Samuel Herzog

Eine kulturelle Wellness-Zone

Das Zentrum Paul Klee in Schöngrün bei Bern wird eröffnet

Nach drei Jahren Bauzeit und einigem Palaver ist es nun endlich so weit: Ab kommendem Montag steht das Zentrum Paul Klee in Schöngrün bei Bern der Öffentlichkeit zur Verfügung - als Museum für Erwachsene und Kinder, als Ort musikalischer Freuden und wissenschaftlicher Studien, als architektonisches Monument.
Die Adresse ist Programm: «Monument im Fruchtland» heisst die Strasse, an der sich die drei glitzernden Bögen des Zentrums Paul Klee in den Himmel über dem Berner Stadtrand erheben. Der Strassenname geht auf ein Bild zurück, das Klee 1929 schuf. Das «ZPK», wie es die Berner bereits liebevoll nennen, ist wahrlich weit mehr als nur ein Museum für den 1940 gestorbenen Künstler: Ausgestattet mit einem grossen Auditorium, einem Saal für Seminarien, einem Kindermuseum, einem Atelier für Besucher, Bibliothek und Archiv, einem Restaurant mit Anspruch auf Michelin-Sterne usw., ist das Zentrum Paul Klee tatsächlich ein «Monument» mit Mehrzweckcharakter. Und das muss es auch sein, denn wer den Weg vom Stadtzentrum hierher unternimmt, der will auch was geboten haben. Für das in der Adresse genannte «Fruchtland» sorgt ein Biobauer, der rund um das Zentrum Gerste und andere Nützlichkeiten anbaut. Das sind geradezu paradiesische Zustände - da vergisst man fast schon die Autobahn, auf der sich wenige Meter vor dem Zentrum der Pendlerverkehr durch eine Schall- und Sichtgrube schiebt.

