Samuel Herzog

Denkmal des Trotzes und des Scheiterns


Die Ordnung der Dinge, das ist es wohl, was wir ein Leben lang suchen. Wo tun wir den Vater hin und wo die Mutter, wie versorgen wir die Frau im Mann, und was fangen wir mit den Trieben an. Wer aufräumt, der merkt, dass alles hin zum Chaos drängt, dass sich die Dinge nur schwer auseinanderhalten lassen. Diese Schwierigkeit des Auseinanderhaltens, das ist das Thema der Kunst von Tomoko Takahashi. Jahr für Jahr und Ausstellung für Ausstellung inszeniert die zierliche Japanerin Ordnungen und deren latente Absurdität. Ihr Ausgangsmaterial sind Anhäufungen von verhältnismässig banalen Dingen. Für ihre derzeitige Ausstellung in Bern zum Beispiel war sie in den städtischen Verkehrsbetrieben, in Schulhäusern, bei der Kehrichtverbrennung und in einem Spielzeugladen. Was sie dort mitnehmen konnte, das hat sie in der Kunsthalle arrangiert: Da türmen sich Verkehrszeichen über Stühlen und Schlitten, hängen Abschrankungen wie Vögel in der Luft. In einem Raum ist Spielzeug flächendeckend über den Boden ausgebreitet, da und dort rauschen alte Radiogeräte, Fernseher oder Plattenspieler vor sich hin. Tomoko Takahashi hat während des Aufbaus in der Kunsthalle geschlafen, um ihre Inszenierung möglichst eng mit der eigenen Person, dem eigenen Körper und den eigenen Träumen zu verknüpfen. Entstanden ist eine Art von borniertem Halb-Chaos, das viel von einem unter elterlichem Zwang mit Trotz «aufgeräumten» Kinderzimmer hat - die Dinge haben ihren Platz, doch der ist absurd und unverständlich. So präsentiert sich die Berner Installation als ein Denkmal des kindlichen Widerstandes gegen eine von der erwachsenen Welt verlangte Aufgeräumtheit - gleichzeitig können wir diese Anhäufung aber auch begreifen als einen symbolischen Scheiter-Haufen des Versuchs, für sich selbst eine Ordnung der Dinge zu finden.


Tomoko Takahashi. Kunsthalle Bern. Bis 8. Dezember. Katalog Fr. 36.-.


© Pro Litteris
Auf der Suche nach dem verlorenen Zentrum: Tomoko Takahashi in der Kunsthalle Bern. (Bild her.)



erschienen in NZZ, FEUILLETON, 23. November 2002 Nr. 273 68