Hans Renggli

Wirkliche Materialien im wirklichen Raum

Das neue Buch "Arbeiten im Raum" stellt erstmals das beeindruckende Werk des institutionskritischen Zürcher Plastikers Vincenzo Baviera im Überblick dar.

Für das Buchprojekt "..musste ich einen weiten Weg zurücklegen..", schreibt Vincenzo Baviera (55) im Dankeswort an jene, die ihn unterstützt haben. Die lange Reifezeit hat sich gelohnt. Die umfangreiche, schön gestaltete Publikation ist ein eigentliches Künstlerbuch geworden. Hauptautor ist der Künstler selbst, der für einmal in zweidimensionaler Form sich und dem Publikum einen Rechenschaftsbericht vorlegt über sein zwanzigjähriges Raumschaffen, das trotz seiner unbestreitbaren Stärke in der heutigen Kunstlandschaft der Schweiz im Gegenwind steht.

Das Buch ruft nicht zuletzt in Erinnerung, wie sehr sich das künstlerische Klima seit den achtziger Jahren verändert hat. Damals hatte Baviera mit beeindruckenden Interventionen und Installationen im öffentlichen Raum Aufsehen erregt und sich als eine Leaderpersönlichkeit der Zürcher Kunstszene profiliert. Gemäss seinem Naturell, das sich nicht scheut, politisch Position zu beziehen, pflegt er ein kritisches Verhältnis zu Hierarchien und Institutionen. Als Künstler mag er nicht bloss Dienstleister für die ästhetischen Bedürfnisse einer Elite sein. Entgegen dem Zeitgeist glaubt er an einen Auftrag, der sich nicht im Selbstzweck des Kunstwerks erschöpft. Lieber initiiert er Austellungereignisse und Interventionen selbst, als Museumskuratoren aus der Hand zu fressen.

Mit seiner entschieden körperbezogenen Raumkunst will er die Menschen dazu bewegen, sich selbst in ihrer Verstrickung wahrzunehmen. Dabei geht es wesentlich um das Erkennen von Machtverhältnissen, welche die Räume immer sichtbar oder unsichtbar bestimmen. So durchzieht ein widerständiger, emanzipatorischer Impetus seine Arbeiten. Baviera will die Macht den Individuen zurückzugeben, ihr Bewusstsein für Zwänge wecken und sie zu solidarischem Handeln animieren.

In der Arbeit orientiert sich Baviera an der physikalischen Eigengesetzlichkeit des Konstruktiven, gemäss der Devise der russischen Konstruktivisten: "Wirkliche Materialien im wirklichen Raum". Wie bei jenen soll seine Kunst eine tastbare Wirklichkeit schaffen, die von keinem spezifischen Kunstkontext abhängig ist. So baut er Dinge von realistischer Anmutung, welche die Vorstellung von Nützlichkeit evozieren wie Schiffe, Wagen, Stege, Pendel, Räderwerke, Observatorien und Maschinen. Sie sind so entschieden formuliert, konstruiert und materialisiert, wie eben überzeugende Gebrauchsdinge sind. Nur erschliesst sich kein klarer Gebrauch. Die Dinge verharren zwischen Maschine, Gerät und Zeichen, die in ihrer Botschaft beunruhigend ambivalent bleiben. Einerseits ergötzt sich Baviera mit spielerischer Lust am perfekt Konstruierten. Darin betätigt er sich ganz als Designer und Architekt. Dort freilich, wo die Konstrukte rücksichtslos den Raum besetzen und sich autoritär den Menschen entgegenstellen, vermitteln sie auch die Kehrseite der Technikbegeisterung. Ebenso geht es da um die Erregung jenes körperbedrohenden Unbehagens, das von technoiden Dingen ausgeht.

Vincenzo Baviera, Arbeiten im Raum, Andreas Züst Verlag c/o Scalo Verlag, Fr. 78.-