Samuel Herzog

Aus dem Jenseits mehr oder weniger


Die Konzeptkunst hat sich in den sechziger Jahren wesentlich aus dem Wunsch heraus entwickelt, den Mythen und Mysterien der Moderne etwas Nüchternheit entgegenzusetzen. Gleichzeitig sollte bewiesen werden, dass nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Kunst logisch zu argumentieren verstand - egal ob das dann ungefähr psychologisch, soziologisch, biologisch oder anthropologisch war. Dass Konzeptkunst aber nicht immer auf Nüchternheit und Entmystifizierung aus ist, illustriert derzeit die Ausstellung von Susan Hiller in der Kunsthalle Basel. Die Künstlerin nutzt konzeptuelle Methoden wie das Recherchieren, das Sammeln von Materialien und das kunstvolle Arrangieren von kulturellen Versatzstücken mehrheitlich dazu, uns an unheimliche Phänomene heranzuführen, uns mit Grenzbereichen zu konfrontieren, dem Mysteriösen, manchmal auch Esoterischen Raum zu verschaffen. In der Installation «The Clinic» von 2004 zum Beispiel, einem der jüngsten Werke in dieser Ausstellung, lässt sie Menschen mit Nahtoderfahrungen zu Wort kommen. Aus kleinen Lautsprechern, die hinter Schlitzen in der Wand verborgen sind, dringen Stimmen in den verschiedensten Sprachen - so leise, dass man sein Ohr an die Wand legen muss, um das Gesprochene zu verstehen. Das führt zu eigenartigen Bildern - «kleben» die Besucher doch konzentriert und in leicht gebückter Haltung an der Wand, als lauschten sie auf etwas, das von jenseits der Mauer zu ihnen dringt. Manchmal schwellen diese Stimmen aus dem Jenseits zu einem unheimlichen, raumfüllenden Chor an - um nach wenigen Sekunden wieder in den Flüsterton zurückzukehren. In «Witness» erzählen Menschen in den verschiedensten Sprachen von Dingen, die sie gesehen oder gehört haben, von Heimsuchungen, kleinen Wundern und Visionen aller Art. Und auch die «PSI-Girls», eine kunstvoll choreografierte Installation aus riesigen Videoprojektionen, werden ihrem Namen durchaus gerecht: Für diese Arbeit hat Hiller fünf Ausschnitte aus Hollywoodfilmen verwendet, in denen Mädchen oder Frauen mit übernatürlichen Fähigkeiten die Hauptrolle spielen - die farblich bearbeiteten Bilder werden vom rhythmischen Klatschen eines Kirchenchors untermalt, was ihre unheimlich-sublime Poesie noch verstärkt.


Susan Hiller. Kunsthalle Basel. Bis 27. März. Katalog.


erschienen in NZZ, Samstag, 12.03.2005 / 46