Samuel Herzog

Wer wird Chef?


Um Kleinigkeiten geht es nicht, im Gegenteil: Hier wird über das Schicksal eines ganzen Kontinents bestimmt. Denn Goddy Leye aus Kamerun sucht nach einem Chef - nicht nach einem Patron für ein Dorf oder ein einzelnes Land, sondern nach einem Häuptling für ganz Afrika. Wer derzeit die Kunsthalle Fri-Art in Freiburg besucht, der kann sich an diesem demokratischen Prozess ganz aktiv beteiligen: In diskreten Wahlboxen darf man da unbeobachtet seine Stimme für einen der Kandidaten abgeben oder sich auch selbst für die Stelle als Chef bewerben. Bevor ein Entscheid gefällt wird, gilt es allerdings viel Geschriebenes, Gefilmtes und Gesprochenes zu berücksichtigen. Ähnliches gilt für die Werke der zwei anderen Künstler, die sich die Ausstellungsräume mit Goddy Leye teilen. Wer von Senam Okudzeto lernen will, wie er seine Hüften entsprechend einer «Dialectic of Jubilation» in Schwung bringt, muss in bewegter Laune einige Zeit im Toilettenraum der Freiburger Institution verbringen. Und auch die Videos von Omer Fast sind alles andere als poetischer Fast Food - gleichgültig, ob er nun über die Bearbeitung von Untertiteln einen semantischen Zwischenraum öffnet oder kleinste Fragmente aus CNN-Nachrichten zu neuen Botschaften collagiert. Mit «Fiction ou réalité» setzt Kuratorin Sarah Zürcher den Besuchern des Fri-Art ein opulentes Sinnangebot vor. Das kalorienreiche Mahl passt zwar nicht recht zum sommerlichen Gebot der Leichtigkeit - doch wer sich Zeit nimmt, wird nicht enttäuscht.

Fiction ou réalité. Goddy Leye, Senam Okudzeto, Omer Fast. Fri-Art, Centre d'art contemporain, Freiburg. Bis 14. September. Kein Katalog.



Die Suche nach dem Chef. Goddy Leye: «Bureau de vote I», 2003, Installation in Freiburg. (Bild pd)


erschienen in NZZ, FEUILLETON, 2. August 2003 Nr. 176 44