Interview von Samuel Herzog, 1997

Ausstellen heute I: Bernhard Fibicher
neuer Leiter der Kunsthalle Bern

<Der Ausstellungsmacher ist ein Schmarotzer>

Bernhard Fibicher (1957 im Wallis geboren) hat in Bern Kunstgeschichte studiert und zur Darstellung Schlafender in der Kunst des 19. Jahrhunderts dissertiert. 12 Jahre lang war er Konservator des Kunstmuseums Sitten. 1991 hat er die Plastikausstellung <Tabula rasa> zur 700jahr-Feier der Eidgenossenschaft realisiert. 1995 wurde er als Konservator der graphischen Sammlung am Kunsthaus Zürich angestellt. Zuletzt hat er dort drei Ausstellungen mit Wandzeichnungen von Simon Patterson, Maria Eichhorn und Gary Simmons organisiert. Jetzt wartet eine neue Aufgabe auf ihn.

BaZ: Per ersten September dieses Jahres übernehmen Sie die Leitung der Kunsthalle Bern. Sie ersetzen dort Ulrich Look, der das Kunstmuseums Luzern neu organisieren soll. Was wollen Sie anders machen als Ihr Vorgänger?
Bernhard Fibicher: Vor allem möchte ich vom - im wörtlichen Sinne monotonen - Prinzip der Einzelschau wegkommen. Ich will vermehrt ganze Gruppen von Künstlern zeigen oder thematische Ausstellungen organisieren. Auch möchte ich mich weniger auf Bilder oder Fotos konzentrieren, vielmehr will ich das Schwergewicht auf installative Arbeiten legen - das hat in Bern bisher gefehlt. Im Zentrum meiner ersten Präsentation im Januar soll die Berner Kunsthalle selbst stehen, gemeinsam mit neun Kunstschaffenden will ich die Architektur, die Geschichte und die Funktion dieser Einrichtung untersuchen.

Was für eine Funktion soll denn die Kunsthalle unter ihrer Leitung haben?
Wichtig scheint mir die Öffnung dieser Einrichtung nach Aussen. Ich will versuchen, die Kunsthalle in den Alltag der Stadt einzubinden.

Und wie wollen Sie das anstellen?
Die Wände sollen in jeder Beziehung gegenüber der Aussenwelt transparent werden. Ich will politische Themen aufnehmen und internationale Probleme ansprechen. Gleichzeitig soll auch die Möglichkeit zu Eingriffen ausserhalb des Hauses bestehen. Die Bernerinnen und Berner sollen merken, dass es diese Kunsthalle gibt, dass sie da etwas Spannendes zu sehen bekommen - etwas, das auch sie betrifft.

Die Ausstellungen sollen also populärer werden.
Populärer ja, aber keinesfalls gefällig oder gar volkstümlich. So eine Ausstellung ist ein Reflektionsinstrument, ein Sensor der heutigen Zeit, der wie ein Schwamm die Probleme der ganzen Welt aufsaugt.

Und wo bleibt denn da die Kunst?
Die muss natürlich auch noch da sein. Es braucht diesen Mehrwert, der sinnlicher oder intellektueller Art sein kann. Ob die Kunst vorhanden ist oder nicht, das muss man von Fall zu Fall beurteilen.

Können Sie da ein Beispiel nennen?
Kürzlich war ich in Münster. Dort hat die Französin Marie-Ange Guilleminot einen Pavillon aufgestellt und die Besucher aufgefordert, ihre Füsse durch Löcher ins Innere zu strecken und sich von unbekannten Händen massieren zu lassen. Das finde ich eine gute Arbeit, denn sie gibt einen ironischen Kommentar zu unserer Dienstleitungsgesellschaft ab. In dieser Brechung steckt hier der Mehrwert oder eben die Kunst. Am selben Ort hat auch Rirkrit Tiravanija gearbeitet, aber er funktioniert ganz als <animateur culturel>, als Dienstleistungsbetrieb. Da gibt es kein Resultat, das man berühren könnte, keinen sinnlichen oder intellektuellen Gewinn. Wenn der Unterschied zu einem gewöhnlichen Sozialarbeiter oder einem Dienstleistungsbetrieb nicht mehr zu sehen ist, dann fehlt die Kunst. Oder vielmehr: Die Arbeit ist dann im Kontext Kunst am falschen Ort.

Guilleminot und Tiravanija machen beide Kunst, die vom Betrachtenden oder Wahrnehmenden eine aktive Beteiligung fordert - eine Kunst auch, die eine recht klare soziale Funktion hat. Ästhetische Belange scheinen dabei in den Hintergrund gerückt. Hat das autonome Kunstwerk endgültig ausgedient?
Kunst als rein ästhetisches Phänomen ist ein Luxus, den wir uns im reichen Westen bisher leisten konnten. In östlichen Ländern zum Beispiel war die Kunst immer mehr an gewisse Funktionen gebunden. Vielleicht gehen auch bei uns diese luxuriösen Zeiten allmählich zu Ende.

Ein Rückschritt?
Nein, das glaube ich nicht. Aber die Situation der Gegenwartskunst ist schwer zu beurteilen: Es gibt keine Tendenzen mehr, keine Etiketten. Für mich als Ausstellungsmacher ist das eine interessante Situation: Ich kann sehr persönlich auswählen und man kann mir nicht den Vorwurf machen, ich würde irgendwelchen Moden aufsitzen.

Und was wählen sie persönlich aus, was interessiert sie?
Video zum Beispiel - ein Medium, das einem seine Zeit geradezu aufdrängt.

Aber nicht eben ein neues Medium?
Nein, wirklich nicht. Aber in den 90er Jahren gibt es viele Künstler, die installativ mit Video arbeiten. Da ist noch sehr viel drin. Und in Zusammenarbeit mit den Künstlern will ich das rausholen. Aus nichts etwas entwickeln, das ist es, was mich fasziniert. Entsprechend wähle ich auch Künstler aus, die bereit sind, bei diesem Prozess mitzuarbeiten.

Dann dienen Ausstellungen in der Kunsthalle auch nicht mehr dazu, die Karrieren einzelner Künstler einzuleiten oder zu legitimieren.
Nein, das interessiert mich überhaupt nicht. Ich suche auch keine Künstler, die mir fertige Werke anbieten.

Sie legen viel Wert auf Zusammenarbeit mit den Künstlern. Es scheint auch, als seien für Sie die Aufgaben und Funtionsweisen von Kunsthalle und Kunst identisch. Gibt es heute überhaupt noch einen Unterschied zwischen dem Ausstellungsmacher und dem Künstler?
Da kann ich Ihnen frei nach Jean-Christophe Ammann antworten: Der Ausstellungsmacher ist ein Schmarotzer, der den Künstler für seine Zwecke und die Zwecke der Öffentlichkeit benutzt.


Erschienen in der Basler Zeitung am 28.8.1997