Samuel Herzog

Auf Kurs und kein Eisberg in Sicht

Die Sanierung des Kunsthauses Zürich geht zu Ende

Nach vier Jahren Sanierung wird das Kunsthaus im November auch noch die letzten Ausstellungsräume wieder fürs Publikum öffnen. Schon jetzt präsentiert die Institution grosse Teile ihrer Schätze in elegant und wohnlich restaurierten Kabinetten und Sälen.
Das Kunsthaus, Zürichs ehrwürdige Kunstfregatte, ist wieder flott. Sicher hat Kapitän Christoph Becker das Haus durch vier Sanierungsjahre gesteuert - sekundiert von einer Mannschaft, die agil durch die Wanten des Betriebs zu turnen verstand. Der Prozess verlief mustergültig und weitgehend aufregungslos - selbst in Momenten, da sich kleinere Wellen der Kritik am Bugspriet brachen: Mehr Spannung wurde von einzelnen Medien gefordert, eine Fahrt etwas härter am Wind der aktuellen Diskurse. Allein die Besatzung liess sich von solcher Gischt nicht aus der Ruhe bringen. Zielsicher verfolgte sie ihren Kurs. Und die Zahlen und Fakten geben ihr Recht: Das Sanierungsbudget von 54 Millionen Franken wurde ebenso eingehalten wie der Zeitplan - genau vier Jahre nach Beginn der Gesamtsanierung im August 2001 gab die Bauherrschaft Stiftung Zürcher Kunsthaus das «älteste Schweizer Ausstellungsinstitut», wie es in den Presseunterlagen heisst, der Zürcher Kunstgesellschaft «auf höchstem Stand renoviert zurück».

Drei Gebäudeteile

Spricht man vom Kunsthaus, so sind eigentlich drei Gebäudekomplexe gemeint, die sich um einen in ihrer Mitte gelegenen Eingangsbereich gruppieren: der 1910 und 1925 von Karl Moser in Etappen realisierte Hauptbau zur linken Seite des Eingangs; der 1958 eröffnete, von den Gebrüdern Pfister geplante und von Emil G. Bührle finanzierte Ausstellungssaal rechts des Entrées (der von den Zürchern so genannte «Bührle-Saal»); und die 1975 von Erwin Müller errichteten Ausstellungsgeschosse zwischen den zwei älteren Bauten.
Da Christoph Becker das Haus während der vier Sanierungsjahre für das Publikum zugänglich halten musste, erfolgte die Renovation der einzelnen Partien in sich überschneidenden Etappen. Sukzessive wurden in den letzten Jahren einzelne Bereiche wieder eröffnet. Zunächst bekam im Sommer 2002 die Giacometti-Sammlung ein Domizil in den renovierten Parterreräumen des Moser-Baus. Im Herbst des folgenden Jahres wurde der grosse, frei unterteilbare «Bührle-Saal» mit komplett erneuertem Glasdach und modernisierter Haustechnik wieder eröffnet - von diesem Zeitpunkt an konnte das Kunsthaus wieder grössere Wechselausstellungen realisieren.
Im Dezember 2004 wurde die neue Eingangshalle eingeweiht: ein luftiger, mit seiner fein strukturierenden Beleuchtung überaus eleganter Pfeilersaal - eine Art Lounge, in der Kasse, Café und Shop ein unauffälliges Dasein führen. Im Mai und im August dieses Jahres dann wurden die restlichen Sammlungsbereiche im Moser-Bau wieder eröffnet. Ein Hauptziel der Renovation war es hier gewesen, den Räumen wieder ihr ursprüngliches Gesicht zu geben. Mit Hilfe von historischen Fotografien wurden die Säle und Kabinette sowie das imposante, nach allen Seiten hin vermittelnde Treppenhaus in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Die gemalten Friese und goldenen Ornamente wurden nach alten Vorlagen rekonstruiert, die kostbare Palisanderverkleidung der Heizkörper von ihrer späteren Bemalung befreit, andere Bereiche mit Hilfe historischer Techniken im Geist des frühen zwanzigsten Jahrhunderts gestaltet. Die Atmosphäre in den Räumen wird insbesondere auch von dem schwarzweissen Teppich bestimmt, der, originalen Vorlagen folgend, nachgewoben wurde und - wie eine hodlersche Grundspiegelung - auf die Kassettierung der Decke antwortet. Dazu passen auch die nach Entwürfen von Moser gebauten Originalmöbel. Sie wurden so stabil restauriert, dass sich das Publikum beim Betrachten der Kunstwerke nun gar wieder in diesen Sesseln und Sofas räkeln darf. Überhaupt erinnert die Stimmung in diesem Moser-Bau immer wieder an die eines grossen Salons, in den man sich zur gepflegten Rekreation für eine Weile zurückziehen mag.
Nebst diesen offensichtlichen Verbesserungen stehen die für das Auge unsichtbaren Massnahmen, die rund zwei Drittel der Bausumme verschlungen haben. So wurde die Erdbebensicherheit des Gebäudes erhöht, eine Fluchttreppe eingezogen und eine Haustechnik eingebaut, die den Bildern (und Besuchern) optimalen Schutz und beste klimatische Bedingungen bietet. Wesentliche Verbesserungen wurden auch auf der Ebene der Beleuchtung erzielt - verfügen doch die meisten der Räume wieder über Tageslicht, das entweder von oben oder von der Seite her einfällt. Ausserdem wurden ein Lift und Rampen konstruiert, die den ganzen Bau rollstuhlgängig machen.
Im Dezember dieses Jahres werden dann schliesslich auch noch die sanierten Räume im Müller-Bau wieder eröffnet. Hier wurden kleinteilige Kabinette zu grösseren Raumeinheiten zusammengefasst und diverse Einbauten entfernt. Besonders auffallen wird auch hier wohl der Boden, der früher aus Beton war und nun von einem neuen Holzparkett verkleidet wird. Wer künftig vom Heimplatz her das Museum betritt, wird durch das Foyer, den Bookshop und das zentrale Treppenhaus des Müller-Baus hindurch bis zum Hirschengraben sehen. Damit wird das Museum optisch stärker zu einem Teil der Stadt. Dem wird auch der Garten des Museums entsprechen, der sich nach Entfernung des Krans schwellenlos zum Heimplatz hin öffnen wird. Die Wiedereinweihung auch noch der letzten Teile des Kunsthauses wird am 26. November mit einem Tag der offenen Tür gefeiert.

