Rayelle Niemann

The Brooklyn Queens Trilogy

von Erik Dettwiler



Toast / Can / Liberty


Banalitäten des Alltags - grosse Gesten

Die Wirklichkeit zu erfassen, ist ein schwieriges Unterfangen. Der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan stellte in den sechziger Jahren fest, daß jeder Apparat, der etwas aufnimmt, etwas Drittes, etwas Neues entstehen läßt, das vorher nicht da war. Ein Schrift-, Bild- oder Tonstück, vergleichbar einem Produkt aus einer Fabrik, x-fach vervielfältigt, verteilt über die ganze Welt. Jeder, der aufnimmt, stellt neue Wirklichkeiten her. Es sind vervielfachte Wirklichkeiten eigener Ordnungen.

In der Rauminstallation "The Brooklyn Queens Trilogy" sind drei Schwarzweissvideos zu sehen, von denen zwei einen zufälligen, touristisch gefilmten Ansatz haben (Can, Liberty), während Toast inszeniert und streng durchchoreografiert ist.
Die gewählten Sujets verweisen auf codierte Zeichen, die für einen American Way of Life und eine allgemeine, globalisierte Massenkultur einerseits stehen, andererseits symbolisieren sie Banalitäten des Lebens schlechthin.


Die ritualisierte Gebärde des Zuprostens an einer Vernissage, der Ausspruch eines Toasts während einer Feierlichkeit dekonstruiert Dettwiler in "Toast" zu einer authistischen Perfektion, die sich in slapstickartigen Posen auflöst. Der gesellschaftliche, kommunikative Wert der Geste findet keine Ausführung. Die Bekleidung des Protagonisten, Hut, Sonnenbrille und Handschuhe, vermittelt Distanz, Isolation; die gebleckten Zähne verkommen zu einem stilisierten Lächeln, das jeder Lebendigkeit entbehrt. Die Sprache des Körpers ist in ihrem Zeichen erstarrt.

Demgegenüber wird mit "Can" eine Szene gestellt, in der ein unendlich reproduziertes Konsumgut die Hauptrolle spielt - eine Dose wird unter einer Metrobrücke, neben einer belebten Strasse in der Stadt vom Wind hin- und hergerollt. Die Leichtigkeit und die Zufälligkeiten der Bewegungen verfolgt die Kamera als beobachtendes Auge, untermalt von Geräuschen des Stadtverkehrs. Die Banalität dieser Szene findet ihren Höhepunkt in dem Moment, in dem die Dose von einem Auto überrollt und plattgewalzt wird. Die Hyperästhetik einer Vernissage, der augenzwinkernde Verweis auf die Dose in der Kunstgeschichte stehen dieser alltäglichen Allweltsituation gegenüber - eine achtlos weggeworfene Dose wird von ihrem Sinn, einem praktischen und einem erhöhten, befreit - sie ist wieder Blech, ein Stück Metall.

In "Liberty" suggeriert die erste Kameraeinstellung den Blick auf die amerikanische Freiheitsstatue, bis ein Schwenk die Ortsabklärung einlöst - es ist ein Friedhof, die Statue ein steinerner Engel. Die Kamera gibt den Blick auf Grabsteine frei, die eingemeiselten Namen zeugen von Menschen unterschiedlicher Konfessionen, Klassenverhältnisse spiegeln sich in der Ausrichtung der Grabsteine und der Statuen.
Die Persepktive der Kamera erlaubt den Vergleich mit Häusern, grosse breite Strassen ziehen sich durch die Grabreihen. Nichts zeugt von der Romantik europäischer Friedhöfe, von begrünten Parkanlagen und Grabbepflanzungen.
Es ist ein Blick auf eine steinerne Totenstadt. Im entfernten Hintergrund zeichnen sich Wolkenkratzer ab. Vom nahen Highway dringt der stete Ton endloser Autokolonnen.
Freiheit - bringt der Tod die Freiheit, der die Menschen im Leben mit allen Konsequenzen hektisch nachlaufen?


