Samuel Herzog

Grosse Dekoration aus dem Zauberreich

«Monets Garten» - eine Ausstellung im Kunsthaus Zürich (2004)

Claude Monet hat einen beträchtlichen Teil seines Lebens in Gärten verbracht und einige dieser Anlagen auch selbst entworfen. «Monets Garten» heisst das Thema einer Ausstellung im Kunsthaus Zürich, die dem Publikum in diesen trüben Herbsttagen etwas sommerlich warmes Licht und manch blumigen Duft verspricht.

Bei Claude Monet hat die Natur ihre Fassung verloren. Zwar erkennen wir noch eine Seerose da, den Ast einer Trauerweide dort, auch ahnen wir den Unterschied zwischen einer Glyzinie und einer Lilie, zwischen Malve und Orchidee - doch haben die Dinge ihre Ganzheit eingebüsst, ihre Kontur. Angesichts einer solchen Charakteristik, die durchaus typisch ist für die impressionistische Malweise, wirkt der Ansatz der derzeitigen Monet-Schau im Zürcher Kunsthaus fast ein wenig irritierend - setzt die Ausstellung doch eher auf den Duft, auf die Nase.
In der an Gerüchen ebenso wie an Farben eher armen November-Zeit sollen die von vorweihnächtlichen Stimmungstiefs gepeinigten Kunstfreunde im Zürcher Kunsthaus noch einmal in den Sommer zurückblicken, noch einmal von seinen Lichtern verzaubert werden und sich so an seine Düfte erinnern. Ja, für die Kunsthausnacht am 13. November wird gar eine Duft-Bar aufgebaut: Da können sich die Sommersüchtigen dann Proben von neun verschiedenen Blumendüften auf kleinen Papierstreifen servieren lassen - und los geht die Suche nach einem Bild, das zum Parfum von «weisser Pfingstrose» oder «Apfelblüte» passt. Dabei führt der Weg der Nase bei Monet eigentlich in die falsche Richtung. Geht es beim Riechen doch eher darum, aus einer Unmenge gleichzeitiger Düfte einzelne zu isolieren und vielleicht mit einem Begriff zu verbinden.

Elegant und fröhlich

«Monets Garten» heisst das Generalthema, dem entlang sich die Zürcher Schau mit ihren mehr als siebzig Bildern entwickelt. Den Auftakt bilden einige frühe Werke der sechziger Jahre, die in Parks oder in der freien Natur entstanden sind, wie zum Beispiel das «Déjeuner sur l'herbe» von 1865 oder das Bildnis von Victor Jacquemont mit Sonnenschirm und Hund aus dem Jahr 1867. Das Thema «Garten» tritt dann mit dem Jahr 1871 deutlicher in den Vordergrund, als sich die Familie Monet nach ihrer Rückkehr aus dem Londoner Exil in einem Haus in Argenteuil niederlässt. Hier entstehen Werke wie «Camille au jardin, avec Jean et sa bonne» (1873) oder «Camille Monet et un enfant au jardin» (1875) - entspannte Szenerien, in denen der Garten eher wie ein grosser Salon erscheint, in dem man sich regelmässig aufhält und allerlei häuslichen Tätigkeiten nachgeht. Flüssig hingemalt, elegant und fröhlich, lassen die Bilder nichts von der Geldnot ahnen, die in Monets Briefen jener Zeit immer wieder im Vordergrund steht. Monet hat nicht sein Leben gemalt, sondern Szenen eines modernen Lebens für ein modernes, städtisches Publikum.
Im Herbst 1878 zieht die Familie Monet nach Vétheuil um. Auch zu dem Haus am Rand dieses kleinen Seine-Dorfes gehört ein grosser Garten, in dem Monet fleissig malt - nicht zuletzt wohl auch in Ermangelung geeigneter Atelierräume. Das bekannteste Bild aus jener Zeit ist vielleicht «Le jardin de Monet à Vétheuil» (1880): Vom Ufer der Seine her blicken wir auf eine steile Treppe, die zum Haus des Künstlers hinaufführt. Der Weg wird von mächtigen Sonnenblumen gesäumt und von Blumentöpfen aus blauer Fayence flankiert. Das Ganze wirkt ein wenig wie eine Theaterkulisse - zumal drei Kinder des Künstlers auf verschiedenen Stufen der Treppe wie Puppen aufgestellt sind.
Nach einem kurzen Intermezzo in Poissy zieht die Familie Monet 1883 nach Giverny. Monets materielle Verhältnisse haben sich seit dem siebten Salon des Indépendants im März 1882 zu bessern begonnen. 1886 veranstaltet der Kunsthändler Paul Durand-Ruel in New York eine erste Impressionisten-Ausstellung, 1888 eröffnet er dort eine Galerie. Die Amerikaner interessieren sich und fangen an zu kaufen - fast zeitgleich mit dem europäischen Publikum. 1890 kann Monet das stattliche Anwesen erstehen, in dem er bis dahin zur Miete gewohnt hat. Schon vorher muss er die Gestaltung des grossen Gartens unternommen haben. 1893 kauft er südlich seines Grundstücks eine Parzelle hinzu, wo nun der Wassergarten entsteht - 1894 bestellt der Künstler bei der Gärtnerei Latour-Marliac eine ansehnliche Menge Seerosen. All dies ist in der Zürcher Ausstellung ausführlich dokumentiert - ja, das Kunsthaus hat sogar die Zusammenarbeit mit Seerosen-Spezialisten gesucht und die Geschichte des Gartens in Giverny akribisch recherchiert. Die ersten Bilder dieses Teiches entstehen in den Jahren ab 1897. Zunächst interessiert sich Monet durchaus für die Details dieser neuartigen Pflanzen - zum Beispiel in den Seerosenbildern von 1897 bis 1899. Und auch in den Gemälden, die nach der Jahrhundertwende entstehen, sind die Pflanzen immer wieder die Protagonisten auf dem Teich.

