Samuel Herzog

«O heilige Hosen»

Francisco de Goya im Kunsthistorischen Museum Wien

Was denkt wohl ein japanischer Tourist, wenn er vor einer Zeichnung von Francisco de Goya (1746-1828) steht, auf der ein Mönch in Kutte demutsvoll eine Hose gegen den Himmel stemmt? Und was kommt ihm in den Sinn, wenn er liest, dass die kleine Federzeichnung von 1808/14 auch noch «O holy trousers» heisst? Japaner gibt es derzeit viele in Wien, wie immer. Goyas auch, und das wie noch nie. Die Goyas und die Japaner treffen sich dieser Tage im Kunsthistorischen Museum, das rund siebzig Gemälde sowie zahlreiche Zeichnungen, Radierungen, Lithographien und Tapisserien des spanischen Malers zu einer Ausstellung vereint hat. Die meisten Werke stammen aus dem Prado, sie werden durch Leihgaben aus privaten Sammlungen ergänzt - die Schau ist in Kollaboration mit Madrid und mit der Berliner Nationalgalerie (NZZ 15. 07. 05) entstanden.
In einem ersten Raum führt Kuratorin Manuela B. Mena Marqués Rosenthal hauptsächlich Porträts vor - etwa das Bildnis des «Manuel Osorio Manrique de Zúñiga» von 1790/92. In einem leuchtend roten Gewand steht der kleine Knabe da. An einer Schnur hält er eine dressierte Elster, die ein vom Künstler signiertes Kärtchen zu seinen Füssen deponiert. Links von dem Knaben steht ein Käfig mit Stieglitzen, rechts hocken drei Katzen in gespannter Haltung da - wohl haben sie Lust, sich auf einen der appetitlichen Vögel zu stürzen. Auf wundersame Weise scheint der Knabe alles unter seiner Kontrolle zu haben - und doch ist die Stimmung eher bedrohlich.

Zuchtergebnisse

Das Unheimliche rührt einerseits wohl von dem etwas überdimensionierten Bildraum her, in dem der Knabe ziemlich verloren wirkt - ganz als habe er ein Format zu füllen, dem er noch nicht gewachsen ist. Ausserdem wirkt alles seltsam angehalten: Die Katzen sind zu Salzsäulen erstarrt, die Stieglitze scheinen am Boden ihres Käfigs festgeschraubt, und auch der Knabe selbst wirkt fast, als habe man ihn mit einem Betablocker zur Ruhe gebracht. Auf jeden Fall führt er die Resultate seiner Dressuranstrengungen ohne sichtbare Beteiligung vor - was auch seinen Auftritt selbst wie das Ergebnis einer adeligen Zucht erscheinen lässt.
Vorbei an Genreszenen wie der «Eberjagd» von 1775 oder dem «Verletzten Maurer» von 1786/87 gelangt man in die Räume mit den Zeichnungen, die einen gewichtigen Teil der Schau ausmachen und wie ein Riegel zwischen die Säle mit den Gemälden geschoben sind. Hier begegnen wir den «Caprichos», den «Schrecken des Krieges» und Zeichnungen zur Inquisition - all den Blättern von Tod, Verderben und Wahnsinn, die zusammen mit den Pinturas Negras wesentlich dazu beigetragen haben, dass Goya aus der Perspektive des zwanzigsten Jahrhunderts heraus als ein «moderner» Künstler wahrgenommen wurde. Da gibt es berühmte Blätter wie den «Garrottierten» (1770/80) oder «Die Hexenmeisterin erteilt Lektionen» (1796/98) zu sehen - und wir zweifeln keine Sekunde daran, dass sich der Schreiber des Gerichts mit seinen Fledermausohren «Gegen das allgemeine Wohl» (1812-15/23) durchsetzen wird. Natürlich fehlt auch die Zeichnung nicht, die Goya als Titel für seine 83 «Caprichos» geschaffen hat: «Der Traum / Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor» zeigt den an seinem Arbeitstisch eingenickten Künstler und rund um ihn herum lauter Monster der Dummheit und des Lasters, Fledermäuse, Hunde, Esel und Luchs. Nebst diesen berühmten Blättern gibt es auch weniger bekannte Zeichnungen zu entdecken - die erwähnte «Heilige Hose» etwa oder eine vermenschlichte Darstellung der in jenen Jahren erfundenen Technik des Telegrafen.
Der folgende Raum ist Goyas Tapisserien und den dazugehörigen Entwürfen gewidmet. Nebst den zwei Katzen, die sich auf einem Mauerrücken böse anfauchen, stellen hier sicher «Der Hampelmann» (1791/92) und der zauberhafte «Sonnenschirm» (1777) Höhepunkte des vergnüglichen Fürstenlebens dar.

Hexen und Teufel

Dass man kein Japaner zu sein braucht, um sich über Goya zu wundern, erfährt man auch eindrücklich im letzten Raum der Schau: Hier geht es wieder um Hexen und Teufel, um Krankheit, Wahnsinn und Tod. Da versucht ein Pfaffe, «Bezaubert durch Kraft», sein Lebenslicht vor dem Auslöschen zu bewahren - und merkt nicht, dass er längst Öl in das Feuer des Teufels giesst. Dort geben sich Wahnsinnige in einem düsteren Kerker («Irrenhaus», 1808/14) in stumpfer Selbstverlorenheit ihren bizarren Beschäftigungen hin, warten Pestkranke in allen Stadien der Hoffnungslosigkeit auf den Tod («Hospital für Pestkranke», 1798-1800). Hexen fliegen mit Zauberhüten durch die Luft und raufen sich zu grusligen Beschwörungen zusammen, verzweifelte Mütter strecken dem Teufel in Bocksgestalt ihre kranken Kinder hin.
Wie vielfältig Goya war, illustrieren hier auch Stillleben, Szenen aus den Napoleonischen Kriegen und die populären Stierkampfbilder, mit denen der Künstler in späteren Jahren seine finanzielle Situation zu verbessern suchte. Was auch immer Goya malte, stets wusste er in einem Bild mehrere Geschichten unterzubringen - in raffinierten Andeutungen meist, die das Lesen seiner Szenen zu einem wahren Vergnügen machen. Stellvertretend sei hier das bizarre Gemälde des «Blindenführers von Tormes» (1808/10) erwähnt. Der junge Helfer hatte den Auftrag, für einen blinden Mann eine Wurst zu braten - ass diese jedoch selber auf. In Goyas Darstellung sehen wir, wie der Blinde dem frechen Knaben tastend zwei Finger in den Rachen steckt - damit dieser die Wurst wieder ausspucke. In seiner wütenden Gier merkt der Betrogene nicht, dass sein Gewand wohl in jedem Moment Feuer fangen wird. Und dann, «O heilige Hosen», geht es hier wohl gleich wirklich um die Wurst.

Francisco de Goya (1746-1828). Kunsthistorisches Museum Wien. Bis 8. Januar 2006. Katalog _ 25.-.


erschienen in NZZ, Dienstag, 15.11.2005 / 41