Interview von Samuel Herzog, 1997

Ausstellen heute II: Annette Schindler
neue Leiterin des Swiss Institute New York

<Neues Terrain erschliessen>

Annette Schindler (1962 in Chicago geboren) hat in Zürich Kunstgeschichte studiert und in ihrer Lizentiatsarbeit die soziologische Theorie Pierre Bourdieus auf die Rezeption zeitgenössischer Kunst angewandt. Sie arbeitete als freischaffende Kunstwissenschaftlerin und Kritikerin. 1992 übernahm sie einen Lehrauftrag für Kunstgeschichte an der Schule für Gestaltung Zürich. Im selben Jahr wurde sie als Konservatorin am Kunsthaus Glarus angestellt. Zuletzt hat sie dort in Zusammenarbeit mit Eric Schumacher und Andrea Clavadetscher die Ausstellung <overdub> realisiert. Jetzt wartet eine neue Aufgabe auf sie.

BaZ: Per ersten September dieses Jahres übernehmen Sie die Leitung des Swiss Institute in New York . Sie ersetzen dort Carin Kuoni. Was wollen Sie besser machen als Ihre Vorgängerin?
Annette Schindler: Ich werde auf ihrer Arbeit aufbauen können, denn Carin Kuoni hat bereits einiges bewirkt: Zum Beispiel hat sie das Swiss Institute in Soho etabliert. Ausserdem hat sie zeitgemässe Formen eingeführt, den <Swissness>-Auftrag zu erfüllen: Sie hat sich von der reinen Präsentation von Schweizer Kulturschaffenden gelöst und thematische Ausstellungen etwa zu <Schokolade> oder dem <Roten Kreuz> realisiert.

Aber welche neuen Ansätze bringen Sie als Ausstellungsmacherin nach New York?
Ich werde sicher andere Themen aufgreifen als Carin Kuoni und diese Themen auch etwas anders füllen. Im Januar 1998 etwa startet eine Ausstellungsreihe unter dem Titel <Technosophia>. Mit diesem Projekt möchte ich den Facetten einer vorwiegend europäischen 90er Jahre-Kultur nachspüren. Hier wird mir zugute kommen, dass das Swiss Institute ja neben der bildenden Kunst auch andere Gattungen wie Musik, Tanz etc vermitteln soll. Dieser Teil der Kultur der 90er Jahre interessiert mich dort, wo die Demontage des autonomen Subjekt-Status nicht Ziel, sondern Ausgangspunkt künstlerischer Praxis ist - wo spielerisch-subversive Methoden angewendet werden, um neues Terrain zu erschliessen.

Löst sich denn der Subjekt-Status auf?
Teilweise schon: Das Geklonte, Virtuelle, die Maskerade läuft doch zur Zeit einer essentialistischen Romantik den Rang ab - selbst bei einzelnen Ausstellungsmachern herkömmlichen Zuschnitts. Die Konstruktionsmechanismen jeder Art von Identität stehen heute zur Debatte - eine Tatsache, die sich nicht zuletzt einer nachhaltigen feministischen Kritik verdankt. Einer Kritik, die mir wiederum für meine Kuratorinnentätigkeit immer wichtig war und sein wird. Die Verschiebung des Subjektstatus zeigt sich etwa bei den Discjockeys, die ja dauernd mit Entdeckungen aus dem Underground aufwarten müssen, um beim Mainstream dabei zu sein. Die Entdeckungen sind wohlgehütete Geheimnisse, der Ruhm gebührt nicht der Musikgruppe, sondern dem DJ, der sie <macht>...

... wie auch der Ruhm für eine Ausstellung nicht dem Künstler gebührt, sondern dem, der sie <macht>.
So kann man das nicht sagen. Es stimmt zwar schon, dass sich die Unterschiede zwischen Künstler und Ausstellungsmacher verunklären, aber auch da installieren sich bereits neue Setzungen. Letztlich geht es darum, zusammen zu denken und zusammen etwas herzustellen.

Aber wer trägt dann die Verantwortung für was?
Die 90er Jahre funktionieren nicht mehr über Köpfe, sie funktionieren über Labels, die für gewisse Ideen oder Haltungen einstehen.

Wenn der autonome Subjekt-Status der Kunstschaffenden in Frage gestellt ist, dann sind wohl auch die Zeiten des autonomen Kunstwerks vorbei.
Eine so absolute Setzung wäre doch langweilig. Das autonome Kunstwerk kann auch Teil einer Strategie sein, die andere Inhalte vermitteln will. Bei Marlene McCarty zum Beispiel, die an einer Ausstellung des Swiss Institutes im nächsten Jahr beteiligt sein wird, sind die formalen Aspekte sehr verführerisch, die inhaltlichen aber äusserst kritisch. Wichtige Diskussionen werden heute aber auch dort geführt, wo der autonome Kunstbegriff aufgelöst ist.

Künstler wie die Geschwister Hohenbüchler oder Rirkrit Tiravanija agieren als Sozialarbeiter oder Kulturvermittler. Wo ist da noch die Kunst?
Ist es denn interessant, da neue Grenzen zu ziehen? Mich interessiert eher, wo diese Grenzüberschreitungen einen alten Diskurs dynamisieren. Im übrigen baut auch das Überschreiten von Grenzen immer neue Grenzen auf. Das ist ein fortwährender Prozess.

Aber welche Rolle spielt die Kunst in diesem Prozess, was kann man von ihr erwarten?
Von Kunst kann und soll man - nach wie vor - eine ästhetische Reflexion der Gegenwart erwarten. Man kann von ihr eine kritische Auseinandersetzung mit festgefahrenen Vorstellungen und Strukturen erwarten. Die 90er Jahre entwickeln wohl gerade in jenem Bereich wieder eine besondere Dynamik, wo Kunst zum Bestandteil einer Lebenspraxis wird.

Auch das Swiss Institute in New York soll also zum Teil einer Lebenspraxis werden?
Natürlich nicht. Das Ziel ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Themen, Materialien, Kontexten etc. Verschiedene Dinge sollen in einer gewissen Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit diskutiert werden, im nächsten Jahr etwa Geld und Moral, Geschlechteridentität oder eben Techno. Vor allem geht es darum, Raum für eine kritische Auseinandersetzung zu bieten. Daran fehlt es nämlich in New York.

Und wie populär darf es sein?
So populär wie möglich. Die Kunst allerdings darf sich nicht anpassen, die muss ganz hohe Ansprüche erfüllen. Aber die Vermittlung muss die Kommunikation herstellen, ich muss diesen Spagat machen zwischen den Kunstschaffenden und dem Publikum.


Erschienen in der Basler Zeitung am 22.8.1997