Samuel Herzog

Schneewittchen, Rotkäppchen und Frau Holle

«A kind of magic» - Wahlverwandlungen im Kunstmuseum Luzern

Wo die Kunst haust, wohnt die Verwandlung nicht weit. Wenn ein Aquarellist seinen Heuhaufen aufs Büttenpapier pinselt, wenn ein Plastiker den Körper seiner Geliebten in Ton modelliert, wenn ein Fotograf den Stempel einer Orchidee in das Reich der Pixel holt - immer hat das auch mit Verwandlung zu tun. Und dann gibt es da auch noch all jene Werke, in denen dieser Moment der Verwandlung besonders stark in den Vordergrund tritt, in denen die Verwandlung als «eine Art von Magie» in Szene gesetzt ist.
Um solche Arbeiten geht es derzeit in einer Ausstellung im Kunstmuseum Luzern, die unter dem Titel «a kind of magic - Die Kunst des Verwandelns» ein Dutzend Künstlerinnen und Künstler in die Manege führt. Da lässt uns Carsten Höller mit seinem riesigen Apparat die Flugtauglichkeit des Seins erfahren. Bill Viola führt uns mit «The Crossing» das Wunder des Feuers und das (elektronisch sicher eingefasste) Mirakel des Wassers vor. Victorine Müller beweist, was für luftige Tierchen Elefanten sind - und Xie Nanxing demonstriert mit seinen grossformatigen Malereien die Kunstwürdigkeit eines Motivs, das die Stilllebenmalerei bisher sträflich ignoriert hat: das tiefgefrorene Hühnchen.
Viele der hier versammelten Werke wirken auf einen ersten Blick luftig und leicht. Erst bei genauerem Hinsehen erhält manches eine düstere Note. So entdecken wir etwa mitten auf der weiss gerüschten Brust der Braut, die in der Fotoserie «Bulletproofglass» von Rosemary Laing durch den australischen Luftraum fliegt, die blutigen Spuren vermutlich einer Pistolenkugel. Unheimlich wirken auch die grossformatigen Zeichnungen, in denen Kiki Smith die fiesen Wölfe und die bösen Rotkäppchen an einem Märchenstrick ziehen lässt.
Um ein anderes Märchen geht es in der Videoarbeit «Snow White» von Berni Searle. Nackt und unbewegt sitzt die Südafrikanerin in einem Scheinwerferkegel da. Nach einigen Sekunden beginnt lautlos Mehl über ihren Körper zu rieseln - wie weisser Pulverschnee, der ihre dunkle Haut weisser und weisser erscheinen lässt. Schliesslich küsst sie sich sozusagen selber wach, indem sie die Agonie der Berieselung durch eine produktive Aktion unterbricht - und aus dem Mehl einen Brotlaib formt.
Dass auch das Kochen mit oft magischer Verwandlung zu tun hat, weiss auch Nicoletta Stalder, die gerne als punkige Hauswirtschaftslehrerin mit allerlei häuslichen Requisiten durch die Kunstwelt turnt. In Luzern zeigt auch sie eine Arbeit, die an ein Märchen erinnert. In ihrem Video mit dem Titel «What Goes Around Comes Around» sehen wir sie als Frau Holle am Fenster stehen und aus einem Kissen welke Blättern über der Welt ausschütteln. Auf einem zweiten Bild liegt sie da und lässt sich von ebendiesen Blättern berieseln. Eine Art Selbstverherbstung, die daran erinnert, dass nebst der Kunst ja auch die Natur manch <magische> Verwandlung zu bieten hat - in diesen letzten Sommertagen vielleicht mehr noch als gewöhnlich.
Samuel Herzog
A kind of magic - Die Kunst des Verwandelns. Kunstmuseum Luzern. Bis 27. November. Katalog (in Vorbereitung) Fr. 48.-.





erschienen in NZZ, Feuilleton 02.09.2005 / 42