Interview von Samuel Herzog, 1998

Ausstellen heute IV: Ulrich Loock
neuer Leiter des Kunstmuseum Luzern

<Mich interessieren Situationen der Möglichkeit>

Ulrich Loock (1953 in Braunschweig geboren) hat in Karlsruhe, Düsseldorf und Bochum Kunst und später Kunstgeschichte studiert. Abgeschlossen hat er sein Studium mit einer Dissertation über Daniel Buren, Michael Asher und Dan Graham. Von 1985 bis 1997 war er Direktor der Kunsthalle Bern. In seiner letzten Ausstellung in der Bundeshauptstadt zeigte er neue Werke von Maria Lassnig. Loock war an diversen Publikationen beteiligt und übernahm Gastlehraufträge in Zürich, Karlsruhe, Bern und Amsterdam. Seit dem ersten September dieses Jahres hat er eine neue Aufgabe.

BaZ: Am 1. September dieses Jahres haben Sie die Leitung des Kunstmuseums Luzern übernommen. Sie ersetzen dort Martin Schwander. Was wollen Sie besser machen als Ihr Vorgänger?
Ulrich Loock: Ich habe andere Aufgaben. Das Ziel meiner jetzigen Arbeit ist die Eröffnung des neuen Museums in zwei Jahren, bis dahin muss ich ein Konzept entwickelt haben. Die Ausstellungen, die wir derzeit in unserem Provisorium, dem <Zwischenraum> realisieren, sehe ich als eine Art Aufwärmrunde für die spätere Arbeit. Im <Zwischenraum> können wir Richtungen und Ideen andeuten, die dann im Museum zum Tragen kommen.

Und in welche Richtung soll es gehen? Das Kunstmuseum hat ja ganz verschiedene Funktionen, es beherbergt nicht nur eine Sammlung sogenannt etablierter Kunst, sondern soll auch neueste Tendenzen zeigen - schliesslich gibt es keine Kunsthalle in Luzern.
Unser Ziel ist es, die Sammlung älterer Kunst mit Ausstellungen zur Gegenwartskunst zu verschränken, wir wollen eine inhaltliche und räumliche Interaktivität herstellen: Altes und Neues soll sich gegenseitig beleuchten. Geschichte sagt uns ja nur etwas, wenn wir sie in Hinblick auf heute sehen. Dennoch müssen wir es natürlich vermeiden, die älteren Werke für heutige Zwecke zu instrumentalisieren.

Eine ziemliche Gratwanderung.
Ja, ein Eiertanz.

In Bern haben Sie fast nur einzelne Künstler präsentiert. Thematische Ausstellungen gab es nicht.
Ich bin nicht sicher, ob sich das grundsätzlich ändern wird. Ich halte thematische Ausstellungen für sehr problematisch und sehe selten welche, die mich überzeugen: Meist interpretieren sie die Werke zu Gunsten des Themas, beugen sie. Ich will weiterhin die Arbeit einzelner Künstler verfolgen, will neue Werkgruppen oder "Oeuvres" in Form von Ausstellungen überprüfen.

Und was wollen Sie da überprüfen?
Im historischen Zusammenhang interessiert mich, wie Kunst nach der Minimal Art weitermacht, nach dem <ultimate Painting>, dem letzten Bild. Minimal hat nicht nur den Körper sondern auch den geschichtlichen Raum aus der Kunst verdrängt - ihre Ortsbezüglichkeit war ja rein formalistisch. Eine wichtige Frage, die ich mit meinen Ausstellungen untersuchen will, lautet deshalb: Wie kommen Raum und Körper zurück in die Kunst.

Und wie kommen sie zurück?
Der geographische oder historische Raum präsentiert sich nach den 60er Jahren als Atopie, als Unort: Einerseits ist er Erinnerungsraum, andererseits in Frage gestellter Ort, ortloser Ort. Der Körper kommt zerstückelt, geklont zurück...

...oder virtuell?
Derzeit werden wir ja allerorts eingestimmt auf unsere zukünftige Virtualität, man sagt uns die Auflösung der Körper voraus. Mit Ausstellungen lässt sich untersuchen, was es damit auf sich hat.

Gerade Körper, Raum oder Virtualität liessen sich doch gut im Rahmen von thematischen Ausstellungen befragen.
Wenn sie so wollen, mache ich ja auch meine thematischen Ausstellungen, einfach zeitlich gestreckt über mehrere Präsentationen. Das merken nur viele Leute nicht, weil sie ein so kurzes Gedächtnis haben. Und ausserdem: Äussert sich in der thematischen Ausstellung, die Sie angesprochen haben, nicht eine Scheu vor dem Anspruch des künstlerischen Werkes?

Und was für einen Anspruch hat das künstlerische Werk?
Es geht um das Differenzpotential: die unerwartete, unkontrollierbare Andersheit. Das Kunstwerk kann mir etwas geben, das ich in meinem geistigen Horizont noch nicht assimiliert habe. An diesen Differenzen bin ich interessiert.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Gregor Schneider etwa, den ich 1995 erstmals zeigte, hat in seinem Haus in Rheydt Räume in die bereits bestehenden Räume eingebaut. Diese Duplikation hat das ganze Haus grundlegend verändert: Was zuerst wie eine Affirmation der Normalität wirkt, stellt gleichzeitig eine völlige Untergrabung aller Realität dar. Das ist ein Beispiel für den Anspruch, den ich meine: Kunst greift die Wirklichkeit auf, nimmt sie aber nicht als das, als was sie sich darstellt.

Das Potential der Realität?
Kunst gibt <das was ist> wieder in seiner Möglichkeitsform. Sie zeigt dasselbe noch einmal, aber so, als hätte es das noch nie gegeben. Kunst bringt mich an einen Punkt, an den ich nie zu gelangen glaubte. Ich interessiere mich für Künstler, die den Zeitgeist unterwandern oder umwandeln in eine Situation der Möglichkeit.

Und wie publikumsfreundlich darf es sein?
Was heisst denn schon publikumsfreundlich? In den meisten Fällen bedeutet das doch, dass ich mit einer Ausstellung eine Bewusstseinslage anpeile, die vermutlich im Publikum verbreitet ist. Ich glaube jedoch nicht, dass es die Aufgabe von Kunst ist, bestehende Bewusstseinszustände zu bestärken. Ausserdem ist das Publikum ja längst nicht so berechenbar, wie gerne geglaubt wird. Catherine David etwa hatte das Gefühl, sie mache eine documenta gegen den Strom und gegen alle Erwartungen. Und was ist passiert? Die documenta X hat sämtliche Publikumsrekorde gebrochen.

Erschienen in der Basler Zeitung am 3.4.1998