anschmiegende und sich fortwährend verwandelnde Medium. Es gibt zwar da und dort feine Ansätze der Verfestigung - Geäder, sich verdichtende Flecken. Sie deuten auf so etwas wie Körper, ohne es je ganz zu werden. Alles bleibt in der der Schwebe zwischen Sein und Nichtsein.

Klaudia Schifferle hat auf ihrer Expedition zur Seele der Malerei ihre Empfindungen und Gedankenbilder auch in fragmentarischen Notizen zu fassen gesucht. Da heisst es: "die Nahtstelle vom Werden / das Nichts an der Nahtstelle vom Werden / dem Nichts entspringend / - Selbstvergessenheit"
Man spürt, nie war die Künstlerin so gelassen, nie sich selbst so nahe, wie in diesen Malereien. Die Erregung des Ruhms aber hat sie längst überlebt. In ihrem zurückgezogenen Reifen ist es still um sie geworden. Nur wer sich diesen Bildern lange aussetzt, kann noch die drollig-verquälten Koboldswesen erahnen, die ihre früheren Hervorbringungen einst bevölkerten.

Lang ist es her. Klaudia Schifferle war blutjung und sehr erfolgreich. Die Kindfrau, für die man sie hielt, schien begnadet mit unerschöpflicher Energie und einem absolut sicheren kreativen Instinkt. Mit beneidenswerter Anmut bewegte sie sich in der Kunstszene der späten siebziger und frühen achtziger Jahre. Sie malte, dichtete, schauspielerte und spielte Rockmusik, alles praktisch aus dem Stegreif und mit einem Minimum an Professionalität. Und was immer sie hervorbrachte, erntete Applaus und Bewunderung. 1982 wurde sie 27-jährig als jüngste Teilnehmerin an die documenta 7 eingeladen.

Ihre frühen Erfolge gründeten im magischen Welterleben, das sie unbeschädigt ins Erwachsenenleben hinübergerettet zu haben schien. Was ihr gerade zur Hand kam, formte sie zu grotesken Kreaturen und beseelten Dingmetamorphosen von betörender Frische. Dazu dichtete sie tiefsinnige Kalauer wie: "Die Maler dieser Stadt, die haben‘s immer glatt". Schifferles griffige Reimformel "Saus und Braus" lieh auch der legendär gewordenen Ausstellung von 1980 den Titel, mit der Bice Curigers Stern als Kunstvermittlerin aufging.

Als sich Klaudia Schifferle 1988 von Zürich verabschiedete, hatte sie den Zenit des Erfolgs bereits überschritten. In Mailand gab sie sich zunächst der totalen Expansion hin. Sie besass erstmals ein riesiges Atelier und stürzte sich in einen fiebrigen Kampf mit gigantischen Leinwänden. Die Hektik der chaotischen Grossstadt forderte ihrer fragilen Physis alles ab. 1989 bot ihr Zürich die letzte grosse Ausstellung im Kunsthaus. Die Reaktionen auf ihre apokalyptischen Riesengemälde und Zementskulpturen blieben diskret.

Die Künstlerin hatte sich ausgelaugt. "Mein Körper sagte mir, dass ich die Notbremse ziehen muss", erzählt sie heute. "Ich hatte andere Sachen zu tun, wollte in die Tiefe gehen und erfahren wer ich wirklich bin". Sie zog in ein abgeschiedenes Dorf im Malcantone. Die Kunstkarriere, die sie einst überfallen hatte, eh sie sich besinnen konnte, verlor ihre Wichtigkeit. Sie wandte sich der Landschaft, den Pflanzen, der Tierwelt zu. Als Städterin begann sie die Stille zu schätzen. "Ich stellte fest, dass man sich auf dem Land verfeinern kann."Viele Jahre pflegte sie auf den Ausläufern des Gebirges zu thronen und sich nach Süden in die die immense Weite der Poebene zu träumen. Hier hat sie sich eine "Freie Sicht aufs Mittelmeer" erworben, die sich von jener ihrer einstigen Weggefährtin Bice markant unterscheidet: Eine freie Sicht, die auch eine Befreiung von den Erfolgszwängen der Kunstszene bedeutete.