Samuel Herzog

Denken oder Staunen im arktischen Afrika
Helmut Federle im Kunsthaus Bregenz

Selbstverständlich ist alles ganz perfekt. Peter Zumthors lichtes, strenges Bregenzer Kunsthaus mit seinen schwebenden Etagen und auf den grauen Betonwänden die Bilder von Helmut Federle. Ganz wenige nur, im ersten Obergeschoss etwa beansprucht ein kleines goldenes Gemälde eine ganze Wand - die Fläche einer Zweizimmerwohnung für ein Bild von der Grösse eines Zeitungsblattes, da packt einem schon der heilige Schauer. Und so ist das auch gemeint.

«Ich will, dass man meinen Bildern durch das Staunen begegnet, nicht reflektierend, vergleichend», befiehlt Federle. Und also staunen wir. Im ersten Obergeschoss zum Beispiel über Bilder der Serie «Corner Field Painting», die Federle in den frühen neunziger Jahren begann. In den fünf jüngeren Exemplaren dieser Serie, die in Bregenz zu sehen sind, ragen von der linken, oberen Bildecke her intensiv schwarze Rechtecke in graue Flächen. So einfach diese Anlage auch sein mag, leicht zu fassen ist sie nicht: Sollen wir das schwarze Rechteck, da es sichtbar mit Aufwand und dem Ziel der Verdichtung gemalt wurde, quasi als den Bildgegenstand über einem grauen Grund betrachten? Oder sind das schwarze Rechteck und die graue Winkelform zwei selbständige Formen? Sollen wir das Bild als geschlossen ansehen oder es bloss als einen Ausschnitt aus einem beliebig grossen Zusammenhang betrachten? Je länger wir diese Bilder beschauen, desto mehr sind wir von ihrer prinzipiellen Unverfügbarkeit überzeugt, denn es gelingt uns nicht, sie festzulegen, sie als bestimmte formale Gegebenheit zu fassen.

Ähnlich ergeht es uns vor den zwei grossen Bildern im zweiten Obergeschoss, die Federle bereits 1997 im Schweizer Pavillon der Biennale von Venedig zeigte. Wieder sind wir zunächst versucht, grauschwarze Formen über grünlichgelbem Grund zu konstatieren und wieder lavieren die Bilder nach einiger Zeit zwischen diesem Übereinander und einem Nebeneinander der Formen. Im Unterschied zu den «Corner Field Paintings» ist der Farbauftrag hier äusserst trocken und so blicken wir denn durch eine Vielzahl von übereinander gelegten Farbschichten an einigen Stellen bis auf den Grund der Leinwand durch.

Was die Bilder im ersten und im zweiten Geschoss ebenfalls unterscheidet, ist ihr Verhältnis zum Betrachter. Die «Corner Field Paintings» sind relativ klein und also treten wir ihnen gegenüber und nehmen den Dialog mit ihnen auf. Die Bilder hingegen, die wir aus Venedig kennen, sind so gross, dass sie uns sozusagen umfassen. Ihre formale Unverfügbarkeit wird dadurch entschärft, denn wir können uns auf das Atmosphärische verlegen und versuchen, das Klima der Bilder zu bestimmen: Möchte man es in Analogie zu den klimatischen Verhältnissen auf unserem Planeten setzen, so könnte man von einem arktischen Afrika sprechen, denn wenngleich die Farben auf den ersten Blick äusserst erdig ja fast sonnengetrocknet wirken, durchweht sie doch ein äusserst kühler Hauch.

Im dritten Obergeschoss dann begegnen wir der «Pantera nigra» von 1997 und dem Bild «Death of a Black Snake» von 1999, einem grossen und für Federles Werk eher ungewöhnlichen Gemälde, das aus mehreren Schichten von meist vertikal verlaufenden Abreibungen und Abdrücken besteht und zwischen einem Raster und einem unregelmässigen Allover laviert. Im Unterschied zu den stärker am Geometrischen und seinen Abweichungen orientierten Gemälden in den unteren Geschossen, drängen sich hier nun mehr Referenzen auf: So erkennen wir vielleicht Figuren oder Schriften und sind geneigt, das ganze als einen Wald oder ein Dickicht mit allerlei Bewohnern anzusehen.

Der Unterschied zu den Bildern auf den unteren Geschossen ist markant. Die «Corner Field Paintings» etwa lassen sich, wie erwähnt, als Gegenüber nicht fassen und provozieren durch diese Verunsicherung eine dialektische Aktivität des Betrachters, die einzig durch die Feststellung beendet werden kann, dass sich hier etwas dem Fassungsvermögen entzieht. Ihren Sinn haben die Bilder also darin, dass sie im Betrachter eine solche Aktivität auslösen und ein Bewusstsein dafür schaffen können. Ganz anders bei «Death of a Black Snake»: Hier können wir eine ganze Reihe von phantastischen Projektionen vornehmen und auch wenn wir sicher immer neue Entdeckungen machen, bekommt das Bild mit der Zeit doch eine gewisse Festigkeit. Seinen Sinn hat das Bild also auch in dem, was wir in ihm sehen.

Einen weiteren Unterschied können wir im Bereich der Spezifik des Einzelbildes festmachen: Während Bilder wie «Death of a Black Snake» durch die Projektionen, mit denen wir sie belegen, immer spezifischer werden, sich für uns immer mehr auch von ähnlichen Bildern unterscheiden, bleiben Gemälde wie die «Corner Field Paintings» im wesentlichen unspezifisch. Auch wenn Federle darauf besteht, dass jedes dieser Gemälde «für sich eine Ikone ist», so hängt das, was sie auslösen können, doch weniger von der Beschaffenheit des einzelnen Bildes, denn von der Verfassung des Betrachters ab.

Es sei denn, man verstehe diese Bilder als religiöse Objekte, die den Bereich der Sinne und der Vernunft transzendieren und uns in Kontakt bringen mit etwas Höherem. In der Tat legen uns die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz und die Kommentare des Künstlers nahe, dass wir hier parareligiöse Erfahrungen zu machen haben: So sagt Federle etwa über einige der Fotos, die im Foyer des Erdgeschosses zu zwei Serien zusammengestellt sind, sie stammten aus einer Zeit «als ich mich noch an weltlichen Werten orientierte». Und auf drei Etagen des Kunsthauses präsentiert der Künstler in Vitrinen einen Teil seiner Sammlung kostbarer Keramiken: Antroposophische Gefässe oder solche der Mayas, Mimbres-Schalen aus New Mexico oder chinesische Keramiken der Song/Yung Dynastie. Abgesehen davon, dass diese Keramik-Ausstellung etwas geschmäcklerisch wirkt, spannt Federle damit auch einen Bogen von seinen Bildern zu mystischen Kulten und religiösen Traditionen.

Kann man aufgrund seiner eigenen Disposition in Fragen des Übersinnlichen auf ein solches Angebot einsteigen, dann kann man das Bregenzer Kunsthaus wie einen Tempel betreten und sich an der perfekten Inszenierung freuen. Hat man indessen ein gespaltenes Verhältnis zu Esoterischem, dann könnte man die Schau leicht als zu pathetisch empfinden. Und vielleicht kommt einem dann - quasi als Gegenreaktion auf soviel Emphase - Sigmar Polkes Gemälde mit der schwarzen Ecke in den Sinn, auf dem in Schreibmaschinenschrift steht: «Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!».

Helmut Federle: Personale. Kunsthaus Bregenz. Bis 6. Februar 2000. Katalog ATS 350.-.


Text erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung vom 18. Dezember 1999.