Dominik Landwehr

Seymour Papert: «Verstehen ist Erfinden» 

Interview mit Seymour Papert (MIT), Experte für Computer-Games

Was zeichnet ein gutes Computerspiel aus? - Warum haben Games, die Gewalt verherrlichen, so viel Erfolg? - Wie sehen Spielzeuge und Computerspiele der Zukunft aus? - Der amerikanische Mathematiker und Psychologe Seymour Papert vom renommierten Massachusetts Institute of Technology beschäftigt sich seit langem mit diesen Fragen und hat auch verschiedene Bücher dazu publiziert.

Seymour Papert beantwortet die telefonisch gestellten Fragen in seinem Landhaus im Bundestaat Maine. Seine beiden Enkel John (9 Jahre) und Sam (11 Jahre) hören via Lautsprecher mit. Immer wieder gibt der Computerexperte Fragen an seine beiden Enkel weiter.

Herr Professor Papert, sie gelten weltweit als einer der wichtigsten Experten zu Fragen rund ums Thema Computer, Spiel und Kinder. Spielen Sie selber auch mit Computerspielen?

Seymour Papert: Ja, ich spiele durchaus auch Computerspiele, aber nicht sehr häufig. Sehr vieles, was auf dem Markt ist, taugt nichts. Für mich sind Arbeit und Erholung nicht zwei verschiedene Kategorien. Ich brauche keine Erholung. Auf der anderen Seite finde ich es aber auch falsch, wenn man Spiel automatisch mit Erholung gleichsetzt. Spielen kann sehr anstrengend sein.

Was ist für Sie ein gutes Computerspiel?

Seymour Papert: Gegenfrage: was ist ein gutes Gedicht, ein gutes Musikstück? - Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Persönlich finde ich zum Beispiel «Myst» ein tolles Spiel, weil es verschiedene Lösungen gibt, die zum Ziel führen. Ein gutes Spiel ist nicht nur unterhaltend, es zeigt mir auch, wie ich lernen kann. Ein gutes Spiel darf nicht Abhängig machen. Generell kann man auch sagen, bei einem guten Spiel dominiert das Kind oder viel allgemeiner, der Spieler, die Maschine. Bei einem schlechten ist es umgekehrt: da dominiert die Maschine und diktiert dem Spieler das Verhalten.

Diesem Kriterium dürften nur wenige Produkte genügen. Wenn man die Verkaufszahlen anschaut sieht man, dass Spiele wie «Quake», bei denen die Gewalt im Mittelpunkt steht, den grössten Erfolg haben.

Seymour Papert: Fragen Sie doch meinen Enkel John

John: Es gibt einfach Leute, die sehen gerne, wie jemand getötet wird.

Seymour Papert: Gewalt lässt sich immer gut vermarkten. Das gilt nicht nur für Computerspiele, sondern für ganz viele andere Bereichen, zum Beispiel auch den Film. Ich finde aber nicht nur Gewaltspiele schlecht. Ich finde auch all jene Spiele, die Kinder als Antwortmaschinen betrachten, negativ. Diese Programme behaupten dann von sich sie seien interaktiv - ich nenne das aber mehr «interpassiv»....

Sind Computergames nur Unterhaltung für Kinder oder sind sie auch für Erwachsene geeignet?

Sam: Natürlich sind diese Spiele nicht nur für Kinder. Ich denke viele Spiele sind auch super für Erwachsene, eines davon ist zum Beispiel «Riven».

Wie lange soll ein Kind vor dem Computer spielen - gibt es da Grenzen?

Sam: Meine Eltern finden es nicht gut, wenn ich stundenlang vor dem Computer sitze. Es gibt einfach Spiele, die sind so gemacht, dass man nicht mehr weg kommt davon.

Seymour Papert: Es ist falsch zu meinen, dass es automatisch schon toll ist, wenn ein Kind vor einem Computer sitzt und Spiele, die in eine Abhängigkeit führen, sind keine guten Spiele. Aber auf der anderen Seite ist die Frage falsch gestellt: Computer werden schon in naher Zukunft nicht mehr so aussehen wie heute, wo sie im Grund nichts anderes als eine Tastatur mit einem Fernseher sind. Computer können überall sein, zum Beispiel in einer Armbanduhr, sie werden in unserem Alltag eine wichtige Rolle spielen und nicht mehr einfach als Kisten auf einem Tisch stehen.

Dann wundern sich Eltern auch darüber, dass ihre Kinder mehr vom Computer verstehen als sie selber.

Seymour Papert: Das stimmt sicher zum Teil - auch wenn ich zum Beispiel mehr über Computer weiss als meine Enkelkinder gibt es doch viele Bereiche, in denen sie mir überlegen sind. Kinder sind flexibler. Sie haben Freude daran etwas auszuprobieren. Sie finden dadurch auch eine experimentelle Art erfolgreiche Strategien.

