Interview von Samuel Herzog, 1997

Ausstellen heute III: Christoph Vögele
neuer Leiter des Kunstmuseum Solothurn

<Ich komme von der Erlebnisseite her>

Christoph Vögele (1957 in Kreuzlingen geboren) hat nach einer Ausbildung zum Primarlehrer in Zürich Kunstgeschichte und Germanistik studiert. Längere Zeit studierte er in Paris und in New York. In seiner Dissertation hat er sich mit dem neusachlichen Maler Niklaus Stoecklin beschäftigt. Seit 1987 war er als freier Kunstkritiker tätig für <Radio DRS 2>, das <Kunst-Bulletin>, die <Berner Zeitung> und das <St. Galler Tagblatt>. In letzter Zeit ist er mit diversen Ausstellungen und mit Büchern über Stoecklin, Adolf Dietrich und Lucia Coray hervorgetreten. Jetzt wartet eine neue Aufgabe auf ihn.

BaZ: Per Anfang 1998 übernehmen Sie die Leitung des Kunstmuseums Solothurn. Sie ersetzen dort André Kamber, der in Pension geht. Was wollen Sie besser machen als Ihr Vorgänger?
Christoph Vögele: Ich gehöre nicht zu denen, die irgendwo hinkommen und sofort sagen: Ich mache jetzt alles besser, ich mache alles neu. Kamber hinterlässt eine ausgezeichnete Sammlung mit einem klaren Profil. Er hat Künstler seiner Generation gefördert und gesammelt. Dabei hat er nicht auf möglichst grosse Breite gesetzt, sondern einzelne Künstlerinnen und Künstler ausgewählt und umfangreich dokumentiert. So weiss heute jeder, der etwa Robert Müller sehen will, dass er dafür nach Solothurn muss. Das soll auch in Zukunft so sein und ich hoffe, dass auch ich die richtigen Zeitgenossen finde, dass ich zur Entwicklung einzelner Künstler beitragen kann.

Aber so ein Kunstmuseum hat ja ganz verschiedene Funktionen, es beherbergt nicht nur eine Sammlung sogenannt etablierter Kunst, sondern soll auch neueste Tendenzen zeigen - schliesslich gibt es keine Kunsthalle in Solothurn.
Ja, ich muss also sowohl ein Sammler sein als auch ein Trüffelschwein, das immer wieder das Beste in der zeitgenössischen Kunst erschnüffelt. Ausserdem möchte ich nicht nur Einzel- und Gruppenausstellungen machen, sondern auch aktuelle oder kunsthistorische Themen präsentieren.

Gibt es da konkrete Projekte?
Ich werde mit einer thematischen Gruppenausstellung beginnen. Ich will die Wechselbeziehung zwischen zeitgenössicher Malerei und Fotografie zeigen. Die Grenzen zwischen den Medien lösen sich auf, zum Beispiel fallen mir malerische Tendenzen auch in der Videokunst auf, die ja sehr sinnlich sein kann. Überhaupt: Sinnlichkeit ist immer das Zentrum von Kunst, das ist mir sehr wichtig.

Die grosse Augenlust?
Ich will keine Instantkunst zeigen, aber eine sinnliche Kunst, die nicht nur via Begriff, Plot oder Allegorie operiert. Ich komme von der Erlebnisseite her. Es muss mich ergreifen, damit ich begreife. Schlechte Kritik will immer sofort begreifen, überstülpen - ich warte erst, was auf mich zukommt.

Also ist die Ästhetik sehr wichtig.
Schon, aber das rein Ästhetische reicht nicht aus - es müssen auch Fragen aufgeworfen werden.

Heute ist es ja so, dass Künstler auch als Sozialarbeiter oder Kulturanimatoren tätig werden.
Es stört mich nicht, dass Kunst immer mehr Funktionen im Leben und im Alltag übernimmt. Aber wenn die Kunst sich selbst ad absurdum führt, dann kann alles und jedes zu Kunst werden. Ich bin einverstanden, dass man selbstgefällige ästhetische Übungen kippt, aber es muss doch noch einen dritten Weg geben. Die Kunst sollte nicht ganz verstummen, sie sollte immer noch etwas sagen, etwas auf den Tisch legen, sich irgendwie auch von Nicht-Kunst unterscheiden.

Dann ist nicht jeder ein Künstler?
Nein - auch heute nicht. Wir sind zwar spürbar in einer Übergangszeit, aber die neuen Materialien und Medien verändern die Kunst im Innersten nicht. Es bleiben die existentiellen Fragen, es gibt keine neuen Fragen...

...ausser vielleicht die der Virtualität?
Vielleicht - aber stellt das den Aufbruch in eine neue Zeit dar?

Nun, wo geht es denn lang?
Das ist tatsächlich schwer zu sagen. Sicher ist, dass es heute weniger um Inhalte als um Haltungen geht. Es geht nicht mehr um das <was>, sondern um das <wie>. Auch wenn heute in Sachen Medien oder Materialien alles möglich ist, letztlich bleibt es eine Frage der Qualität. Und die muss man von Fall zu Fall beurteilen.

Da dürfte es schwierig für Sie sein, als Museumsleiter eine Linie zu halten.
Trotzdem sind Kontinuität und Konsequenz sehr wichtig. Ich brauche eine klare Stossrichtung, auch um das Vertrauen des Publikums zu gewinnen. Verantwortung kommt von Antwort geben - allerdings muss ich keinen Sinn propagieren, den müssen die Leute schon selber finden.

Und wie populär darf es sein?
Ich will nicht auf Popularität schielen, aber wenn ich mit dem Prinzip der Sinnlichkeit operiere, dann komme ich damit hoffentlich auch dem Publikum entgegen und es schenkt dem Museum und sich selber Zeit.

Sich selber Zeit?
Ja, in einem Museum geht es sehr stark um Zeit, um die Nachwirkung auch zu Hause. Wirklichkeit kommt von Wirkung, was sinnlich wirkt und bleibt. Es gibt ja Bilder, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen. Die Wirklichkeit ist auch ein Erinnerungsschatz in mir - eine Galerie von gemalten und erinnerten Bildern, die sich aus der grossen Flut herausgefiltert haben. Da muss Kunst anknüpfen. Und meine Aufgabe als Ausstellungsmacher ist es auch, dem Publikum das Finden solcher Bilder zu ermöglichen: durch eine präzise Auswahl und durch eine Hängung, die Bezüge sichtbar macht und eine Stimmung erzeugt. Die Erlebnisfähigkeit ist abhängig von Raum und Zeit - daran wird sich so schnell nichts ändern.

Erschienen in der Basler Zeitung am 5.9.97.