Rayelle Niemann

Africa at home - Kulturpolitik im Wildwasser

«What if there was more than just one culture in today's world?» [Revue Noire]. Verkündet «Total Global» weltweite Vernetzung und scheinbare Gleichstellung unterschiedlichster Orte, so beinhaltet es auch Nivellierungen kultureller Eigenheiten. Ebenso bleibt die Differenz unterschiedlicher ökonomischer Realitäten, die das total Globale als Zynismus der Welt erscheinen lässt, die Gesetzmässigkeiten und Richtlinien der Globalität bestimmt.
Dem gegenüber steht das obige Zitat aus der «Revue Noire», das Fragen nach Macht und Bestimmung impliziert. Das Moderne, obwohl in den achtziger und neunziger Jahren dekonstruiert, wird heute nach wie vor an den Auffassungen der «ersten» Welt gemessen, ohne dass in Betracht gezogen wird, dass andere Länder in ihren eigenen Zeiten eigene Innovationen entwickeln. Das Modell der «ersten» Welt gilt als Status quo und ist zukunftsweisend zugleich. Macht wird nicht geteilt.

Afrikanische Kunst?
Der ethnozentrische Blick ist vergessen

Was ist gemeint, wenn von Kunst aus Afrika die Rede ist? Grösse und Vielfältigkeit dieses Kontinents schliessen aus, dass afrikanische Kunst auf einen Nenner gebracht werden kann. So ist die Benutzung von Begriffen wie «Afrika» und «afrikanisch» nur mit dem Hinweis darauf zu verstehen, dass die arabischen Länder Nordafrikas mit Uganda und Madagaskar so viel gemeinsam haben wie das industrialisierte Südafrika mit Somalia.
Ein Vergleich mit dem angestrebten vereinigten Europa drängt sich auf: stellen wir uns zum Beispiel eine Ausstellung mit Vertreterinnen und Vertretern aus Portugal, Island und Griechenland vor - würden wir dann von europäischer Kunst sprechen?
Das Zentrum ist klar definiert, auch innerhalb Europas: diesen Juli trug eine Rezension in der NZZ über nordeuropäisches Kunstschaffen in der Kunsthalle Wien den Titel: «Von der Peripherie ins Zentrum». Der Einzug in Kunstmetropolen wird «anderen» gewährt, mit einem besonderen Blick verkündet und begleitet.
Gerne wird heute der ethnozentrische Blick der «ersten» Welt auf Afrika vergessen, vergessen ist auch, dass noch 1996 zeitgenössische Kunst aus Afrika im Zürcher Völkerkundemuseum ausgestellt wurde.
Die alten Projektionen auf afrikanische Kunst, die für «authentische», bei uns verloren geglaubte Volkskunst steht, der mythologisierten Ursprünglichkeit und Wiege der Menschheit entsprechend, sind gegen neue ausgetaucht worden: heute soll afrikanische Kunst das Bedürfnis nach all jenen Inhalten erfüllen, die westliche Künstlerinnen und Künstler der Ästhetik geopfert haben. Sind nun vor allem Bilder von Künstlerinnen und Künstlern aus Afrika gefragt, die Kritik an politischen Systemen üben und gleichzeitig vom sehnlichst erwarteten Neubeginn sprechen?