Sie beschäftigen sich seit langem mit Lego und haben auch zu den neusten Entwicklungen von Lego eine wichtige Rolle gespielt. (siehe Kasten) Woher kommt dieses Interesse?

Seymour Papert: Lange bevor ich mit Computern arbeitete studierte ich mit dem Genfer Psychologen Jean PiagetFragen der Entwicklungspsychologie. Wir haben damals etwas ganz Einfaches festgestellt: Verstehen ist Erfinden, das ist genau das Prinzip von Lego und darum finde ich das auch ein faszinierendes Spielzeug. Ich haben immer davon geträumt, mit einem Spielzeughersteller zusammenarbeiten zu können. Ich war aber enttäuscht, als ich dann solche Leute auch kennenlernte, weil ich feststellen musste, dass dies keine lustigen, phantasievollen Menschen sind, sondern einfach nur Businessleute. Bei den Leuten von Lego war das anders.

Die neuste Generation der Lego-Spielzeuge kombiniert Computer und Lego-Bausteine. Warum?

Seymour Papert: Es gab in der Entwicklung der Spiele verschiedene Meilensteine. Einer davon war sicher die Erfindung der Lego-Bausteine, einer war der Computer und die Computergames. Nun werden beide Sachen miteinander kombiniert aber eben wieder so, dass die Kreativität beim Kind liegt. Das spielende Kind erfindet und programmiert mit den Bausteinen und dem Computer eigene Maschinen.

Sie gelten als Erfinder dieser neuen Spiele?

Seymour Papert: Ich habe sie nicht erfunden, ich habe nur die Anregungen dazu geliefert. Ich habe das übrigens allen Spielzeugherstellern gesagt, aber nur Lego hat so positiv darauf reagiert und dieses Konzept umgesetzt.

In welche Richtung werden sich die Computerspiele in Zukunft entwickeln?

Seymour Papert: Ich habe schon vorher auf einige wichtige Entwicklungen hingewiesen - der Computer und auch die Schnittstelle zwischen dem Menschen und der Maschine wird sich verändern. Computer werden viel alltäglicher, gewöhnlicher und damit auch kleiner werden. Bei den Spielen glaube ich dass die wichtigste Tendenz darin bestehen wird, dass die Barrieren zwischen Entwicklung und Spiel verschwinden wird. Der Konsument wird dadurch zum Produzenten werden

Interview Dominik Landwehr



 
Legobausteine mit Köpfchen 
Eine Maschine, die Bonbons nach Farben sortiert, ein Auto, das selber auf der Strasse bleibt, drei Fahrzeuge, die miteinander kommunizieren und sich danach im Takt gemeinsam bewegen, ein Roboter der Fussball spielen kann....Das sind einige Beispiele für Spielzeuge, die sich mit den neu entwickelten Bausteinen von «Lego Mindstorms» bauen lassen. Das Spielzeug besteht im wesentlichen aus einem Computerbaustein. Daran lassen sich Sensoren, Motoren und anderes anschliessen. Programmiert wird der Baustein mit einem gewöhnlichen PC mittels einer einfachen, an Logo orientierten Computersprache. Fachleute aus Forschung, aber auch die Presse, waren enthusiastisch, als Lego die Entwicklungen im vergangenen Winter in London zum ersten Mal präsentierte: «Dank diesem Spielzeug können die Kinder zum ersten Mal wirklich verstehen, was wir mit dem Roboter «Pathfinder» auf dem Mars machen, sagte etwa George Powell vom Jet Propulsion Laboratory der NASA». Lego Mindstorms ist in den USA und in England von diesem Herbst an für rund 300 Franken zu kaufen. In der Schweiz wird dieses Produkt erst ab kommenden Jahr erhältlich sein. Lego führt hier vorher ein ähnliches Spielzeug namens Cybermaster ein. Es handelt sich dabei um einen Spielzeugroboter, dem dieselbe Technologie zugrunde liegt.


Wer ist Seymour Papert 
Seymour Papert lehrt am Media Lab des renommierten Massachusetts Institute for Technology (MIT) und gilt heute als führender Experte für Fragen zum Thema Kinder, Spiel und Computer. Papert, der heute 70 Jahre alt ist, war urpsprünglich Mathematiker und gehörte zu den Pionieren der Artificial Intelligence. Die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget in den Jahren 1958 bis 1963 brachte ihn dazu, Fragen der Entwicklungspsychologie mit den Mitteln der Mathematik und damit auch mit dem Computer anzugehen. Seymour Papert entwickelte darauf die Computersprache Logo, die Kindern zum ersten Mal die Möglichkeit gab mit einfachen Mitteln den Computer zu beherrschen. Der Spielzeughersteller Lego schuf 1988 am Media Lab des MIT einen eigenen Lehrstuhl («the Lego chair for learning technologies»), die neusten Lego-Entwicklungen entstanden nach seinen Anregungen. Papert hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, zuletzt erschien der Titel «Die vernetzte Familie» (Kreuz Verlag).