Vielfältiges Angebot

Und wer dann die breite Museumsstrasse betritt, an der sich auch noch Verführungen wie ein gut ausgebauter Shop, ein Café oder eine wohlsortierte Handbibliothek befinden, der vergisst auch das ganze Palaver, das die Entstehung dieses Hauses begleitet hat - von der Schenkung Livia Klee-Meyer im Jahre 1997 über die Schenkung von Land und Baugeld durch Maurice E. Müller und Martha Müller-Lüthi bis zu den ganzen Abstimmungen und Verträgen. Vergessen ist das Gerangel zwischen dem Kunstmuseum Bern und dem Zentrum Paul Klee um das Recht, über einzelne Bilder des Meisters zu verfügen. Vergessen ist auch der Umstand, dass das Zentrum Paul Klee die öffentliche Hand jährlich mehr als vier Millionen Franken kostet - Geld, das an anderer Stelle im Kulturbetrieb eingespart werden muss. Ja, in Renzo Pianos wie ein Pinselstrich in die Landschaft gelegten Wellen mag man auch nicht daran denken, dass das Budget vermutlich um etwa zwei Millionen zu knapp berechnet wurde, die Öffentlichkeit also wohl noch wesentlich tiefer in die Tasche wird greifen müssen. - Erst wird eröffnet, dann gerechnet, soll die Devise heute lauten. Und eine kulturelle Wellness-Zone wie dieses Zentrum Paul Klee bringt der Tourismusindustrie ja auch einiges ein.
Trotz allem, was hier sonst noch geboten wird, darf natürlich auch ein Raum für die Präsentation der Sammlung nicht fehlen, die über rund viertausend Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen aus allen Schaffensperioden des Künstlers verfügt. Dieser Sammlungsraum befindet sich an prominenter Stelle in der mittleren Welle. Hier hat Tilman Osterwold, der künstlerische Leiter des Zentrums Paul Klee, aus den Beständen der Sammlung und angereichert durch einige Leihgaben aus dem Kunstmuseum Bern eine Ausstellung zusammengestellt, die in einer sehr offenen Weise mehr oder weniger chronologisch durch das gesamte Werk von Paul Klee mäandert. Von Frühwerken wie der auf einen fünfteiligen Paravent gemalten «Aarelandschaft» (um 1900) über Aquarelle, die um 1914 im Zusammenhang mit der legendären Tunis-Reise entstanden, bis zu den Bildarchitekturen der zwanziger Jahre. Und weiter von den «pointillierten» Bildern der frühen dreissiger Jahre über surreale Landschaften und Zeichenbilder bis zum «Letzten Stillleben» von 1940, das auch als ein nicht ganz ironiefreier Rückblick auf viele Elemente von Klees Schaffen verstanden werden kann. Klee erscheint in dieser Ausstellung als ein Künstler, der wahrlich viele Dinge ausprobiert hat - und doch in allem seine eigene Handschrift spürbar machen konnte.
Eine ganz eigene Handschrift hat allerdings auch die Architektur dieses Zentrums Paul Klee - und man durfte gespannt sein, wie sich die kleinformatigen Werke des Künstlers in einer derart riesigen und auffälligen Halle präsentieren würden. Im ersten Moment zieht die Architektur denn auch tatsächlich alles Interesse auf sich: Unter den weit und elegant geschwungenen Stahlträgern hängt der Raum voller Schienen, Drähte und Lampen - so dass man sich fast wie unter einer Zirkuskuppel fühlt und jeden Moment mit dem Auftritt der Trapezkünstler rechnet. Mit der Zeit jedoch schiebt sich all dies mehr und mehr in den Hintergrund. Das mag sich dem Umstand verdanken, dass ein sehr schöner Rhythmus den Raum durchatmet. In der Mitte der Halle, unter der Weite der offen sichtbaren Bögen, hat Osterwold mehrheitlich Einzelbildern von Klee auf eigenen Wänden schier unendlich viel Platz gegeben. In den Randbereichen indes sind Segel herabgelassen, was intimere Raumzonen schafft - hier werden Arbeiten auf Papier gezeigt und Staffeln von stilistisch ähnlichen Werken. Dieses rhythmische Spiel von Einzelbild und Suite, von Velum und offen sichtbarer Raumkonstruktion schafft es tatsächlich, zwischen der extrovertierten Architektur und den introvertierten Werken von Klee zu vermitteln.

Unerwartete Konkurrenz

Erheblich mehr Konkurrenz als durch die Architektur erhalten die Werke von Klee derzeit allerdings durch eine didaktische Zone, die sich über die Längswände der Halle zieht. Hier wurden Zitate von Paul Klee, Fotos und Zeichnungen aus seinen Skizzenbüchern zu einer im Prinzip recht interessanten Einführung in Leben und Denken des Künstlers zusammengestellt. Die Skizzen wurden indes so stark vergrössert, dass sie den Originalen von Klee an diversen Stellen im wahrsten Sinne des Wortes die Schau stehlen. Auch der Abschluss der Halle, wo vier Schriftbilder von Rémy Zaugg das Unsichtbare thematisieren, ist noch nicht überzeugend gelöst - wirkt die Zone doch seltsam leer, beinahe unfertig.
Ganz und gar nicht leer wirkt hingegen die Schau im Untergeschoss der Mittelwelle, wo ein etwas kleinerer Raum für Wechselausstellungen zur Verfügung steht. Hier hat Osterwold unter dem Titel «Nulla dies sine linea» eine Ausstellung zu den letzten Schaffensjahren des Künstlers zusammengestellt, in denen dieser ganz besonders fleissig war. Zwölfhundert Werke sind allein im Jahr 1939 entstanden - eine Menge, die auch Klee selbst zu der Bemerkung veranlasst hat, das sein nun «aber doch eine Recordleistung». Und das könnte man auf eine bestimmte Weise ja wohl auch über das ihm gewidmete Zentrum sagen.



erschienen in NZZ, Samstag, 18.06.2005 / 45