Samuel Herzog

Grosses Brimborium


Das Studio ist der klassische Ort, wo der Künstler seine Kunst entstehen lässt. Was aber, wenn ihm an diesem Ort der Ideen nichts einfällt? Genau das ist Bruce Nauman passiert: «Ich sass im Atelier und war frustriert, weil mir nichts Neues einfiel», schreibt er in einem Begleittext zu seiner neuesten Arbeit. Dann aber fasste er den Entschluss, den fehlenden Einfall selbst zur Idee, zum Thema seines Kunstwerks zu machen. Da er gerade «eine Videokamera mit Infrarotfunktion im Atelier hatte», brachte er diese nächtens in Position und legte sich schlafen. Die Studioarbeit überliess er seiner Katze und den Mäusen, die dann und wann durchs Dekor huschen. Dieses Prozedere wiederholte er einige Male und setze schliesslich aus dem so gewonnenen Material eine Videoinstallation mit dem Titel «Mapping the Studio» zusammen. Eine Version 2 dieser Arbeit mit eingefärbten und teilweise auf dem Kopf stehenden Bildern ist derzeit im Basler Museum für Gegenwartskunst zu sehen - im Rahmen einer Ausstellung, die, gemessen an den Nauman-Beständen der Emanuel-Hoffmann-Stiftung, insgesamt erstaunlich bescheiden bestückt ist. Die sieben wandfüllenden Videoprojektionen von «Mapping the Studio» sind in einem Parterreraum eingerichtet, dessen Grösse Naumans realem Atelier in New Mexico nachempfunden ist. Also treten wir quasi an der Stelle des Künstlers in dessen Studio ein. In seine Schöpferhaut aber schlüpfen wir nicht, denn die eingefärbten Bilder und ihre Projektion auf dem Kopf lassen den ganzen, sechs Stunden dauernden Spuk deutlich genug als die Arbeit eines anderen, als seine «Kunst» erkennen. Viele Fragen stellen sich gar nicht erst: etwa die, ob das, was uns in diesem Studio an der Stelle des Künstlers einfällt, ebenfalls Kunst ist oder nicht. Im Gegenteil: Durch die diversen Manipulationen der Bilder verwandelt Nauman die geheimnislose Situation des fehlenden Einfalls, die uns hätte herausfordern können, in ein grosses Brimborium rund um die künstlerische Aura und die Geheimnisse des Schöpfungsortes. Nauman hat also Recht: Mit «Mapping the Studio» ist ihm wirklich «nichts Neues» eingefallen.

Bruce Nauman - Mapping the Studio. Museum für Gegenwartskunst, Basel. Bis 26. Januar. Katalog Fr. 32.-.


erschienen in NZZ, FEUILLETON, 11. Januar 2003 Nr. 8 60