Neue Präsentation

Nebst all den baulichen Verbesserungen und Renovationen betrifft die grösste Veränderung die Präsentation der Sammlung. Früher wurden die Schätze des Kunsthauses zu einem grossen Teil im Kontext der einzelnen Stiftungen, Legate und Donationen gezeigt. Neu werden sie nun durchgängig nach kunsthistorischen Gesichtspunkten präsentiert. Für den Besucher ist das zweifellos ein Gewinn - nach Aussage von Becker waren sorgfältige Verhandlungen mit den einzelnen Stiftungsräten nötig, diesen wesentlichen Schritt zu ermöglichen.
Im zentralen Oberlichtsaal im ersten Obergeschoss des Moser-Baus hat Ferdinand Hodler einen fulminanten Auftritt - in den umgebenden Räumen gibt es Schweizer Kunst von Hans Asper, Rudolf Koller und Robert Zünd zu sehen. In den kleineren Kabinetten auf der anderen Seite des Treppenhauses werden etwa die kostbaren Holztafeln der Nelkenmeister präsentiert. Vorbei an Zürichs Konrad Witz und ein bisschen italienischer Renaissance treten wir ein in das Zeitalter des Barock und der Italiener des 17. Jahrhunderts. Einige Schritte weiter leuchten uns auf den dunkelroten Wänden die Stillleben der Holländer entgegen. Der Hauptsaal im zweiten Obergeschoss wird von Segantini, Munch und Liebermann bestimmt. Es folgen die Impressionisten, die Fauves, die Postimpressionisten und einige Expressionisten (aus der Sammlung Lange). Manches Stelldichein ist in den eher kleinen Räumen notgedrungenermassen kühn - etwa die Begegnung von Oskar Kokoschka und Marc Chagall. Einen Höhepunkt stellt in diesem zweiten Obergeschoss sicher der Bär-Saal dar, wo die grossen Seerosen-Panneaux von Claude Monet mit den von der Bührle-Stiftung geliehenen Nymphéas und einigen Plastiken von Rodin zu einem stimmungsvollen Ensemble zusammengeführt wurden.
Eine kunsthistorisch reizvolle Überraschung bietet derzeit die Loggia. Bei der Renovation kam hier die ursprüngliche Lisenen-Gliederung wieder zum Vorschein - unter einer Gipsschicht, die Moser selbst 1925 über seine Gestaltung von 1910 hatte pflastern lassen. Zu Beginn sollte die Rückwand dieser Loggia figurativ ausgemalt werden. Cuno Amiet, der sich damals mit dem Motiv der Apfelernte beschäftigte, schlug eine Reihe von Gartenbildern vor. Zur Ausführung kam es nicht - das Kunsthaus kann jedoch derzeit vor Ort wenigstens eine Tafel mit einer Darstellung der «Apfelernte» von 1914 zeigen. Das mit viel Schwung und grosser Freiheit gemalte Bild passt wie eine Faust auf das Auge dieser späten Jugendstildekoration - und doch macht diese seltsame Begegnung auch die ganz unterschiedlichen ästhetischen Tendenzen sichtbar, die jene Frühzeit der Moderne bestimmt haben.
Wenn Ende November dann auch noch der Müller-Bau wieder eröffnet wird, wird die Geschichte der Moderne über Cy Twombly, Mondrian, die amerikanische Malerei und die Zürcher Konkreten bis in die Gegenwart hinein weitergeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt wird sich auch zeigen, wie sich die Neuerwerbungen der letzten fünf Jahre im Gesamtkontext der Sammlung präsentieren. Was dann für die weitere Zukunft ins Blickfeld rückt, betrifft die geplante Erweiterung des Kunsthauses sowie die Integration der Sammlung Bührle.
So reibungslos diese Sanierung über die Bühne ging, so sicher und gerade das Kunsthaus seinen Kurs fährt, so elegant und wohnlich sich die ganzen Räume heute präsentieren - für die Zukunft darf man sich jetzt tatsächlich dann und wann einen kleinen Abstecher in Kunstgewässer wünschen, die von den Kartographen des Betriebs noch nicht bis in die letzten Winkel erforscht worden sind. Eine derart flotte Fregatte nämlich würde wohl auch einen gelegentlichen Zusammenstoss mit einem Eisberg oder das Schlingern über einer Sandbank problemlos verkraften. In diesem Sinne: Schiff ahoi!


erschienen in NZZ, Freitag, 09.09.2005 / 43