Roman Kurzmeyer

Max von Moos (1903-1979)



Max von Moos kultivierte in seiner surrealistischen Malerei den Zweifel. Er wollte malen wie Grünewald, Urs Graf, Bosch, Pontormo, Arcimboldi, Goya und Picasso. In einer Malerei von bemerkenswerter technischer Meisterschaft schildert er seine Weltangst und das Versagen der Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit angesichts einer Unheil kündenden Wirklichkeit. In seinen Lebenserinnerungen spricht der Künstler an einer Stelle vom „Fluch, im 20. Jahrhundert Maler zu sein“. Die grosse Mehrzahl der Künstler seien Spezialisten, Fachkräfte auf dem Gebiet der Kunst ohne universelle Aufgabe und Verantwortung. Selbst „ein Titan wie Picasso“ sei davon betroffen: „Dieser Erdrutsch ist unaufhaltsam. Mein ganzer Motivkreis liegt im Erdrutschgebiet. Ich bemühe mich, sorgfältig zu malen, weil ich den Erdrutsch aufhalten will. Aber dass es nicht gelingt, ist eine ständige Quelle von Angst, Unruhe, verfehltem Leben.“ Seine Gemälde sind Evokationen des Schrecklichen führen aber vor allem in den fünfziger Jahren auch in ältere oder von der Zivilisation unberührte Schichten des Lebens. Von Moos malte Unterwasserbilder, Grabkammern, Versteinerungen und Anatomien. „Die Verdammten“ (1952) ist ein Gemälde aus diesem mittleren Werkabschnitt. Es ist ein Bild des Kampfes. Wie Picasso in seinem Gemälde „Guernica“ (1937), auf das „Die Verdammten“ (1952) in Komposition und vor allem durch die Fussdarstellung am unteren rechten Bildrand anspielt, zeigt auch von Moos eine apokalyptische Situation, die sich nicht eindeutig auf ein bestimmtes Ereignis beziehen lässt. Klingen und Krallen sind einander gegenüber gestellt. Es ist, um mit dem Soziologen Norbert Elias zu sprechen, ein Bild über den bedrohten Prozess der Zivilisation. Offenkundig ist nur, dass der Mensch, dargestellt als gestürzte Figur, von der nur ein Fuss im Bild sichtbar ist, der gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen diesen nicht näher bezeichneten Kräften zum Opfer gefallen ist. Selbst inhaltlich extreme Bildlösungen wie diese lassen das Vertrauen in die Malerei und die Suche nach künstlerischer Schönheit erkennen, obschon von Moos bewusst war, dass die technische Fertigkeit in der Moderne an Bedeutung verliert. Das Kunstwerk wird im 20. Jahrhundert in erster Linie als konzeptuelle Leistung verstanden. Das bis heute vielbeschworene Ende der Malerei war schon für von Moos ein unabänderliches Faktum. Dieses Ende ist keineswegs nur eine Redensart, sondern lässt sich beschreiben und lokalisieren. Es fällt zeitlich zusammen mit dem Aufbruch in die Moderne. Von Moos betrieb seine Malerei schon im Zeitalter des Konzeptualismus. Die Modernität seines Schaffens liegt nicht in seinem Kunstbegriff, der einer vergangenen Kultur angehört, sondern in der Thematik seines Werks. Heute ist die Malerei eine individuell handhabbare Technik neben vielen anderen, für Max von Moos repräsentierte sie das kulturelle Gedächtnis.

Die Verdammten, 1952
Öl auf Pavatex, 87 x 120 cm
Kunstsammlung der Stadt Thun


Dieser Text ist erschienen in: Sammlung / Collection, Katalog, Kunstmuseum Thun, 2004, S. 68.

Vgl. auch meine ausführliche Studie: Roman Kurzmeyer, Atlas Anatomie Angst: Max von Moos (1903-1979), Edition Voldemeer Zürich, Springer Verlag: Wien / New York 2001.