Multikulturelles Europa?
Minenfeld der Identitäten

Hier in unseren mitteleuropäischen Breitengraden wird in der Kunst das multikulturelle Nebeneinander kaum mehr benannt - obwohl sich Übergriffe auf Menschen anderer Hautfarbe und Herkunft häufen. Auch an das Leben mit unhinterfragten Widersprüchen scheinen sich hier alle gewöhnt zu haben.
Nachdem in den siebziger und achtziger Jahren die (künstlerische)Identitätspolitik marginalisierter Gruppen (Frauen, Homosexuelle, Schwarze, MigrantInnen etc.) thematisiert wurde und Bestandteil des internationalen Kunstdiskurses war, ist eine Müdigkeit gegenüber diesen Fragestellungen zu beobachten, ohne dass jedoch diese Marginalisierung aufgehoben wurde - denn das hiesse Teilung der Macht.
Es herrscht Unmut unter den «Betroffenen», weiterhin um Selbstverständlichkeiten ringen zu müssen. Viele nehmen zu diesen Themen lieber keine Stellung mehr: so zum Beispiel der schwarze Künstler Steve McQueen, der, nach der Wichtigkeit der «Blackness» in seiner Kunst befragt, lapidar äussert, dass der weisse Künstler Bruce Nauman auch nicht auf seine Hautfarbe und deren Stellung in seiner Kunst angesprochen werde.
So erstaunt es auch kaum, dass wir mit südafrikanischen Vertretern der Kunst ein Gespräch führen können, in dem von Hautfarbe, von Rasse keine Rede ist. Auch sie, vorwiegend «Helle und Weisse», scheinen von diesen Problemen genug zu haben und wenden sich zukunftsorientiert über Realitäten hinweg, die auch nach sechs Jahren der offiziellen Aufhebung der Apartheid weiterhin bestehen. Doch gerade die nun selbstbewussten Behauptungen von Identitäten, deren Charakteristiken, Rituale etc. gegen aussen, gegen Uebernahmen von «anderen» geschützt werden, führen in einer multiethnischen Gemeinschaft mit ihren sowohl strengen als auch hybriden Erscheinungsformen oft zu einem wahren Minenfeld der Identitäten.
Einige Künstlerinnen und Künstler machen Gebrauch von der kulturellen Vielfalt und verwenden Versatzstücke ausserhalb ihres ursprünglichen Kontexts. Das für die Lesbarkeit vorrausgesetzte Hintergrundwissen fehlt oft den BetrachterInnen anderer Länder. Die neue Auslegeordnung lässt so eine weitere kulturelle Identität entstehen.


Neue Medien als Fortschritt?
«Outsider» für den Kunstmarkt

Es ist nicht erstaunlich, dass gerade jetzt «afrikanische» Künstlerinnen und Künstler im internationalen Kunstkontext sehr gefragt sind, denn viele der jungen Kunstschaffenden dieses Kontinents bedienen sich Medien und formalen Umsetzungen, die in der kosmopolitischen Kunstszene gehypt wurden und heute als Standard gelten: Videoarbeiten, Installationen, Fotografien werden mit Wohlwollen begrüsst und als Entwicklungen verstanden, die sich für den internationalen Kunstmarkt als kompatibel erweisen, da die Lesart sich durch ähnliche formale Ansätze vereinfacht und somit zumindest rein äusserlich nicht mit so viel «Anderem» belastet wird.Geschichtlich betrachtet allerdings, so schreibt Colin Rhodes in «Outsider Art», waren Installationen und Performances immer schon ein Ausdruck «afrikanischer» Kunst, während die Malerei auf Leinwand erst mit der
Kolonialisierung in die Länder des «schwarzen» Kontinents gebracht wurde. Den Begriff des Künstlers, der Künstlerin, so wie er von der ersten Welt verstanden wird, gab es in fast allen afrikanischen Ländern hingegen nicht. Dessen Entwicklung ist ebenfalls nur im Zusammenhang mit der Kolonialisierung und den Auswirkungen des Postkolonialismus zu verstehen.
Da sich der eigene Narzissmus am Besten im Spiegel des Anderen lebt, werden Positionen afrikanischer Künstlerinnen und Künstler nicht in Ausstellungen mit internationaler westlicher Kunst integriert, sondern als Fremdes und Anderes separat verarbeitet. Alle paar Jahre braucht der Kunstmarkt die Entdeckung und Vermarktung solcher «Outsider», um sich selbst ins Licht zu rücken. Der Markt nimmt so eigentlich keine wesentlich andere Position ein als die der kirchlichen MissionarInnen, die in die Länder der «dritten» Welt zogen und ziehen, um die «anderen» zu bekehren und Vegetariern in Indien den Laib Christi zu preisen.


Offene Kulturpolitik?
Der ungewollte Blick auf das «Eigene»

