Samuel Herzog

Mit der Kuh ins Paradies

Rudolf Koller im Kunsthaus Zürich (2002)

Wenn das Kunsthaus Zürich einem Maler des 19. Jahrhunderts eine grosse Ausstellung widmet, dessen Namen man in den meisten Künstlerlexika vergeblich sucht, dann ist mit einer Entdeckung zu rechnen - oder aber es handelt sich um eine besonders wichtige lokale Figur. Beides ist im Fall von Rudolf Koller gegeben: Zu entdecken gibt es den «bedeutendsten Schweizer Tiermaler des 19. Jahrhunderts», wie es in der Ankündigung des Kunsthauses heisst, und Koller war ein Zürcher Phänomen - ein Maler, der mitten im Getöse der anbrechenden Moderne in seinem Zürcher Atelier eine Kuh-Idylle nach der anderen auf die Leinwand bannte. - Rudolf Koller kam am 21. Mai 1828 in Zürich zur Welt, liess sich daselbst, in Düsseldorf und Paris zum Maler ausbilden, reiste viel und war mit Künstlern wie Robert Zünd oder Arnold Böcklin ebenso befreundet wie mit Jacob Burckhardt oder Gottfried Keller. Die grösste Freundschaft aber verband ihn mit der Landwirtschaft: Immer wieder reiste der Städter Koller hinaus aufs Land, um auf dem Hasliberg beim Brünig oder im Berner Oberland die Tiere auf ihren Weiden zu studieren. Waren es anfangs vor allem Pferde und Hunde, die ihn interessierten, so setzte sich mit den Jahren das Motiv der Kuh immer mehr durch.
Und so treffen wir denn in dieser Zürcher Ausstellung auch hauptsächlich auf Bilder von Kälbern, Rindern und Kühen, oft in heroischer Landschaft wie etwa die «Kühe am See» von 1870 oder die «Viehherde am See» von 1883. Manchmal erscheinen die Kühe auch in Begleitung von ein paar dekorativ ins Gras drapierten Menschenfiguren wie etwa in der «Mittagsruhe» von 1860 oder in der «Herbstweide» von 1867. Seltener schleicht sich Witz ins Bild, doch kommt es vor: Die berühmte «Kuh im Krautgarten» von 1857/58 etwa blickt uns mit einer solchen Selbstverständlichkeit aus dem Gemüse heraus an, dass wir unvermittelt lächeln müssen.
Gelegentlich sind Kollers Tiere auch in ein dramatisches Geschehen eingebunden: So toben sie etwa in der «Gotthardpost» von 1873 mitsamt der gefährlich schwankenden Kutsche in einer riesigen Staubwolke die Passstrasse hinab. Und in der «Heuernte bei drohendem Gewitter» von 1854 kämpfen sie eindrücklich mit ihrer Angst und ihrem Bändiger. In solchen Darstellungen ist denn auch etwas davon zu spüren, dass Koller die Bildphantasien der Orientalisten genauso kannte wie die Dramen der Historienmaler. Auch die Pleinair-Malerei der französischen Frühmoderne war ihm wohl bekannt, doch hat sie in seinen Gemälden kaum Spuren hinterlassen. Und wenngleich Koller formulierte, dass es ihm nicht auf die Kühe ankomme, dass er vielmehr «grosse Formen und farbige Flecken malen» wollte, so erkennt unser heutiges Auge in seinen Bildern doch immer wieder vor allem die Kuh - und sucht vergebens nach Fleck und Form.
Es war sicher nicht Kollers Ziel, auf der Höhe der Zeit zu sein. Viele malerische Moden und Innovationen hat er wohl gar nicht nachvollziehen wollen. Was er suchte, das hat er selbst formuliert: «Ein einfaches, wahres Bild.» Und die Wahrheit brauchte nun einmal in der Zeit vor den Weltkriegen noch nicht unbedingt etwas mit der Realität zu tun zu haben. Deshalb erstaunt es auch nicht, dass etwa in «Friedli mit der Kuh» von 1858 weder das Tier noch sein Bauer je mit Dreck in Berührung gekommen sein können: Blitzblank stehen sie da, ganz bei sich selber, ganz sich selbst genug - ein Daseinsbild aus einer anderen Welt.
Rudolf Koller hat mit Kühen geschaffen, wofür Anselm Feuerbach das halbe Personal der antiken Mythologie bemühen musste: Er hat Bilder überhöhter Wirklichkeiten entworfen, irdische Paradiese, die nur bestehen können, solange die Kuh und ihr Fladen zwei völlig verschiedenen Welten angehören. Und doch muss es noch eine andere Seele gegeben haben in dieser Zürcher Brust: Sie zeigt sich in einigen der Zeichnungen, die mal ganz in Flecken verträumt scheinen wie die «Verschneite Tanne am Bergsee» von 1851, mal wütend wie «Stier und Reiterin» von 1890 oder subjektiv wie viele Skizzen zur «Gotthardpost».
Ein wahrhaftes Drama der Flecken und Formen entwickelt sich auch in der Zeichnung «Ziegenhirtin von einem Stier überrascht» aus den Jahren 1850/56. Allein, in dem Ölbild, das sich hier als Vergleich aufdrängt, ist dann alles zur «Idylle am Hasliberg» (1864) geglättet. Koller hat der Spur nicht getraut, der wir heute dann und wann in seinen Zeichnungen begegnen - er hat es vorgezogen, die Stereotype eines auch damals schon konservativen Selbst- und Weltverständnisses zu bedienen. Ob ihn das ins Paradies gebracht hat, wissen wir nicht. Bedient allerdings hat er mit einer Bravour, die eine solche Ausstellung durchaus zu rechtfertigen vermag.

Rudolf Koller. Kunsthaus Zürich. Bis 2. März 2003. Katalog Fr. 49.-.


erschienen in NZZ, FEUILLETON, 20. Dezember 2002 Nr. 296 53