"Wie bewundernswert ist doch,
wer nicht denkt: ‘das Leben ist vergänglich‘,
wenn er einen Blitz sieht"
(Bashô)

In "Brooklyn Queens Trilogy" begegnen wir nicht Bildern, die wir mit New York assoziieren, diese Stadt, die nach wie vor unendliche Möglichkeiten, Erfolg und Freiheit symbolisiert. Keine Orte, vielmehr Unorte hat Erik Dettwiler mit seiner Kamera eingefangen, Zwischenräume zugänglich gemacht, Grauzonen freigelegt, die sich zwischen den Schatten des schrillen, lauten Lebens von New York bewegen.

In der Titelgebung seiner Installation bezieht er sich auf den amerikanischen Erfolgsautor Paul Auster, dessen "New York Trilogy" in melancholischen Geschichten von übersehenen Existenzen erzählt, deren Geheimnisse nur in N.Y. aufgehoben sein können.
Mit Queens verweist Erik Dettwiler einerseits auf den New Yorker Stadtteil, in dem der Friedhof liegt, auf dem Sequenzen eingefangen wurden. Andererseits spielt er mit Queens auch auf die Dragqueens an, jene schrillen, ewig lauten, oft tragischen Figuren mit verschmiertem Lippenstift und langen falschen Wimpern, eine Federboa hinter ihren schwingenden Pos hinterherziehend, Erscheinungen, die genauso zum Bild von New York gehören wie Banker, Vernissagenpublikum und Obdachlose.
Brooklyn erzählt die Einwanderungsgeschichten von Amerika, die ständig neu konstruierten Ordnungen zwischen ethnischen Gruppen, die Gewalt, das Gerangel um Platz und Macht und Dasein.

"Brooklyn Queens Trilogy" bedient sich der Kunst des Weglassens, der Kunst der Reduktion. Einem Haiku gleich, werden in diesem Videodreizeiler Situationen der Stadt des ewigen Rausches zu einem Bild sortiert, das Schnelligkeit hinterfragt, zum Innehalten und Ueberdenken animiert.



©Rayelle Niemann, Zürich im Juli 2001


Epilogue

Die Videoaufnahmen von Erik Dettwiler entstanden im Jahr 2000 in New York, der Text zu seiner Arbeit im Sommer 2001 - beides Daten vor dem 11.September 2001.
Erik bat mich, im Hinblick auf dieses Ereignis die Stelle im Text zu relativieren, an der ich von New York als unendliche Möglichkeiten, Erfolg und Freiheit symbolisierenden Ort spreche. Ich entschied mich für ein kurzes Nachwort, um nicht die damaligen Reaktionen auf die symbolische Bedeutung von N.Y. und auf seine Bilder im nachhinein zu verändern.
Als ich den Anschlag auf das WorldTradeCenter am Fernseher "life" miterlebte, dachte ich u.a. an diese Arbeit und fragte mich nach ihrem neuen Stellenwert. Ich fragte mich auch, welche Perspektive Erik von New York eingenommen hätte, wenn er nach dem 11.September nach N.Y. gereist wäre. Welche Bilder würden heute entstehen? Was würde ich heute dazu schreiben? Offene Fragen.
Ob Kunst nach dem 11.September eine andere sein wird als vorher, wurde viel diskutiert, doch Veränderungen kann ich ausser in einzelnen Arbeiten, die sich konkret auf dieses Thema beziehen, bis jetzt nicht feststellen - business as usual, an der Oberfläche. Die Ereignisse werden von Politik und Wirtschaft für ideologische Zwecke missbraucht. Erinnerungen und damit verbundene Verunsicherungen lagern im Unterbewussten. Die Art und Weise der Verarbeitung sind sehr eng mit der individuellen Konstitution verknüpft. Wie sich diese Erfahrungen auf das Leben und in künstlerischen Arbeiten auswirken - davon wird die Zukunft berichten.
Geschichtliche Ereignisse machen künstlerische Werke überflüssig, oder diese erleben eine Zuordnung von gewichtigerer Bedeutung. Künstlerische Ausdrücke, die Momente des Entstehens müssen die Zukunft aushalten und mit ihr die Veränderung ihrer möglichen Lesart.
New York - nach wie vor ein Ort der Träume, ein Ort des Undergrounds, des schnellen Erfolges, ein Ort kritischer kreativer Menschen, ein Ort der Geschichte, ein Ort des Widerspruches, ein Ort, der immer wieder bereit zu sein scheint, sich in den auf ihn projezierten Bildern selbst zu spiegeln.

Rayelle Niemann, Zürich, Februar 2002