Wie problematisch der Umgang mit dem «Anderen» ist, zeigte die Ausstellung «change directory», die 1999 in der Kunsthalle Bern stattfand. Sie dauerte ganze neun(!) Tage und kam schon deshalb mehr einer Alibiübung gleich. Vierzehn Künstlerinnen und Künstler, die in der Schweiz in der Diaspora leben, waren eingeladen. Nicht die Qualität ihrer künstlerischen Werke stand im Mittelpunkt der Schau, sondern die Tatsache, dass sie Fremde in diesem Land sind. Die kurze Dauer der Ausstellung unterstreicht den Eindruck, dass es vor allem darum ging, die «andere» Situation der Künstlerinnen und Künstler mit dem Ziel anzuerkennen, das eigene Gewissen zu beruhigen.
Die Situation der tunesischen Künstlerin Fatma M'Seddi Charfi, die seit vierzehn Jahren in der Schweiz lebt und ebenfalls zu dieser Ausstellung eingeladen wurde, soll fragliche Praxen der Kulturpolitik beleuchten: Fatma M'Seddi Charfi wurde in der Schweiz nie zu Ausstellungen in renommierten Kunsthäusern eingeladen; auch für eine Weihnachtsausstellung in ihrem Wohnort Bern wurden ihre Werke nie ausgewählt, obwohl sie an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland teilnimmt. Hier ein paar aktuelle Beispiele: 1999 bekam sie den ersten Preis an der Biennale in Kairo, 2000 erhielt sie den Grand Prix der Biennale in Dakar. Im Sommer 2000 wurde sie als einzige in der Schweiz wohnhafte Künstlerin zu einer Ausstellung mit 100 internationalen Künstlerinnen und Künstlern nach Schweden eingeladen; an der Expo in Hannover vertrat sie ihr Herkunftsland Tunesien. Doch in der Schweizer Presse wurden ihre Auszeichnungen nur mit wenigen Sätzen erwähnt, die Pro Helvetia lehnte es ab, sie für die schwedische Ausstellung zu unterstützen.


Ungewollte Blicke?
Das Andere im eigenen Garten

Anstatt stolz auf eine im Land lebende ausländische Künstlerin zu sein, ist
es einfacher, sich des «Anderen» aus der Ferne zu bedienen. Denn das ist weniger gefährlich als das «Andere» im eigenen Garten wahrzunehmen - lösen dessen Positionen doch auch immer einen ungefragten und ungewollten Blick auf das «Eigene» aus. Das Andere aus der Ferne bleibt das Andere, kann es doch schnell wieder in die Ferne gerückt und können Inhalte oder Fragen leicht als «auf uns nicht zutreffend» abqualifiziert werden. Macht ist eindeutig verteilt. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.
Wie schwer sich «Afrikas» Kunstwelt selbst mit «anderen» künstlerischen Positionen tut, zeigen Reaktionen der afrikanischen Presse auf die Preisverleihungen in Dakar: Diese Preise seien als Zugeständnisse an
westliche Kunstausrichtungen zu verstehen, hiess es da zum Beispiel, die ausgezeichneten Werke seien «unafrikanisch» und ihre Auszeichnung ein Verrat an der «eigene» Kultur.
Den Wunsch nach Erfolg setzten viele Künstlerinnen und Künstler nicht nur aus Afrika mit der Möglichkeit gleich, ihr Herkunftsland verlassen und sich in einer der Kunstmetropolen in Europa oder Amerika niederlassen zu können. Einige der "afrikanischen" Künstlerinnen und Künstler leben bereits seit Jahren in London, New York, Amsterdam. Sie nehmen damit auch eine wichtige vermittelnde Rolle zwischen verschiedenen Welten ein. Kunst spricht zwar für sich selbst, doch führen begleitende Worte und Erfahrungsberichte zu einem tieferen Verständnis unterschiedlicher, komplexer Hintergründe. Der international vernetzte Kunstmarkt ist allmächtig, dessen Gesetzmässigkeiten nicht transparent und entscheidet, wer es schafft, bzw. eine Chance bekommt, sich auf internationalem Terrain zu behaupten. Förderungs- und Sponsoringmodelle der Privatindustrie und Sammlerinteressen haben ihren Einfluss
und Stellenwert gegenüber staatlichen Institutionen längst geltend gemacht. Die kostspieligen Aufwändungen für künstlerische Umsetzungen verändern Einstellungen und Ausdruck "unabhängiger Kunst" und verstärken die Verflechtung mit dem Kapital.
Es müssen sowohl die Interessen des Marktes wie auch die Uebersetzbarkeit für Firmenphilosophien garantiert werden. Wenige Namen setzen sich schlussendlich längerfristig international durch, viele Künstlerinnen und Künstler bilden und bleiben Peripherie einer internationalen schnelllebig verschlingenden Kunstszene, die Weg
und Markt diktiert.
Als Tendenz zeichnet sich in der kosmopolitischen Kunstwelt eine übergeordnete «Nation» ab, die sich frei von Herkunft und geschichtlichem Bezug einer gemeinsamen formalen Sprache und Inhalten bedient. So funktioniert die Neuschaffung einer Identität, die sich auf schnelle Informationstranfers ebenso stützt wie auf die weltweite Vernetzung von Grosskonzernen.