Formfreie Turbulenzen

Dann aber, um 1907 oder 1908 etwa, sind es mehr und mehr nur noch die Spiegelungen, die flirrenden Lichter und Farben, die den Maler faszinieren. Allmählich bewegt er sich von der Repräsentation seines Gartens im Bild weg: Nun beginnen die Bilder selbst Garten zu sein. Die Formate werden riesig, viel zu gross für die Freiluftmalerei - und die Leinwände werden schon im Atelier so aufgereiht, dass sie einen lückenlosen Fries bilden. Diese späte Phase, die Zeit der «Grandes Décorations», deren Entwicklung hin zu formfreien Farbturbulenzen durch ein Augenleiden zusätzlich befördert wird, ist in der Ausstellung besonders gut dokumentiert. Nach 1920 hat Monet auch immer wieder dieselben Motive aus derselben Perspektive gemalt - und also kann die Zürcher Schau ganze Serien von Bildern vorführen, auf denen der sogenannte «Pont japonais» oder der Blumenbogen im normannischen Garten zu sehen sind - in verschiedensten Lichtern gemalt. Und auch von den berühmten späten Seerosenbildern, die ja geradezu das Markenzeichen von Monet geworden sind, können in der Ausstellung mehrere bewundert werden.
Gerade dieses Prinzip der Serie sieht Kunsthausdirektor Christoph Becker denn auch als die eigentliche Errungenschaft von Claude Monet an. Und der Garten von Giverny war jener Ort, der es ihm gestattete, dieses Prinzip zu entwickeln. Monets Garten sei wohl eher eine botanische Fabrik gewesen - auf Aussenstehende aber müsse Giverny wie ein Zauberreich gewirkt haben. Entzaubern wolle er Monet mit seiner Ausstellung nicht, liess Becker anlässlich der Eröffnung wissen: «Aber ich mag die Vorstellung nicht, dass Monet ein Zauberer war. Er war ein Stratege - kein Kunststratege, sondern ein Gartenstratege.»
Warum war Monet so erfolgreich? So lautet die zentrale Frage, die Becker mit dieser Ausstellung stellt - eine Antwort bleibt er schuldig. Warum wird diese Ausstellung so erfolgreich sein? Auch das können die Bilder allein nicht begreiflich machen. Aber Erfolg braucht sich ohnehin nicht zu erklären.

Monets Garten. Kunsthaus Zürich. Bis 27. Februar 2005. Katalog Fr. 55.-.



Claude Monet: «Der Seerosenteich. Grüne Spiegelungen», 1920-26, Öl auf Leinwand. (Bild pd) )


erschienen in NZZ, FEUILLETON, 30. Oktober 2004 Nr. 254 45