Samuel Herzog

The Gates in the Box

Christo und Jeanne-Claude in Zürich und Lugano

Holderbank hatte es, Riehen hatte es ganz massiv, Bern zuallererst - und jetzt hat es auch noch Zürich erwischt: das grosse Christo-und-Jeanne-Claude-Fieber. Für Impfungen ist es bereits zu spät, denn das Virus tritt in den verschiedensten Verhüllungen auf. Im vorliegenden Fall bricht es gar mit Hilfe einer helvetischen Grossbank in die Publikumsreihen ein. Aus Anlass ihres 150-jährigen Bestehens nämlich macht die Credit Suisse sich selbst und der Stadt Zürich eine Christo-und-Jeanne-Claude-Ausstellung sowie diverse Parallelanlässe zum Geschenk (NZZ 15. 3. 06). Inszeniert wird das Grosskunstereignis mitten in der Stadt, auf dem Sechseläutenplatz. Ab heute ist es für das Publikum geöffnet.   
Das Projekt, das hier vorgestellt wird, heisst nicht «The Box», wie man angesichts der Architektur wohl annehmen könnte, sondern «The Gates». In zwei riesigen, acht Meter hohen Räumen sowie auf einer rundum geführten Galerie wird das Projekt, das vor Jahresfrist in New York für Aufsehen sorgte (NZZ 19. 1. 05 und 14. 2. 05), in all seinen Facetten dokumentiert. Fotos und Modelle lassen erahnen, wie der Central Park mit den zahllosen, orange beflaggten Toren wohl ausgesehen hat. Dokumente aller Art geben Einblick in die schwierige und langwierige Entstehungsgeschichte. Technische Pläne sowie Materialproben schliesslich lassen uns «The Gates» auch haptisch erkunden. Was immer man über das Projekt erfahren wollte - hier erhält man die Antwort auf seine gestellten und noch ungestellten Fragen.
   Das Christo-und-Jeanne-Claude-Fieber hat allerdings auch bereits südlich der Alpen zugeschlagen - in Lugano nämlich, wo das Museo d'Arte Moderna dem Künstlerpaar eine ansehnliche Retrospektive widmet. Hier gibt es die Verpackungen von kleinen Gegenständen wie Magazinen, Möbeln und Gerätschaften zu sehen, mit denen Christo schon in den sechziger Jahren bekannt geworden ist - auch die verhängten Schaufenster und die utopischen Verhüllungsprojekte der siebziger Jahre fehlen nicht. Sodann werden mittels Zeichnungen, Fotos und Modellen sämtliche Grossprojekte ausführlich präsentiert: die verhüllte Kunsthalle Bern (1968), die verpackte Küste in Australien (1969), der verhüllte Pont Neuf in Paris (1985), der eingepackte Berliner Reichstag (1995) und schliesslich auch «The Gates» in New York. In Lugano wie in Zürich wird auch ein Licht auf das nächste Unternehmen des Künstlerpaares vorausgeworfen: Es heisst «Over the River», soll in Colorado realisiert werden und stellt eine Art Himmel für Schlauchbootfahrer dar. Selbst auf dem Wasserweg ist diesem Fieber also wohl nicht zu entkommen.



erschienen in NZZ, Samstag, 18.03.2006 / 48

   Christo & Jeanne-Claude: The Gates. Sechseläutenplatz, Zürich. Bis 2. April 2006. - Christo e Jeanne-Claude. Museo d'Arte Moderna, Lugano. Bis 18. Juni 2006.